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ID#04

11.11.2020

Was ist Digitalisierung in der Industrieversicherung? – ID#04

Warum müssen sich Industrieversicherer und Makler mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen? Kunden und Markt verlangen eine Strategie für tragfähige Zukunftskonzepte.

Eine Standortbestimmung von Ansgar Knipschild und Benjamin Zühr.

Länge: 28 Min.

Transkript

Ansgar Knipschild: Hallo zusammen und herzlich willkommen zur nächsten Ausgabe unseres Podcasts Industrieversicherung Digital. Heute wollen wir uns mit dem eigentlichen Kernthema Digitalisierung beschäftigen. Um es einmal direkt vorweg zu nehmen, unserer Meinung nach hat Digitalisierung im ersten Schritt überhaupt nichts mit Technik zu tun und auch nichts mit Notebooks für alle und Cloud und neues Maklerverwaltungsprogramm oder neue Bestandsführung. Es sollten vielmehr vor allen Dingen strategische Überlegungen sein, die bei der Digitalisierung die wichtigste Rolle spielen. Letztendlich geht es um Strukturierung und um Prozesse, auch wenn sich das jetzt nicht sehr spannend und vielleicht sogar für den ein oder anderen bürokratisch anhört. Das muss es aber gar nicht sein. Und genau das wollen wir in diesem Podcast einmal in unserem Gespräch beleuchten. Zu unseren Rollen:

Benjamin Zühr: Herzlich willkommen, mein Name ist Benjamin Zühr und ich begleite den Transformationsprozess aus der Versicherungsbranche.

Ansgar Knipschild: Und mein Name ist Ansgar Knipschild. Ich komme aus der IT und begleite Kunden schon seit mehreren Jahren in Projekten rund um die Digitalisierung in der Industrieversicherungsbranche.

Benjamin Zühr: Heute wollen wir uns in diesem Podcast vor allen Dingen mit vier Fragestellungen beschäftigen. Zum einen wollen wir versuchen zu erklären, warum sich in der Industrieversicherung überhaupt mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt werden muss, was Digitalisierung unserer Meinung nach genau nicht ist, wie wir Digitalisierung strategisch einordnen und was erste Schritte in einem Digitalisierungsprojekt sein könnten, auch wenn Projekt sicherlich nicht immer das richtige Wort dafür ist. Ja, fangen wir letztendlich an. Warum muss man sich als Industrieversicherer oder Makler überhaupt mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen? Ansgar, hast du dazu eine Meinung?

Ansgar Knipschild: Ja, ich glaube, da werden wir auch sicherlich so ein paar Punkte beleuchten. Das erste, das mir einfällt, ist branchenübergreifend. Das Stichwort ist Kundenanforderung. Wir alle bekommen mit, dass der Markt generell digitaler wird. Das hat gerade durch Corona auch noch einmal eine unheimliche Beschleunigung erlebt. In der Industrie, in der Fertigung haben wir das Thema Industrie 4.0. Das heißt, die gesamten Fertigungsstraßen, die ganzen Produktionsschritte werden digitalisiert. Im Dienstleistungsbereich ganz generell haben wir natürlich auch noch zum Teil riesigen Nachholbedarf. Der Staat digitalisiert gerade. Und wenn man das einmal auf unsere gesamte Gesellschaft, auf unsere gesamte Wirtschaft überträgt, dann sollte sich natürlich ein Thema wie Versicherung, letztendlich das Risikomanagement, auch nahtlos integrieren. Wir alle haben in den letzten Jahren als Begleiter der Branche gesehen, da besteht noch ziemlicher Nachholbedarf. Schlicht und ergreifend wäre mein erster Punkt, der gesamte Markt, die gesamte Wirtschaft geht in diese Richtung. Da muss unsere Branche natürlich auch mitmachen, um den Anschluss nicht zu verlieren und um sich in die Prozesse unserer Kunden eben auch nahtlos zu integrieren.

Benjamin Zühr: Absolut, da bin ich total bei dir. Du sagtest gerade Anschluss verlieren. Da fällt mir natürlich direkt das Thema Wettbewerb ein. Es ist ja nicht so, dass nicht auch schon Player angefangen haben, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Somit ist das auch ein Thema, weswegen sich unbedingt sowohl etablierte Industrieversicherer als auch Makler unbedingt mit dem Thema beschäftigen müssen. Denn Google, Amazon, um einmal die ganz Großen zu nennen, aber auch kleinere Startups schlafen nicht. Wir sehen einen unglaublichen Trend dahingehend, dass sich immer mehr sowohl kleine als auch große Unternehmen sehr intensiv mit Forschung und Entwicklung im Bereich der Versicherung für Industrierisiken beschäftigen. Und wenn die etablierten Marktteilnehmer nicht irgendwann verdrängt werden wollen, müssen sie sich zwangsläufig nicht nur damit beschäftigen, sondern meiner Meinung nach auch am Markt positionieren.

Ansgar Knipschild: Siehst du das wirklich auch im Industrieversicherungs- und Gewerbebereich? Ich meine, wenn du jetzt die Wettbewerber ansprichst, der Klassiker bei diesem Thema InsurTechs ist ja ein Check24 und ähnliche. Da kennt man das Thema. Aber sagt nicht gerade die Industrieversicherungsbranche, das geht gar nicht? Also gibt es da wirklich Wettbewerb?

Benjamin Zühr: Meiner Meinung nach gibt es aktuell noch keinen akuten Wettbewerb. Aber der Wettbewerb wird definitiv kommen. Denn letztendlich ist es nur eine Frage der Zeit, wann auch Individualität digitalisiert werden kann. Und in dem Moment, wo dort Konzepte erarbeitet und im Markt etabliert werden, wird es automatisch anfangen, dass sich auch Industriekunden, die sich ja seit Jahren mit dem Thema Digitalisierung und Industrie 4.0 bei sich selbst beschäftigen, natürlich auch damit beschäftigen werden, wie sie vielleicht versicherungstechnische Prozesse digital abbilden können. Auch wenn es vielleicht heute noch keinen direkten Wettbewerb in dem Bereich gibt, bin ich persönlich fest davon überzeugt, dass dieser spätestens in den nächsten fünf Jahren kommen wird. Ich gehe aber eher davon aus früher.

Ansgar Knipschild: Ja, da sind wir schon fast bei diesem Bild vom Frosch im Wassertopf, wo das Wasser langsam heißer wird und er merkt ganz lange Zeit überhaupt nichts. Und wenn man dann kurz vor dem Siedepunkt ist, dann ist es zu spät. Ich habe heute noch einen Podcast im Auto gehört, das war der Podcast Kassenzone. Da hat der Alexander Graf den Geschäftsführer vom dm-Markt interviewt und hat so gesagt, „Hört mal zu, wie sieht es denn bei euch aus?“ Und der ist der festen Überzeugung, dass sein Geschäftsbereich nicht von Digitalisierung und von Amazon bedroht wird, weil eben alle in Drogeriemärkte hineinlaufen. Und dieses Bild erinnert mich gerade so ein bisschen an unsere Branche. Man ist lange Zeit sehr bequem und sagt, „Hey schau mal, es sind doch alle Kunden da, alle kommen zu mir ins Geschäft, alles ist super. Nach wie vor wird manuell verhandelt im Industriegeschäft. Digitalisierung brauche ich nicht.“ Und irgendwann geht es ganz schnell.

Benjamin Zühr: Genau. Und ich glaube auch, letztendlich wird es keine Schwarz-Weiß-Geschichte werden: Entscheidend ist das, was gerade viele Spezialmakler, also Industriemakler, sehr gut können, nämlich die menschliche Nähe zu ihren Kunden, das zwischenmenschliche. Ich gehe fest davon aus, das wird bleiben. Man darf das andere deswegen aber nicht vernachlässigen. Somit muss man die eine Stärke weiter stärken und aus der vermeintlich aktuellen Schwäche, dass es einfach noch nichts gibt, versuchen eine Stärke zu machen, damit man letztendlich auch einem Check24 Paroli bieten kann. Ich weiß ja nicht, was die für Strategien haben. Was ich definitiv weiß ist, dass Google und Amazon Milliarden jedes Jahr investieren, um in dem Thema Versicherung zu forschen. Meiner Meinung nach muss man das schon ernst nehmen. Ich glaube, viele Branchen haben das in der Vergangenheit unterschätzt und sind irgendwann aufgewacht und haben gesagt, dass sie damit jetzt dann nicht gerechnet hatten. Ich würde einfach der Versicherungsbranche speziell im Industriesegment wünschen, dass sie diese Erfahrung nicht machen müssen.

Ansgar Knipschild: Ja, wir haben noch ein ganz anderes Thema. Wir sind ja bei der Frage, warum soll man sich mit dem Thema beschäftigen. Bisher waren wir bei den Kundenanforderungen, beim Wettbewerb, beim Markt. Gerade die aktuellen Verhandlungsphasen im anlaufenden Renewal zeigen ja spartenübergreifend in der Dichte, wie wir es schon lange nicht mehr hatten, dass Kostendruck da ist. Sei es, was die internen Prozesse angeht, wenn man sich da einmal die Kostenquote bei den Versicherern ansieht, dazu noch die entsprechenden Schadenquoten. Dann ist Kostendruck natürlich auch noch einmal ein Argument, sich Gedanken zu machen, ob ich mit Hilfe von Digitalisierung meine Prozesse nicht nur intern, sondern auch in der Zusammenarbeit mit allen anderen Beteiligten am Markt ein bisschen effizienter machen kann. Das Thema Kosten ist glaube ich ein wichtiges, auch wenn es ein blödes ist.

Benjamin Zühr: Ja, es ist definitiv kein schönes. Aber es ist ja letztendlich auch immer die Frage, wie man es löst. Auch Kostendruck ist ja ein total legitimes Argument, um seine Prozesse zu digitalisieren. Und wenn ich schon einmal die Prozesse digitalisiert habe, dann kann es eben auch eine Möglichkeit sein, neue Dinge daraus entstehen zu lassen. Also warum soll ich denn als heutiger Industriespezialist mit digitalisierten Prozessen nicht hingehen und sagen, na ja, wenn ich das eine digitalisiert habe, kann ich ja auch vielleicht andere Dinge machen, die auch digitalisiert werden können, über die ich vorher gar nicht nachgedacht habe. Letztendlich glaube ich persönlich, kann man somit auch aus dem vermeintlichen Problem des Kostendrucks eine Chance entwickeln, nämlich neue Geschäftsbereiche zu entwickeln. Und da glaube ich sind ganz unterschiedliche Dinge möglich. Wenn ich nur einmal an das Privatgeschäft denke, wo natürlich der klassische Industriemakler oder Versicherer vielleicht bisher nicht unbedingt hineingegangen ist, warum denn nicht einfach dieses Geschäft mitnehmen? Wenn ich es dunkel verarbeiten kann, wenn ich die Digitalität soweit entwickelt habe, dann ist das einfach schönes Geschäft, mit dem man wiederum auch Ausgleichsgeschäft schaffen kann, einfach aufgrund dessen, dass es für Versicherer gerade sehr attraktiv ist. Ich glaube persönlich, das ist eine Riesenchance, die letztendlich die Digitalisierung in dem Fall auch gerade für das Industriesegment mitbringt.

Ansgar Knipschild: Ja, definitiv. Und da gibt es ja auch noch viele spannende Geschäftsmodelle, die man da wirklich daraus ableiten kann, wo man heute noch sehr isoliert sagt, hier geht es rein um den Verkauf eines Versicherungsprodukts. Das in Kombination mit dem Verkauf von Produkten, da hat die E-Commerce-Branche ja schon seit Jahren vorgemacht, wie man hier Verkaufs- oder Kauferlebnisse ganz anders gestalten kann. Der Kunde hat immer einfach eine Sicht darauf, der möchte ein Problem gelöst haben irgendwo. Und ob das jetzt A, B oder C heißt, das ist ihm am Ende des Tages auch egal. So ein Thema wie Versicherungen ist ja relativ abstrakt und nicht greifbar, es ist kein gefertigtes Produkt aus Versicherungshallen. Das schreit natürlich auch danach, digitalisiert zu werden. Es steckt Finanzmathematik dahinter. Es geht aber auf der anderen Seite um die digitale Übertragung von Informationen, um das Risiko zum Beispiel einschätzen zu können. Und eigentlich wundert es einen ja schon eher, dass wir da noch nicht weiter sind als Stand heute. Denn wie manch andere Dienstleistung auch ist es eigentlich überfällig, dass man bei dem Thema einmal einen Schritt weiter vorankommt. Wahrscheinlich geht es uns noch allen zu gut. Vielleicht ist das wirklich ein solcher Aspekt, der so ein bisschen die Trägheit in der Branche, ähnlich vielleicht wie im Bankenbereich, da vielleicht erklären könnte.

Benjamin Zühr: Ja, aber genau das ist ja häufig auch der Fehler. Wenn es einem gut geht, soll man ja weiterentwickeln. Aber du hast total recht. Gegebenenfalls ist es so. Ja, letztendlich glaube ich, dass die Punkte eigentlich ganz beschreiben, warum auch die Industrieversicherung sich dringend mit dem Thema Digitalisierung beschäftigen muss. Es reicht eben nicht zu sagen, wir sind zu individuell und das wird auch immer so bleiben. Ob es Kundenanforderungen sind, ob es der veränderte Wettbewerb ist, ob es der interne Kostendruck ist, aber ob es auch vielleicht neue Chancen sind für Services und Produkte, die ich anbieten kann, ich glaube, es gibt eine Vielzahl an Argumenten, die für die unterschiedlichsten etablierten Marktplayer Argumente dafür sein sollten, sich wirklich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Letztendlich ist es aber meiner Meinung nach so, dass es ja erst einmal so ein gefühlt total weiter Begriff ist, wenn man über die Digitalisierung spricht. Wir haben diesen jetzt zumindest einmal ein bisschen eingegrenzt dahingehend, warum man das machen sollte. Vielleicht sollten wir auch einmal versuchen zu erläutern, was es eben unserer Meinung nach nicht ist. Für mich ist Digitalisierung kein einmaliges Projekt wie beispielsweise die Neueinführung einer Software oder irgendeine Migration von Daten. Darin sehe ich beispielsweise nicht unbedingt Digitalisierung.

Ansgar Knipschild: Interessanterweise ist es aber das, was gerade so in den letzten zwei oder drei Jahren massiv gestartet wurde. Wenn man anschaut, was die verschiedenen Unternehmen so alles losgetreten haben, ist es häufig wie du gerade schon sagtest eine neue Software. Portale sind natürlich ein Thema. Ich glaube, das ist sogar noch älter, wahrscheinlich schon 10, 15 Jahre alt, dass man hier versucht, sei es über den eigenen Vertrieb, seien es Vertriebspartner, aber auch die Endkunden über entsprechende Onlinelösungen einzubinden. Ich glaube, wenn wir etwas gelernt haben, dann das, dass so ein Portal, das man einfach mal so dahinstellt und sagt, jetzt benutze das mal, nicht ganz so viel Akzeptanz findet. Ich glaube, wenn man einmal ehrlich in die Branche hereinpiekst und fragt, wieviel Prozent eurer Partner oder eurer Kunden nutzen so etwas denn wirklich, da werden wir recht ernüchternde Zahlen feststellen. Die werden wahrscheinlich irgendwo im unteren einstelligen Prozentbereich liegen. Und auch da, das kann nicht das Ende von Digitalisierung sein. Da muss mehr passieren.

Benjamin Zühr: Absolut. Letztendlich ist es immer schwierig, wenn der eine, der vielleicht das Portal zur Verfügung stellt, dann einen Nutzen davon hat und der andere aber gar nicht so sehr. Ich wüsste auch nicht, warum ich es dann nutzen sollte. Dann würde ich es doch eher so belassen, dass ich einen eigenen Vorteil habe. So funktioniert aber Digitalisierung dann letztendlich nicht. Meiner Meinung nach ist dasselbe die Einführung eines Dokumentenmanagements, wie wir es an allen Ecken und Enden sehen. Ich habe keine Handakte mehr. Das mag ein Schritt sein in Richtung Digitalisierung. Aber letztendlich ist es nicht die Lösung für die Digitalisierung der Industrieversicherung.

Ansgar Knipschild: Ja, das sind eben einfach Einzellösungen, die – ich glaube, das muss man auch natürlich jetzt bei aller Kritik immer wieder sagen – sinnvoll sind. Es sind wichtige Schritte. Aber damit ist es eben wirklich nicht getan. Man muss diesen Schritt weiter fassen und größer denken. Ich glaube, das ist so ein Satz, den du ja auch schon häufiger in unseren Gesprächen gesagt hast immer wieder.

Benjamin Zühr: Genau. Ich persönlich glaube, letztendlich wird Digitalisierung nur dann einen Erfolg haben, wenn wir ganzheitlich denken und wenn alle Prozessteilnehmer einen Nutzen von den jeweiligen Digitalisierungsmaßnahmen haben. Und somit muss es groß gedacht werden. Es reicht nicht, wenn ein Unternehmen nur sich betrachtet, sondern letztendlich muss die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet werden. Und das macht es sehr komplex, weil es gerade im Industriesegment einfach individuell ist.

Ansgar Knipschild: Ja, und bei der Einführung auch bestimmt nicht leicht. Das kenne ich jetzt auch so ein bisschen von der IT-Seite her. Häufig startet man dann eben mit einem kleinen Einstiegsprojekt, um überhaupt einmal loslegen zu können, um etwas Überschaubares zu haben. Das sind dann so die Themen, die wir eben einmal genannt haben, was wir nicht so als Kern-Digitalisierung sehen, also ein Portal, ein DMS, was auch immer. Aber eigentlich muss man eine Stufe darüber anfangen. Natürlich ist auch schwierig, eine gesamte Organisation entsprechend mitzunehmen. Top-down ist eigentlich meiner Meinung nach ein Ansatz, den man da durchaus fahren muss. Da muss ein Management auch wirklich dahinterstehen. Und das führt uns natürlich bei diesem Stichwort es muss groß und umfassend gedacht werden dazu, wie kann man denn dann Digitalisierung strategisch einordnen? Also wenn man einmal von dem klein, klein wegkommen und überlegen, was heißt es denn jetzt wirklich für uns strategisch? Was sind da Leitlinien, an denen man sich da aufstellen kann?

Benjamin Zühr: Wie ich eben auch schon gesagt habe, glaube ich, dass Digitalisierung wirklich groß gedacht werden muss und dass wir alle Prozessteilnehmer, letztendlich also die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigen müssen. Im Versicherungsgewerbe bedeutet das, den Kunden mit seinen speziellen Bedürfnissen, den Makler, gegebenenfalls den Assekuradeur und natürlich den Versicherer, gegebenenfalls noch den Rückversicherer. Alle müssen in dieser Wertschöpfungskette irgendwie Teil haben und letztendlich einen Nutzen haben. Und wenn wir dieses ganze Thema sehen, dann sprechen wir vor allen Dingen von Daten, die von einem System zum anderen kommuniziert werden müssen. Wir brauchen eine Struktur innerhalb der Daten. Wir sprechen von Prozessen. Und wir müssen uns vor allen Dingen die Frage stellen, wenn wir jetzt konsequent denken, reicht es, den Kunden nur von der Versicherungsseite zu berücksichtigen? Oder müssen wir ihn von der Risikoseite berücksichtigen und müssen die Übersetzung vom Risiko in das Versicherungsmanagement beispielsweise in den Systemen des Maklers tätigen? Wenn wir uns das ganzheitlich ansehen, müssen wir also sehr genau aufpassen, was genau unser Ziel ist. Und letztendlich muss das Ziel eine ganzheitliche Kundenbetrachtung sein und auf Basis dieser ganzheitlichen Kundenbetrachtung eine möglichst genaue, maßgeschneiderte Versicherungslösung für den jeweiligen Kunden.

Ansgar Knipschild: Du hast eben Risikomanagement, Versicherungsmanagement genannt. Da hast du mich kurz abgehängt. Kannst du das noch einmal kurz erläutern? Wo siehst du da den Unterschied oder was baut wo aufeinander auf?

Benjamin Zühr: Also heute ist es ja schon so, dass gerade viele größere Makler beispielsweise nicht nur klassisches Versicherungsmanagement im Industriesegment anbieten, sondern auch parallel eine Risikomanagement-Beratung haben. Das liegt einfach daran, dass davon auszugehen ist, also auf die Zahlen will ich jetzt nicht festgenagelt werden, aber meiner Meinung nach ist es so, dass fünfzehn bis zwanzig Prozent aller Risiken überhaupt nur versicherbar sind. Das heißt, wenn ich jetzt den Kunden ganzheitlich, also zu 100 Prozent, betrachten möchte, dann muss ich vom Risiko kommen und auf Basis der Risikoinformationen das richtige Versicherungskonzept letztendlich entwickeln. Und gerade, wenn ich über Digitalisierung nachdenke, muss ich ja genau diese Information erfassen, um letztendlich auf Basis dieser Information die richtigen Deckungskonzepte bauen zu können.

Ansgar Knipschild: Okay. Gut, aber dann ist auch logisch, dass dann die Digitalisierung wirklich die Voraussetzung eigentlich ist, um so ein Risikomanagement überhaupt effizient für alle Beteiligten umsetzen zu können. Ich brauche die Daten. Ich brauche sie in einer strukturierten Form, damit ich effizient entlang der Kette arbeiten kann und natürlich dann auch die gesamten Abstimmungsprozesse zwischen Kunden, dem Makler, dem Assekuradeur, Versicherung, meinetwegen auch bis hin zur Rückversicherung dann da begleiten zu können. Und nur so kann ich dann neue und innovative Versicherungslösungen auf diese Risiken darauf entwickeln sozusagen. Ich brauche ein Bild, ich brauche ein digitales Abbild der Risiken aber als Voraussetzung dazu.

Benjamin Zühr: Genau. Und vor allen Dingen muss ich die beiden Bereiche wirklich miteinander verbinden. Das gibt es ja schon. Risikomanagement ist keine neue Erfindung. Aber was eben häufig bisher nicht gemacht wird ist, dass das ein ganzheitlicher Prozess ist. Die Risikomanagement-Beratung arbeitet in vielen Bereichen autark vom Versicherungsmanagement. Meiner Meinung nach ist die Chance der Digitalisierung für die Industrieversicherung, diese Bereiche miteinander zu verzahnen und den Kunden ganzheitlich zu betrachten und letztendlich somit auch die Chance zu haben, vielleicht das Versicherungspaket und die damit verbundenen Deckungsmodelle einfach optimaler an dem Kunden sogar noch auszurichten.

Ansgar Knipschild: Das hört sich jetzt ja echt nach einem großen strategischen Rad an, was man da drehen muss. Da wird glaube ich auch in manchem Unternehmen nicht unbedingt jeder Stein auf dem anderen bleiben. Hast du da eine Idee, wie man das in eine Reihenfolge bringen kann, wie man so einen strategischen Prozess starten kann und wie man ihn vielleicht in zwei, drei Schritte aufteilen könnte?

Benjamin Zühr: Ja. Meiner Meinung nach ist es so, man spricht ja nicht umsonst vom Change- oder Transformationsprozess. Ich glaube ganz ehrlich, dass sich vor allen Dingen das Denken in den Köpfen ändern muss. Letztendlich ist es aber glaube ich simpel, wie man anfängt. Also simpel ist es nicht, aber es hört sich zumindest simpel an. In allererster Linie brauche ich einmal eine Strukturierung meiner Daten und meiner Prozesse. Denn wenn ich heute in Versicherungen oder Makler hineinsehe, dann finde ich alles vor, aber nicht Strukturierung und exakte Prozesse, einfach aufgrund dessen, dass es sich eben um individuelles Geschäft handelt. Es ist nichts Schlechtes, es ist einfach letztendlich dem Bedarf geschuldet. Und auf Basis der Digitalisierung muss sich das aber ändern. Ich muss es schaffen, Einheitlichkeit in meine Daten und in meine Prozesse hinein zu bekommen, zumindest bis zu einer gewissen Flughöhe.

Ansgar Knipschild: Okay. Um damit mit diesem vermutlichen Knochenjob, wenn man mal alle Daten und Prozesse entsprechend strukturiert und erfasst hat, eine ganzheitliche Sicht auf Kunden und auf das von dir eben ja erwähnte Risiko- und Versicherungsmanagement zu ermöglichen. Deshalb ist das einfach die zwingende Voraussetzung, auch wenn es glaube ich ein echt steiniger Weg ist. Aber das muss Schritt eins sein und dann eben Schritt zwei, diese digitale Sicht darauf.

Benjamin Zühr: Genau. Schritt zwei ist, diese ganzheitliche Sicht darauf zu packen, letztendlich also das Versicherungsmanagement zu erweitern, die Sicht auf den Kunden vor allen Dingen zu erweitern. Ja, und letztendlich auf der Basis, wenn ich dann erst einmal strukturierte Prozesse, digitale Prozesse habe, die Sicht erweitert habe, natürlich auf der Basis auch neue Services und Geschäftsmodelle darauf zu setzen und vielleicht sogar Versicherung noch einmal ganz neu zu hinterfragen oder Versicherungsansätze auch noch einmal zu verändern. Wenn ich wirklich Risiken bemessen kann, dann ist ja immer die Frage, wie häufig bekomme ich Risikoinformationen? Bekomme ich Risikoinformation einmal im Jahr? Bekomme ich Risikoinformationen vielleicht sogar einmal im Monat? Bekomme ich sie vielleicht sogar in Echtzeit? Und je nachdem, wie sich das genau entwickelt, kann ich ja auch immer flexibler die darauf ausgerichteten Deckungsmodelle anpassen. Ich glaube persönlich, dass es genau das das ist, wo es sich hin entwickeln wird.

Ansgar Knipschild: Ja. Das glaube ich auch. So, mit Blick auf die Uhr, wir haben uns fest vorgenommen, wir wollen es nicht machen wie alle anderen Podcasts und eine Stunde vollsabbeln, sondern eine gute halbe Stunde war einmal unser Benchmark. Ich glaube, da liegen wir gut darin. Ich fasse einmal ganz kurz zusammen. Wir sind eingestiegen in die Frage, was ist Digitalisierung und haben festgehalten, man muss sich auch als Industrieversicherer und Makler damit beschäftigen aufgrund der Kundenanforderungen, vom Wettbewerb, Kostendruck und den Chancen, die sich im Markt ergeben. Digitalisierung ist eben nicht nur das Einführen von neuen Produkten, Portalen, irgendwelchen Systemen. Und wir haben einmal so einen strategischen Prozess angerissen, der unserer Meinung nach eine zwingende Voraussetzung ist. Wir haben einmal drei Stufen skizziert. Strukturierung der Daten und Prozesse im ersten Schritt, Schaffung einer ganzheitlichen Sicht auf den Kunden im zweiten, und im dritten Schritt dann eben daraus abgeleitet, neue Versicherungsansätze zu entwickeln. Das wollen wir in unserem nächsten Podcast weiter beleuchten und ich will jetzt einmal die Brücke zum nächsten schaffen. Den ersten Schritt, also die Strukturierung von Daten und Prozessen hast du ja gerade erwähnt. Und ganz konkret kann das ja bedeuten, das ist so ein Best Practise, was wir auch so aus unseren Projekten mitnehmen, dass man ein ganzheitliches Standard-Datenmodell bauen soll. Das heißt ein Abbild sozusagen der Wirklichkeit, wie man den Kunden, seine Risikosituation und auch die Prozesse erlebt, einmal wirklich in die digitale Bibel zu überführen, wie wir sie manchmal nennen. Also ein Katalog von Daten und von Strukturen und von Prozessen. Und das wollen wir im nächsten Podcast beleuchten, denn da hängt ja einiges daran. Da kannst du vielleicht auch noch einmal ein kurzes Stichwort dazu geben, bevor wir dann zur nächsten Folge überleiten.

 

Benjamin Zühr: Ja. Letztendlich ist es quasi die Basis, um nachher wirklich mit den Daten arbeiten zu können. Denn ich muss ja definieren, was was ist. Und wenn ich Daten auswerten möchte beispielsweise, bringt es mir überhaupt nichts, wenn eine Deckungssumme in dem einen Fall oder wenn ein Risikoobjekt in dem einen Fall vielleicht ein Manager ist und im anderen Fall ein Haus oder eine Maschine oder sonst etwas. Sondern ich möchte, dass eine Maschine eine Maschine ist. Und ich möchte, dass ein Haus ein Haus ist. Und ich möchte das auch so auswerten können. Und ich persönlich finde, ein standardisiertes Datenmodell ist letztendlich elementar. Obwohl man wiederum sagen muss, Standard heißt nicht, dass wir nicht mehr individuell arbeiten können. Das ist wichtig hier vielleicht auch für die Zuhörer. Standard-Datenmodell heißt wirklich nur, dass wir letztendlich vor allen Dingen den Nutzen der Daten erhöhen wollen. Genau.

Ansgar Knipschild: Okay. Dann hoffe ich einmal, dass wir mit dem kleinen Ausblick den Mund unserer Zuhörer hier schon wässrig gemacht haben, so dass sie sich auf die nächste Folge freuen. Dort werden wir dann wirklich einmal richtig tief hineinbohren in das Thema Standard-Datenmodell, wie kommt man dahin, was ist zu beachten, gibt es vielleicht auch Standards am Markt, die man damit einfließen lassen kann et cetera, also wirklich einmal einen Blick unter die Motorhaube werfen. Vielen Dank, Benny, für die Zeit. Ich freue mich auf das nächste Mal. Und an die Zuhörer da draußen, bis bald und ich freue mich auf Feedback und auf nächste Themenvorschläge von euch da draußen.

Benjamin Zühr: Bis zum nächsten Mal.

Ansgar Knipschild: Ciao, macht es gut.

Benjamin Zühr: Tschüss.

Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.

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