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ID#11

10.02.2021

sum.cumo: Digitale Kollaboration und „die Sehnsucht nach Plattformen“ – ID#11

Wie können Lösungen für eine neue digitale Kollaboration zwischen Kunde, Makler und Versicherer in der Industrieversicherung aussehen? Über Aufgaben von Plattformen, ihr Marktdesign und ihre Organisation diskutieren Ansgar und Benjamin mit Rainer Witzel (Thor Capital, Mitgründer von Inex24), Ingolf Putzbach (sum.cumo).

Länge: 48:00 Min.

Transkripte

Benjamin Zühr: Herzlich willkommen zu unserem heutigen Podcast Industrieversicherung Digital. Heute wollen wir uns mit dem Thema Plattform beschäftigen und konkret auf Einsatzmöglichkeiten von Plattformen in der Industrieversicherung eingehen. Dazu haben wir zwei Experten eingeladen, die ich hiermit herzlich willkommen heiße. Einmal Ingolf Putzbach, seit Juli 2016 einer der beiden Geschäftsführer von Sum.cumo, Teil der Sapiens Gruppe und Rainer Witzel, welcher lange bei Marsh gearbeitet hat, 2001 Mitbegründer und Inhaber von Inex24 war und heute Gründer und Chef der Beteiligungsgesellschaft und Unternehmensberatung Thor Capital ist. Herzlich willkommen. Mögen Sie sich einmal vorstellen?

Ingolf Putzbach: Ingolf Putzbach ist mein Name. Hallo, schönen guten Tag, liebe Zuhörer von Industrieversicherung digital und vielen Dank, dass ich hier zu diesem spannenden Thema eingeladen wurde. Eben wurde schon gesagt, dass ich bei Sum.cumo bin, als Geschäftsführer bei Sapiens bin. Zeit meines Lebens, oder sagen wir einmal, nach meinem Studium habe ich angefangen, in der Versicherungswirtschaft zu arbeiten, zunächst als Strategieberater und später in allen möglichen Funktionen. Ich war auch einmal anderthalb Jahre bei einem mittelständischen Versicherer für einen Bereich verantwortlich und habe dort versucht, das Thema Digitalisierung voranzutreiben. Das ist im Grunde genommen mein Steckenpferd, also digitale Geschäftsmodelle und vor allen Dingen auch Technologien, wie man diese Geschäftsmodell erfolgreich machen kann.

Rainer Witzel: Danke auch noch einmal von meiner Seite, Rainer Witzel, an Herrn Knipschild und Herrn Zühr für die Möglichkeit, dass wir uns heute zusammen über ein sehr spannendes Thema unterhalten können. Eine kleine Korrektur. Inex ist nicht 2001, sondern 2011 an den Start gegangen. Ist mir auch gerade noch einmal aufgefallen, dass das fast schon zehn Jahre her ist. Davor habe ich über zwanzig Jahre direkt nach dem Studium begonnen, in der Industrieversicherung als Makler zu arbeiten und mit zwei Partnern haben wir dann 2011 Inex24 an den Start gebracht. Zu dem Zeitpunkt ist auch die Thor Capital GmbH als ursprünglich reine Beteiligungsgesellschaft entstanden. Wie richtig im Intro gesagt wurde, heute beschäftigen wir uns mit dem Thema M&A in der Industrieversicherung zusammen mit anderen Partnern aus dem Bereich der Finanzinvestoren. Wir entwickeln nach wie vor zusammen mit Partnern aus der Industrieversicherungsseite oder der Maklerschaft oder mit Unternehmen wie eben Sapiens und Ingolf Putzbach Geschäftsmodelle für die Industrieversicherung mit sehr stark digitalem Anstrich. Das macht natürlich sehr viel Spaß und insofern hat mich Inex auch nie ganz losgelassen.

Ansgar Knipschild: Vielen Dank für die kurze Vorstellung an die beiden Kollegen. Herr Putzbach, Sie führen ja am 25.2. einen Onlinekongress zum Thema Digitalisierung der Industrieversicherung durch. Einer der Tracks beschäftigt sich mit der digitalen Kollaboration, der Zusammenarbeit der Partner am Markt mit dem schönen Titel, die Sehnsucht nach Plattformen. Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie kam es zu diesem Titel. Woher die Sehnsucht bei diesem doch sonst eher trockenem Thema?

Ingolf Putzbach: Wenn man so einen Kongress macht, dann muss man natürlich auch ein bisschen zuspitzen. Insofern ist diese Sehnsucht sicherlich nicht bei allen Marktteilnehmern gleichermaßen ausgeprägt. Aber wir sehen schon, gerade, wenn man sich die Industriekunden, die Kundenseite anschaut, dass doch da viele eigentlich aus ihrem normalen Business heraus inzwischen gelernt haben, auch mit Plattformen für das Sourcing zu arbeiten, man heute Teile oder auch Dienstleistungen häufig weltweit einkauft und bezieht, sehr arbeitsteilig arbeitet und nicht ganz zu Unrecht sagen dann auch immer die Kunden, warum ist das eigentlich im Versicherungsbereich nicht so, warum habe ich hier nicht einen wirklich internationalen Markt, sondern warum muss ich eigentlich hier mit bestimmten Maklern, aber auch vor allen Dingen mit bestimmten Versicherern zusammenarbeiten und eigentlich immer noch so wie auch vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren. Das Geschäftsmodell als solches hat sich nicht wirklich geändert, während überall anders auch neue Möglichkeiten, das Geschäft abzuwickeln über Plattformen entstanden sind. Tatsächlich, wir haben das jetzt schon mehrfach gesagt, Inex war damals vor etwas über zehn Jahren vielleicht ein bisschen zu früh, aber war ein deutliches Signal, wie so etwas grundsätzlich funktionieren kann. Möglicherweise haben auch alle Marktteilnehmer inzwischen ein bisschen dazugelernt. Wenn man heute jedenfalls mit Versicherern oder auch größeren Maklern spricht, dann sagen sie schon, eigentlich fehlt uns inzwischen so ein Instrument. Das wollen wir natürlich bei unserer Veranstaltung am 25. da noch etwas genauer herausarbeiten. Mein Gefühl sagt mir – und vielleicht ist es auch ein bisschen mehr als ein Gefühl -, dass wir da in Kürze eine neue Initiative auch erleben werden.

Rainer Witzel: Da darfst du jetzt noch nicht zu viel verraten, Ingolf. Das haben wir uns dann noch für etwas später auf. Insofern ist Sehnsucht sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass wir durch Corona einen ganz anderen Digitalisierungsschub in der Industrieversicherung auch erlebt haben, natürlich jetzt sehr stark auf der kommunikativen Ebene. Aber es sind viele noch nicht so klar ausgesprochene Probleme etwas deutlicher geworden. Insbesondere von der Kundschaft werden andere Erwartungen an die Art und Weise der Kollaboration mit den diversen Partnern in der Industrieversicherung artikuliert. Das sind ja nicht nur Makler. Das sind die Versicherer, diverse Service-Provider. Das Renewal 2021 hat auch noch einmal gezeigt, wie wenig flexibel man auch bei größeren Industriekunden auf globale Märkte ausweichen konnte, einmal unbeschadet der Tatsache, ob die auch wettbewerbsfähig bezüglich der harten Preiserhöhungen im deutschen Markt gewesen wären. Aber man hat doch gesehen, dass solche Marktplattformen etc schon ein Stück weit hätten helfen können. Um einmal aufzulösen, wofür steht eigentlich Inex24 – das werde ich oft gefragt -, es ist ein Akronym. Dahinter verbirgt sich Insurance Exchange. Übersetzt wäre das eine Versicherungsbörse. Genau das, glaube ich, ist ein Punkt, der gerade jetzt bei einem so harten nationalen Markt, wie ihn die Industrieversicherungen erleben mussten, schon gar nicht schlecht gewesen wäre, einfach einmal mit sehr vielen einfachen, praktischen Tools auch in alternative Märkte vorzustoßen. Das in aller Kürze, auch, warum wir jetzt von einer Sehnsucht sprechen. Ich glaube, der Bedarf wird einigen deutlicher als noch vor einigen Jahren.

Benjamin Zühr: Ich sehe es ganz genauso. Wir haben einen großen Bedarf. Ich glaube auch, das Renewal hat einfach auch noch einmal viel deutlich gemacht. Kommen wir noch einmal zum Thema Wertschöpfung und da auf dem Fokus Industrieversicherung, Herr Witzel. Wo glauben Sie denn, dass die Plattform da ansetzt, eher im Bereich Vertrieb und Ausschreibung oder eher im Bereich Betrieb, Claims, Renewal?

Rainer Witzel: Das ist eine ganz spannende Frage. Die ist, glaube ich, auch gar nicht so mit einem einfachen Ja, Nein oder Entweder, Oder zu beantworten. Industrieversicherung wurde lange Zeit immer als etwas sehr Individuelles, völlig tailormade beschrieben und auch immer gerne so ein bisschen mit dem Stigma versehen, das ist Nasengeschäft. Also es treffen sich zwei Leute, die mögen sich, die kennen sich und dann läuft das Geschäft auch. Das ist natürlich in vielerlei Hinsicht auch richtig. Wer macht nicht gerne Geschäfte mit Leuten, die er sympathisch und fachlich auch professionell findet? Ich glaube, das trifft nicht nur in der Industrieversicherung zu. Dahinter haben wir aber ein bisschen vergessen, dass es auch standardisierungsfähige Themen innerhalb der individuellen Industrieversicherung gibt. Wir haben einfach diesem Individuellen, glaube ich, zu viel Aufmerksamkeit eingeräumt. Der ist möglicherweise aber auch gar nicht so vom Kunden wahrgenommen und schon gar nicht goutiert worden. Das wäre noch einmal eine andere Perspektive, wie sieht eigentlich der Industriekunde auf Industrieversicherung. Aber im Kern gibt es in allen Wertschöpfungselementen dieses komplexen Themas diverse Bereiche, wo viele Parteien miteinander zusammenarbeiten und sich schon einmal über das Thema Automatisierung, Standardisierung unterhalten sollten, im Sinne der Prozesseffizienz, der Kosteneffizienz und der Nachhaltigkeit. Insofern könnte man fast sagen, in allen Bereichen gibt es diese Themen, wo Plattformen helfen könnten, diese Kollaboration zwischen den diversen Partnern zu erleichtern. Jetzt haben wir über den Markt gesprochen. Der Ausschreibungsteil ist sicherlich einer der naheliegendsten Bereiche, wo man versuchen könnte, diverse unterschiedliche Anbieter über eine Plattform zu erreichen und über diese Plattform dann versuchen, auch gewisse Datenstandards, Informationsstandards auch einzuführen, die es allen erleichtern, an diesem Marktplatz sich anzudocken oder auch daran teilzuhaben. Aber das ist nur ein Beispiel. Ich glaube, man könnte eigentlich jeden Bereich untersuchen und sagen, wo findet dort eigentlich die Möglichkeit einer Plattform statt, wo könnte sie sinnvoll eingesetzt werden. Wobei ich vorwegschicken muss, unter Plattform verstehe ich jetzt auch ein offenes System zur Teilhabe vieler. Gelegentlich ist das auch ein Begriff, der von einer Firma so als rein proprietäres Tool eingeführt wird. Ich habe eine Plattform, da gibt es diverse Tools und Produktangebote, die du nutzen kannst. Mein Verständnis ist eher ein Verständnis, eine Definition, Plattform ist ein Instrument, ein Platz, eine Form der kollaborativen Begegnung für ein gemeinschaftliches Interesse.

Benjamin Zühr: Darf ich da noch einmal nachhaken? Sie sagten gerade Ausschreibung. Das finde ich spannend. Industrieversicherung ist ja jetzt nicht so, dass wir Industrieversicherung – und das haben Sie ja auch gesagt – über einen Kamm scheren können. Sondern es geht ja schon um individuelle Risiken. Wie funktioniert Ihrer Meinung nach da Ausschreibung?

Rainer Witzel: Wie es heute funktioniert, oder wie es funktionieren sollte?

Benjamin Zühr: Wie es funktionieren sollte.

Rainer Witzel: Ich glaube, wenn wir von Industrieversicherung reden, müssen wir natürlich immer die Gewerbeversicherung – das ist ein Teil dieser Industrieversicherung – verstehen. Industrieversicherung ist sicherlich der Oberbegriff, der generische Begriff, der alles nicht private Geschäft erfasst. Dazu gehört eigentlich auch die Gewerbeversicherung. Letztere ist sicherlich durch eine höhere Standardisierungsfähigkeit gekennzeichnet. Über die wollen wir uns hier auch nicht weiter unterhalten. Dafür gibt es ja auch schon ganz gute Tools, um auch einmal auf die Kollegen von (Ton) zu verweisen, die mit ihren Mitteln und Möglichkeiten und der Plattform und Gewerbe 24 natürlich schon dort einiges erreicht haben, um solche Ausschreibungen schneller, effizienter, mit mehr Funktionalitäten ausgestattet, zu Gunsten des Ausschreibenden und des Kunden, auch aufzusetzen. Die Industrieversicherung heute hat weitestgehend solche Möglichkeiten noch nicht. Sie bewegt Unmengen an Informationen innerhalb einer Ausschreibung hin und her. Häufig passiert das über E-Mail, vielleicht Datenraumstrukturen. Was ich mir für die Zukunft vorstelle, ist, dass es möglich ist, diese Daten grundsätzlich alle digitalisiert vorzuhalten. Auch das ist heute nicht der Fall. Viele der Informationen, die für eine Ausschreibung relevant sind, Risikodaten oder versicherungsvertragsrelevante Daten, die die Marktseite, sprich den Versicherer oder Rückversicherer interessieren, sind eben in unterschiedlichen Formaten verfügbar. Es gibt viele Medienbrüche. Diese Daten werden also auch in starren Formaten gelegentlich angeboten. Das heißt, sie sind nicht multirelational auswertbar. Ich kann keine Ad-hoc-Reports darauf aufsetzen und so weiter und so fort. Besichtigungsberichte, solche Themen werden auch noch in einer teilweise sehr analogen Form dem Markt auch angeboten. Da geht es also schon einmal los. Die ganzen ausschreibungsrelevanten Daten müssten in einer neuen, weitestgehend komplett digitalen Form zur Verfügung gestellt werden und diese müssten auch in einer gewissen Form handelbar werden. Das heißt, man muss sich dann auf Plattformen auch mit diesen Daten beschäftigen können, sie auswerten können, sie in Beziehung zu anderen Informationen zum Risiko setzen können, um dann sehr viel schneller entsprechende Ergebnisse dem Makler oder seinem Kunden vorzulegen. Das ist nur ein Thema. Dann würde ich es natürlich auch schön finden, wenn man mit einem Vorgang diverse Märkte ansprechen kann und nicht dieselbe Informationsgebung 35-mal parallel nebeneinander vornehmen muss und ebenso die Rückflüsse alle analog auswerten muss. Das ist natürlich auch ein Thema, was einfach zeitlich und von der Ressourcenseite für einen normal aufgestellten Makler gar nicht zu schaffen ist.

Benjamin Zühr: Vielen Dank. Aber leider entspricht es momentan der Realität, dass es doch unglaublich viel Manpower bedarf, um Daten zu strukturieren, um Daten zu sortieren etc. Aber vielen Dank dafür.

Ingolf Putzbach: Was, glaube ich, tatsächlich auch ganz wichtig ist, wenn wir jetzt über solche neuen Strukturen, neuen Plattformen sprechen und uns auch überlegen, welche Elemente der Wertschöpfungskette davon denn erfasst werden könnten, dass man einfach einmal irgendwo anfängt. Wahrscheinlich ist das Thema Ausschreibung ganz vorne auch der richtige Punkt zum Anfang. Vielleicht auch ein Learning aus anderen Plattformprojekten, auch aus Inex24, dass man eben auch nicht versuchen darf, alles auf einmal zu machen, weil man damit ganz sicherlich viele Teilnehmer überfordert und auch vielleicht dann nicht die nötige Akzeptanz bekommt. Da kommt vielleicht dann auch wieder so, was ist für das Geschäftsmodell gut und was lernen wir vielleicht auch aus der Softwareentwicklung zusammen, denn seit einigen Jahren lernen wir ja auch, in MVPs zu denken, wir entwickeln agil. Wahrscheinlich muss man hier auch so vorgehen, dass man sich erst einmal auf den vorderen Teil der Wertschöpfungskette konzentriert. Wenn man da eine Lösung findet, die auf Akzeptanz der Marktteilnehmer stößt, dann kann man auch weitergehen.

Rainer Witzel: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, Ingolf. Du sprichst MVP, also den Ansatz Minimum Viable Product an. Den haben wir bei Inex in dieser Form so nicht berücksichtigt. Wir wollten damals etwas schaffen, was die Komplexeste aller Industrieversicherungsausschreibungen berücksichtigt. Das wäre dann ein internationales Versicherungsprogramm. Insofern war eines unserer Probleme neben der Frage, ob es der richtige Zeitpunkt für den Markteintritt war, auch die etwas doch überbordende Komplexität, die unsere Kundschaft überfordert hat. Insofern denke ich auch, man sollte mit einem Teil beginnen. Ich möchte noch einmal auf einen Punkt Ihrer Frage eingehen, Herr Zühr. Wenn Sie einmal in der Ausschreibung diesen Prozess mit der Datenverarbeitung oder Standardisierung durchlaufen haben, dieser ist natürlich dann auch der Grundstein für viele weitere Folgeprozesse. Sie haben gefragt, wo kann man die Ausschreibungs- oder die Plattformsystematik noch einsetzen. Wir haben es im Weiteren dann mit lebenden Daten, Bewegungsdaten zu tun. Diese müssen ständig angepasst, aktualisiert werden, auch weil der Versicherungsvertrag das erfordert. Die Schadenregulierer müssen auf diese Daten zurückgreifen. Drittanbieter, Dienstleister, die alle möglichen Tätigkeiten, Besichtigungen, Inspektionen, Services, Audits vornehmen müssen, sollten auch wieder auf diese Daten zugreifen und, und, und. Insofern löst eine Lösung dann auch die Möglichkeit aus, andere Problemstellungen auch in Angriff zu nehmen. Da stimme ich also Ingolf komplett zu. Aber man muss irgendwo beginnen.

Benjamin Zühr: Jetzt wird Plattform in der Branche eher als ein Wettbewerbsthema gesehen, also wer baut die Plattform, wer kann sich damit vielleicht auch am Markt entsprechende Differenzierungsvorteile erschaffen. Dagegen steht ein Plattformverständnis, Plattform eher als Infrastruktur zu verstehen, also etwas, was so offen wie möglich ist, damit eben Marktteilnehmer dort drauf Informationen oder Prozesse austauschen können. Vielleicht einmal zu Ihnen hinübergespielt, Herr Putzbach. Wie würden Sie diesen Begriff Plattform verstehen?

Ingolf Putzbach: Das Optimum, das haben Sie ja fast schon so ein bisschen vorweggenommen, wäre ein System, das natürlich für alle Marktteilnehmer offen ist, wo es keine großen Barrieren gibt, mitzumachen, diskriminierungsfrei. Die Frage ist natürlich, wenn man das als Infrastruktur des Marktes versteht, wie kommt es zu einer solchen Infrastruktur. Es ist ja hier kein staatlicher Auftrag, so etwas zu schaffen. Grundsätzlich könnten sich dann die Marktakteure oder die Verbände zusammentun und sagen, wir machen so etwas. Allerdings lehrt alle Erfahrung, dass aus politisch oder auch verbandspolitisch motivierten Anliegen oder Ansinnen meistens keine guten Plattformen entstehen. Deshalb kann ich mir schon vorstellen, dass hier auch vielleicht einige wenige vorangehen müssen und auch das Investment machen müssen und auch das Ganze unternehmerisch in gewisser Weise treiben müssen. Aber Sie werden damit natürlich nur dann erfolgreich sein, wenn Sie sich auch die Akzeptanz der Versicherer, der Makler, der Industriekunden versichern und es für dei attraktiv machen, Teil einer solchen Plattform zu sein.

Rainer Witzel: Da stimme ich dir auch zu, Ingolf. Im Übrigen hatten wir – das kann ich heute nach zehn Jahren durchaus sagen – natürlich in der operativen Endphase von Inex nach drei Jahren auch in der Erkenntnis, dass wir zwar sehr viele Versicherer, über fünfzig, auch sehr viele Makler, über dreißig, auf der Plattform akkreditiert hatten, aber nicht genügend Traffic, wie man so schön sagt, erzeugten. Wir hatten da auch die Überlegung angestellt, das Modell aus einem quasi Betreibermodell owned by Shareholders in den Markt, in die operative Federführung und Eigentümerschaft der Marktakteure zurückzugeben. Dazu gab es dann auch Gespräche mit den Vertretern aus der Branche, auch aus dem Verbandsbereich. Wir sind nicht zu einem Ergebnis gekommen. Da gab es auch diverse Widerstände. Es gab auch kartellrechtliche Einwürfe, Bedenken. Insofern glaube ich, muss es auch auf diese Frage eine privatwirtschaftliche Initiative geben. Herr Knipschild, jetzt ist aber die Frage, ist das dann trotzdem eine offene Struktur. Ich denke ja. So eine Plattform hat dann, glaube ich, Erfolg, wenn sie nicht von einem der wesentlichen Markt-Player betrieben wird, sondern ein neutraler, unabhängiger, weitestgehend unverdächtiger Dienstleister sollte sich da allen Beteiligten anbieten. Da gibt es aber auch Diskussionen innerhalb der Experten, die sich damit beschäftigen, kann man damit ein vernünftiges Ertragsmodell verbinden. Das ist auch eine ganz spannende Frage, wie verdient man damit Geld, weil das Investment auf jeden Fall erst einmal da ist. Das muss getätigt werden. Irgendwo glaube ich, sind wir da noch nicht ganz klar, in welchen Koordinatensystemen man so etwas ansiedelt. Ich würde auch, so wie Ingolf es gerade ausgedrückt hat, ein paar Dinge ausschließen, die definitiv nicht funktionieren.

Ansgar Knipschild: Vielleicht können wir noch einmal über ein anderes Bild einsteigen. Ich habe bei einem Roundtable von Industrieversicherungsmarktteilnehmern die Forderung gehört, wir brauchen ein Windows für die Industrieversicherung. Jetzt kann man darüber streiten, ob Windows das beste Bild ist. Die Alternative wäre Linux. Wie sehen Sie es, Herr Putzbach, Windows oder Linux?

Ingolf Putzbach: Da bin ich natürlich eindeutig ein Verfechter von Linux und generell sind wir natürlich auch immer Verfechter von Open-Source-Lösungen und kollaborativen Lösungen. Also wenn es um die Entwicklung von Dingen geht, dann entstehen meistens bessere Lösungen, wenn unterschiedlichste Entwickler bestimmten Code nutzen können und weiter daran arbeiten können. Das Ganze muss sich natürlich auch immer dann dem Primat der Betriebswirtschaft unterordnen und man muss überlegen, wie kann ich solche Strukturen schaffen, dass möglichst viele an so einem Konstrukt arbeiten können und auch motiviert, daran zu arbeiten. Insofern, Windows oder Microsoft ist natürlich irgendwo unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sehr erfolgreich. Insofern finde ich diese Diskussion als solche interessant. Es ist vielleicht ein bisschen abstrakt. Aber idealerweise finden wir ein Modell, wo alle Interesse haben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitzuwirken. Die technische Affinität in diesem Markt ist allerdings nach wie vor nicht sehr hoch. Die Bereitschaft, auch selber in Technologie oder in Entwicklungsressourcen zu investieren, ist überschaubar. Insofern glaube ich, ohne dass es hier einen Treiber gibt, der auch Ressourcen für andere zur Verfügung stellt, wird es wahrscheinlich nicht gehen. Wenn man sich auch anguckt, wie die Versicherer oder Makler sich im Moment orientieren, wenn es um ihre eigene IT geht, dann gucken sie eher doch nur nach lizenzpflichtigen Standardlösungen, auch wenn ich persönlich das sehr bedauere.

Rainer Witzel: Ich bin immer, Herr Knipschild, etwas skeptisch gegenüber diesen Forderungen, die dann vom Markt kommen. Sie sind ja weitestgehend konsequenzfrei, vor allen Dingen, wenn man sie in solchen Roundtables äußern darf. Ich bin deswegen skeptisch, weil ich schon in den letzten Jahren sehr viele Forderungen vom Markt gehört habe, wir bräuchten dies und jenes und dann hat sich jemand aufgemacht, hat das angeboten und dann war die Bereitschaft ein Stückchen reduzierter. Ich persönlich werde auch immer wieder mit der Ansage konfrontiert: „Ach, Sie sind das.“ Oder: „Sie sind derjenige, der mit Inex gescheitert ist.“ Das ist auch ein typisches Beispiel. Es gibt schon ein paar, die sagen, Mensch, hätten wir doch damals das auch etwas anders mit unterstützt. Wir waren zu früh. Wir waren etwas zu komplex. Das ist also auch ganz klar unser Thema. Aber ich denke, man darf jetzt nicht zu sehr auf diese Forderungen hören. Das Problem hat ja Ingolf gerade sehr freundlich und höflich umschrieben. Es sind die unterschiedlichen Entwicklungstempi auf der Ebene der Digitalisierungsstrategien, oder Beraterdeutsch, diese digital Roadmaps. Einige Versicherer sind da sehr weit vorne und bauen auch die Zukunft so langsam gut und sicher voran. Teilweise haben sie da auch gute Spielwiesen oder Sandkästen, wie die BaFin sagt, in der da ein bisschen ausprobiert wird. Auf der Maklerseite sieht es doch extrem heterogen aus. Das Problem oder die Herausforderung für Plattformen wäre gerade, diese unterschiedlichen Levels an technologischer Ausrüstung, Digitalisierung auch zu überbrücken. Zu warten, dass alle auf dasselbe Niveau kommen und sich angemessen zu ihrer Betriebsgröße oder ihrem Status digital aufrüsten oder IT-technisch aufrüsten, ich glaube, da müssen wir noch lange warten. Die aktuellen Entwicklungen zeigen auch, dass das jetzt durch Corona zwar beschleunigt, aber nicht komplett aufgelöst wird. Wir sehen schon, dass auch durch das Renewal das auf eine sehr harte Art und Weise ausgetragen wurde, sich Fronten wieder verhärtet haben und die Bereitschaft, miteinander zu kollaborieren, nicht gerade ausgeprägter geworden ist. Ein schönes Beispiel ist ja auch, was passiert mit welcher Geschwindigkeit bei BiPRO. Man kann auch darüber streiten, ob das nicht alles viel schneller gehen könnte. Aber das ist ein Feld, wo sich beide Seiten, Makler und Versicherer, auf Datenstandards oder einheitliche Formate einigen sollten und auch können, aber es natürlich mit einer noch nicht so hoch ausgeprägten Geschwindigkeit tun.

Ansgar Knipschild: Da könnte man auch noch einmal kritisch nachfragen. BiPRO, ich glaube, es hat zwei Vorstöße gegeben, um Industrieversicherung zu standardisieren. Gewerbe ist ja schon ein bisschen her. Ich kenne keine Implementierung am Markt. Haben Sie etwas gehört?

Rainer Witzel: Ich bin kein BiPRO-Experte. Aber es werden natürlich schon Geschäftsvorfälle, die BiPRO definiert, auch in die Industrieversicherung schon übertragen und es gibt auch Datenaustauschformate zum Thema Vertragsverwaltung, die gemeinschaftlich auf BiPRO-Standards funktionieren. Aber Sie haben Recht. Im Kern trifft das eher auf die etwas breitere Gewerbeversicherung zu. Aber mir fehlt da momentan der konkrete Überblick. Nur wäre das ja eine Chance gewesen, als Beispiel – BiPRO gibt es ja schon seit ein paar Tagen -, wo sich auch die Industrieversicherungsseite, beide, Vermittler und Versicherer auch schon länger, wenn der Wunsch und die Absicht dagewesen wäre, sicherlich etwas schneller darauf hätten einigen können, wie man auch Teile aus der Industrieversicherung oder aus dem gesamten Prozess auf eine BiPRO-Norm oder die Entwicklung von BiPRO-Normen fokussiert.

Benjamin Zühr: Ich denke, BiPRO ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass eben so ein eV, in dem man so etwas organisiert, vielleicht auch nicht das Allheilmittel ist, um solche Branchenprobleme zu lösen. Man sieht eben, das hat sehr lange gedauert, es gibt sehr viele Gremien und Ausschüsse. Sicherlich sprechen alle miteinander. Aber die Lösung, die dabei bisher herausgekommen ist, ist tendenziell eher enttäuschend. BiPRO zementiert eigentlich eher Strukturen. Selbst wenn es einmal voll eingeführt ist, dass es wirklich Innovation fördert, man bewegt sich sehr stark entlang der etablierten Sparten. Also echte Innovation wird nicht unbedingt unterstützt. Selbst in den Privat- oder Gewerbesparten, die Möglichkeit, dynamische Produkte zu kreieren und Daten auszutauschen, das sind alles Dinge, die man sich eigentlich heute wünschen würde. Eigentlich operiert man hier auch mit Technologien, die sich eigentlich immer am langsamsten in der Branche orientieren. Entweder wird BiPRO heute bei den Marktteilnehmern gar nicht eingeführt, oder man hat es einmal eingeführt und befindet sich dann immer noch in Versionen, die es wiederum allen abverlangen, eine unglaubliche Komplexität zu betreiben, um allen gerecht zu werden, wenn man tatsächlich über BiPRO Daten austauschen möchte. Ich finde, das ist ein sehr gutes Beispiel, wie man eine hehre Idee haben kann und das auch theoretisch sehr fair und partnerschaftlich alles aufsetzt und dann aber damit leben muss, dass man einfach viel zu lange braucht und letztlich mit technisch suboptimalen Lösungen operiert.

Rainer Witzel: Streng genommen könnte man sagen, dass, was wir gerade zu BiPRO feststellen, eben auch noch ein Treiber für Plattformthemen ist, weil der Fokus, wie du eben gesagt hast, doch reduziert ist. Es geht doch um Datenstandards für Informationsaustausche zur Vertragsverwaltung, aber alle anderen Themen, die wir angesprochen haben, Ausschreibung, Kollaboration, Bearbeitung, Schäden etc, das sind natürlich Fragestellungen, die dann eher Plattformen lösen könnten, also auch mittels von IT und Technologien, die es schaffen, diese Unterschiede bei den Kernsystemen auf Maklerseite und Versichererseite auch zu harmonisieren. Da gibt es gewisse Ansätze aus dem Bereich der Webservies, Business Intelligence, wo man eben diese Kommunikation oder Kollaboration auch über den beiden feststehenden Kernsystemstrukturen harmonisieren und auch damit automatisieren kann.

Ingolf Putzbach: Vermutlich wird es so sein, dass dieses ganze BiPRO-Thema sich dahingehend auflösen wird. Das wäre jedenfalls der bestmögliche Outcome, dass es noch ein oder zwei Abwickler gibt, die dann den BiPRO-Exchange betreiben und dann auch die Chance haben, vielleicht sukzessive diese Normen ein bisschen aufzuräumen und die Standards wirklich anders zu setzen, sodass wir dann nicht mehr dieses individuelle Austauschformat zwischen unterschiedlichen Marktteilnehmern haben, sondern wirklich so Clearing-Plattformen, die für den Datenaustausch sorgen, wie das auch in anderen Ländern der Fall ist.

Benjamin Zühr: Das sehe ich genauso. Ich glaube, ein Riesenproblem am Markt momentan ist, dass viele einfach überfordert sind. Ich glaube letztendlich, es gibt nicht die eine Plattform, sondern es gibt N Plattformen. Das, was zwischen dem MVP – einmal aus Maklersicht gesprochen -, also dem Maklerverwaltungsprogramm und den unterschiedlichen Plattformen ist, ist im Zweifel die BiPRO-Norm oder auch nicht. Aber bei vielen Gewerbe- und Privatprodukten ist es ja wirklich so, dass man die heute per BiPRO auch letztendlich anschließen kann. Aber ich glaube, wünschenswert wäre für den Markt wirklich eine Plattform, wo alle Produkte und alle Lösungen vereint wären und worauf zugegriffen werden kann, um sich wieder auf sein Kerngeschäft zu konzentrieren und eben nicht mit den ganzen Schnittstellen zu hantieren. Ich habe das Gefühl, dass viele Marktteilnehmer, gerade mittelständische und kleinere Marktteilnehmer total damit überfordert sind und letztendlich auch gar nicht die Manpower haben, für sich zu definieren, was bedeutet eigentlich Digitalisierung.

Rainer Witzel: Absolut. Wir haben allein auch aufgrund unserer Tätigkeiten im M&A-Bereich natürlich zwangsläufig extrem viele Kontakte zu Maklern und ich kann das bestätigen. Damit kriegt man natürlich auch einen gewissen Einblick in das Innenleben. In der Tat fehlt es da an Knowhow zum Bereich IT, Schrägstrich Digitalisierung, auch teilweise das Wissen, in welche Ecken muss ich denn gucken, um mich aufzurüsten, wo sind die Steckdosen, an die ich dann vielleicht meinen Stecker hineinbugsieren kann, beziehungsweise wer baut mir meinen Stecker für bestimmte Digitalisierungsprojekte. Selbst wenn man dieses Wissen hätte, geht es ja da noch um Finanzen. Das ist nicht gerade ganz billig. Insofern gibt es auch dort nicht Riesenbudgets auf Maklerseite, um dort sehr viel zu investieren. Es wird natürlich auch viel von den MVP-Anbietern absorbiert, was die IT-Investition anbelangt. Drittens muss man auch sehen, die Ressourcen im Bereich der Entwickler oder der digitalisierungstechnologischen Anbieter sind auch begrenzt, insofern sehr gut unterwegs. Auch da tut sich dann ein gewisses Problem auf, was der Einzelne – und da stütze ich Ihre These – nur sehr schwer auflösen kann. Ich will noch einen Punkt hineingeben. Das Stichwort von Ingolf finde ich klasse, Clearing. Ich glaube, das muss man, wenn man eine Plattform hat, die also auch interagiert, Deal-fokussiert ist, Abschlüsse zulässt, also auch Geschäftsvorfälle managt, im Sinne von Vertragsabschluss oder im Weiteren nachvertragliche Dienstleistungen organisiert. Clearing kennen wir ja auch aus dem Finanzmarktbereich. Das halte ich für eine ganz wesentliche Funktion, die so eine Plattform haben müsste, die diese Informationsdefizite oder Verarbeitungsdefizite im technologischen Sinne auch überbrückt und möglicherweise da auch für Haftungsproblematiken oder für Haftungslösungen sorgt, falls es zu solchen infolge dieser Unterschiede kommen sollte. Das ist die Aufgabe einer Clearing-Stelle.

Benjamin Zühr: Das ist eine ganz spannende Sache, weil wir so ein bisschen zur Rolle einer Plattform kommen. Dazu würde ich gerne einmal Ihre Meinung wissen. Sehen Sie eine solche Plattform eher als einen aktiven Marktteilnehmer, also wie so eine Art Vermittler, oder eher einen passiven Teilnehmer, also wirklich eine im Zweifel neutrale Plattform, wo andere aktive Teilnehmer sich treffen, um Geschäft zu machen?

Rainer Witzel: Spontan musste ich an Check24 und deren permanente Rechtsstreitigkeiten denken, was sie eigentlich nun sind, Vergleicher und, oder Vermittler. Ich glaube, das ist eine Irritation, die sollte man – so als erster Impuls von mir – vermeiden. Vermittler und Plattform im Sinne eines Angebotes für den Markt, da habe ich so ein gewisses Störgefühl.

Ingolf Putzbach: Wenn man erst einmal eine bestimmte Marktmacht hat, dann neigt man natürlich dazu, das auch vielleicht ein bisschen zu weit zu treiben. Dann macht man nicht mehr den Vergleich, sondern ist man in gewisser Weise provisionsgesteuert, aber was noch viel schlimmer ist, man kreiert dann plötzlich eigene Produkte, weil man ja weiß, wie dieser Algorithmus funktioniert. Man kann sich da natürlich von irgendjemandem ein schönes Produkt mit einer ordentlichen Marge bauen lassen und das so seinen eigenen Kriterien anpassen oder umgekehrt, die Kriterien seinem Produkt anpassen, dass man da für sich noch eine weitere Erlösquelle findet, die attraktiv ist. Ich finde, dann wird es schwierig. Dann wird man der Rolle des ehrlichen Maklers oder der Plattform, die für alle da ist, nicht mehr gerecht. Die Versuchung ist natürlich groß. Aber das ist sicherlich der Grund, warum heute relativ wenig Leute heute gut über Check24 sprechen. Aber aus dem Konsumentenmarkt ist die Plattform natürlich nicht mehr wegzudenken. Es gibt auch einfach weit und breit keinen Challenger mehr. Die Frage ist dann eben, ob dann irgendwann der Regulierer auf den Plan treten muss – das sehen wir ja auch in Teilen schon -, um Auswüchse zu verhindern.

Rainer Witzel: Ich glaube schon, man muss von vornherein den Anschein vermeiden, dass es in irgendeiner Form einen Kratzer an der Objektivität im Sinne der Gleichbehandlung aller Teilnehmer zu Lasten der Plattform gibt. Ich denke, die Plattform muss total neutral, objektiv sein und jeder Versuchung widerstehen, wie du sagst, Ingolf, zum Beispiel über ein ausgefeiltes Gebührenmodell dann denjenigen zu bevorzugen. Der steht dann immer ganz weit oben – Surprise, Surprise -, weil er die größte Benutzer-Fee zahlt. Das muss man, denke ich, von vornherein ausschließen. Wir hatten die Diskussion bei Inex auch. Man wird automatisch mit Fragen konfrontiert. Ich denke, dass man das im Aufsatz des Geschäftsmodelles in seiner Geschäftsordnung ganz klar machen soll, wofür die Plattform steht und wofür eben nicht. Die Versuchung ist da. Was eine Plattform aber machen kann, ist natürlich, aufgrund auch dieses breiten Ansatzes oder einer breiten Abdeckung, die sie sicherlich irgendwann einmal erreichen sollte, kann sie natürlich anonymisierte Peergroup-Vergleiche, Benchmarking und so weiter betreiben und an den Markt zurückspielen. Ich denke, davon können alle profitieren. Der eine Markt sollte Daten einkaufen, der andere nicht. Das ist dann, denke ich, möglich. Das Ganze (spielt?) sich auch im Kontext des Ertragsmodells ab, meine Eingangsbemerkung. Es ist nicht ganz ohne, ein gutes und tragendes Ertragsmodell für solche Plattformen zu betreiben. Deswegen sagen ja viele, es wird nie gehen, weil damit kein Geld zu verdienen ist, deswegen muss es in eine e.V.-Struktur, also Vereinsstruktur gehen. Ich glaube, dass man das klarstellen kann, dass es solche Interessenskonflikte nicht gibt.

Ansgar Knipschild: Jetzt haben wir mehrfach auch von neutralen Plattformen gesprochen. Aber ich habe jetzt aus dem Gespräch heraus eher das Bild von eher zentralisierten Plattformen, also im Betreibermodellen im Hinterkopf. Jetzt könnte man auch im technischen Spektrum in eine ganz andere Ecke gehen, nämlich komplett dezentral aufgebaute Plattformen. Die Banken kennen das Thema, das große Stichwort 2020 oder vermutlich Hype-Wort 2021, DeFi, Decentralized Finance, Blockchain natürlich als der große Hype-Begriff. Ich möchte jetzt weniger in die Technik hineingehen als eher in die Denke, die dahintersteckt und wirklich von Partner zu Partner direkt Transaktionen zu unterstützen. Das ist jetzt einmal rein vom Marktdesign her der Gedanke, der dahintersteht. Wäre das nicht auch ein Modell für die Industrieversicherung, dass man sagt, wir denken Plattform wirklich einmal als Infrastruktur, versuchen, dort diese Standards, die wir sowieso brauchen, zu bauen und schauen eben, wie wir autarke Systeme miteinander vernetzen? Das hört sich jetzt bestimmt auch ein bisschen sehr visionär an, gerade für diese Branche, wie wir dann den fünften Schritt vor dem zweiten machen, aber die Idee des Peer to Peer, man kommuniziert direkt digital miteinander, hat ja auch etwas. Oder wie sehen Sie das?

Ingolf Putzbach: Definitiv hat das etwas. Ich finde die Idee auch charmant. Ich finde es technologisch spannend. Aber ich finde es auch sehr spannend, was das für den Markt bedeutet, weil Märkte häufig auch deshalb starr sind, weil sich eigentlich an den grundlegenden Strukturen nichts ändert. Wir haben gerade in der Industrieversicherung eine sehr dominante Maklerschaft, die grundsätzlich bei jeder Transaktion eine Rolle spielt. Die Industriekunden haben eigentlich keinen echten Anreiz, direkt mit Versicherern oder anderen Unternehmen, die irgendwo Risikoabdeckung, Risikokapital, wenn man so will, auch zur Verfügung stellen können, ins Geschäft zu kommen. Wenn solche Märkte so zementiert sind, dann führt das auch nicht unbedingt dazu, dass sie besonders innovativ sind und dass sich auch neue Modelle herausbilden, vielleicht auch auf Basis neuer Technologien. Insofern finde ich das als Vision sehr geeignet. Ob man das im ersten Schritt gleich hinbekommt, wage ich allerdings stark zu bezweifeln. Man kann sicherlich schauen, was im Banking, in der Finanzwirtschaft insgesamt passiert. Auch bei dem ganzen Fintech-Thema ist diese Branche sicherlich weiter als die Versicherungsbranche, wo wir aber jetzt nach meinem Gefühl eine gewisse Aufholbewegung in Teilen haben. Insofern finde ich, solche Visionen immer mitzudenken, wenn man über neue Konzepte und Plattformen nachdenkt, auf jeden Fall hilfreich. Für den einen ist es vielleicht Motivation und für den anderen vielleicht auch eine gewisse Bedrohung und die Aufforderung dazu, auch bei solchen Entwicklungen dann von vornherein dabei zu sein, um möglicherweise auch nichts zu verpassen.

Rainer Witzel: Ich bin ziemlich sicher, dass in der Minute, in der wir jetzt hier gerade darüber reden, in irgendeinem Laboratorium eine solche Idee ausgetüftelt wird. Beziehungsweise gibt es sie ja schon, nicht nur in den Köpfen, denke ich, so viel kann man sagen. Sondern sie haben schon das Stadium des Reißbretts verlassen, um es einmal etwas kryptisch zu beschreiben. Ich erinnere mich an die Reaktion eines Venture-Capital-Anbieters, der gesagt hat: „Das ist ja ein reinrassiges Attacker-Modell.“ Das ist es in der Tat. Das würde, wie Sie es angedeutet haben, die Branche, die Industrieversicherung komplett disruptieren, indem es auch die Vermittlerrolle in Frage stellt. Die Versicherer würden jetzt vielleicht auch glühende Ohren und glänzende Augen bekommen, weil es wahrscheinlich auf Schlag eines ihrer dringenden Probleme, die Kostenquote ein bisschen mit löst, weil die auch sehr stark von den Provisionen zu Gunsten des Maklers dominiert wird. Ich glaube persönlich nicht daran, weil die Industrieversicherung oder das Industrieversicherungsprodukt immer noch in hohem Maße erklärungsbedürftig ist und berechtigte Individualitäten hat. Das sollte nicht heißen, dass man den Prozess der Entstehung eines Industrieversicherungsvertrages ein Stück weit automatisieren kann. Das Design als solches und auch das Handling, dahinter steckt wirklich immer noch sehr viel manuelle, manufakturielle Handarbeit. Insofern wird es nicht ganz ohne Intermediäre nicht gehen. Dass diese sich natürlich auch ein Stück weit neu erfinden müssen, das steht außer Frage. Aber insofern glaube ich nicht, dass es solche harten Disruptionen unter Ausschaltung ganzer Anteile in der Wertschöpfungskette, sprich der Vermittler, kommt. Zum anderen hat man schon vor einigen Jahren einige Blockchain-Konzepte gesehen, die in der Industrieversicherung hier und da ausprobiert worden sind. Das ist dann ein Stück weit wieder im Hype abgeebbt. Ich glaube, die Vertragsschlussseite, die technische Abwicklung oder das Zustandekommen, das Kontrahieren im finalen Punkt ist technisch auch anderweitig gut lösbar geworden. Da besteht sicherlich noch nicht der ganz große Bedarf, auf Blockchain oder andere technologische Ansätze zurückzugreifen. Das wird sicherlich einmal kommen, aber die Frage wird immer wieder diskutiert werden, wie viele Vermittler brauchen wir zu welchen Kosten. Spätestens, wenn alles transparent ist, werden natürlich auch die Kunden fragen, wie viel bezahle ich dir und wofür. Das tun sie teilweise, aber eben noch nicht so durchgängig, dass es also dann unangenehm und schmerzhaft wird. Aber alle Makler müssen sich sicherlich in den nächsten Jahren darauf vorbereiten, diese Frage ihren Kunden A gut zu beantworten und dann auch B zu erklären, was ist Teil ihrer Leistung und was ist dafür an Entgelt gerechtfertigt. Das wird, glaube ich, noch von einigen ein bisschen unterschätzt. Wird aber kommen.

Ansgar Knipschild: Die Frage, die ich im Kopf hatte, war weniger darauf bezogen, ob wir die Intermediäre im Sinne der Vermittler überspringen, sondern einen weiteren Intermediär Plattform noch dazu packen. Wenn wir sagen, wir haben den Makler als Beispiel, wir haben den Versicherer und jetzt kommt noch eine Plattform dazwischen. Ich finde zum Beispiel die Initiative B3i ganz spannend, die es eher von der Rückversicherungsseite her aufdröselt und die zwar nur langsam wachsen, an Signifikanz zunehmen, aber sie sind in Produktion und es sind nach meinem Kenntnisstand auch ein paar größere Rückversicherungsverträge hier von den Teilnehmern direkt digital abgeschlossen worden. Ich glaube, das ist eine Initiative, die man auch im Auge behalten sollte und die in diesem sehr kleinen Bereich – Beziehung Rückversicherer, Versicherer -, wo man, glaube ich, auch gut einmal draufgucken kann.

Rainer Witzel: Absolut. Insofern gesehen war auch die Initiative von zwei Rückversicherern, der Munich Re und der Swiss Re Ende der neunziger Jahre der Vorvorgänger von Inex. Das war ein Plattformgedanke namens Inreon. Insofern glaube ich, dass auf der Rückversicherungsseite dort sehr viel auch Intention dahintersteckt, diese Prozessgestaltung doch etwas anders aufzusetzen, als es derzeit der Fall ist. Insofern glaube ich auch, da muss man noch einmal genauer hinschauen. Ich verstehe die Plattformen dann aber auch weniger als zusätzlichen Vermittler, sondern als Enabler, der versucht, die unterschiedlichen Akteure, die bei einem Vertragsabschluss auftreten, besser miteinander zu vernetzen. Also das ist so ein Enabler, ein Connector. Aber so als zusätzlichen Intermediär, der da auch noch entsprechend umsatzabhängige Provision kassiert, ich glaube, das ist eher schwierig.

Benjamin Zühr: Ich würde gerne noch auf einen anderen Punkt eingehen. Wir hatten vorhin das Beispiel Microsoft versus Linux genannt, in dem Fall Open Source. Ich hatte es jetzt so verstanden, dass doch die Tendenz eher dahingeht, dass Sie daran glauben, dass so eine Plattform doch eher von einem Konglomerat von unterschiedlichen Unternehmen aufgebaut werden sollte oder vielleicht von ein, zwei Unternehmen, je nachdem, wie man es macht, wie man sich einigt. Wie könnte Ihrer Meinung nach die Weiterentwicklung und der Betrieb einer solchen Plattform organisiert werden, hinsichtlich Softwareentwicklung, Marketing, Vertrieb etc.?

Rainer Witzel: Das ist jetzt schon ein Blick in die Zukunft. Wenn es gelingt, dass eine solche Plattform sich anerkannt etabliert und von allen Seiten auch unvoreingenommen benutzt wird und sie findet ein angemessenes Betreiber- und damit Ertragsmodell, glaube ich, dann würde die Weiterentwicklung einer solchen Plattform in technischer Hinsicht, glaube ich, nicht das Problem sein. Es sind, wie Ingolf Putzbach das eingangs gesagt hat, so viele Weiterentwicklungen im Sinne Datenmanagement, Ausbau der Kollaborationsebenen möglich und denkbar, sodass das eine für mich noch nicht absehbare Fortentwicklung in sich trägt. Das wäre für meinen Geschmack, glaube ich, nicht das Problem, sich vorzustellen, dass so eine Plattform, die zum Beispiel mit einer Ausschreibungskomponente beginnt, sich in allen möglichen Richtungen ausbreiten kann und die Kollaborationen auf vielen Ebenen zwischen den Parteien auch unterstützt. Sie sollte also auch technologisch ständig an Weiterentwicklung interessiert sein und auch genügend Geld verdienen, um dieses auch entsprechend umzusetzen.

Ansgar Knipschild: Ich glaube, wir hatten ein sehr spannendes Gespräch hier in dieser Viererrunde. Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei Ihnen, Herr Witzel und Herr Putzbach, für die Teilnahme an der Diskussion, einer sehr spannenden Diskussion, in die Einblicke, die Sie uns gewährt haben, in Ihre Überlegungen, in Ihre Sicht der Dinge bedanken. Ich möchte noch einmal kurz auf die Veranstaltung hinweisen, die wir auch am Anfang erwähnt hatten, am 25. von 9:30 Uhr – zum Thema Digitalisierung der Industrieversicherung – Was bleibt vom Nasengeschäft, also neben dem Sehnsuchtsthema auch ein ganz spannender Titel. Dazu wünsche ich Ihnen natürlich viel Erfolg und auch gerne hier an die Hörer noch einmal weitergeben. Es ist eine Onlineveranstaltung, wo Sie sich gerne entsprechend registrieren können. Herr Putzbach, haben Sie noch ein, zwei Sätze zu den Themen, die Sie dort diskutieren wollen?

Ingolf Putzbach: Neben dem Plattformthema werden wir uns natürlich noch einmal dem Renewal-Thema widmen, was wir auch eingangs unserer Diskussion heute schon angesprochen haben und ein bisschen aufarbeiten, was ist da schiefgelaufen, warum kochen die Gemüter so hoch, gibt es da einen Ausweg. Generell wollen wir uns natürlich noch einmal ein bisschen genauer anschauen, wie eigentlich dieser Markt in Zukunft besser funktionieren kann, in der Kommunikation zwischen allen Teilnehmern. Wichtig ist es uns, dass die Argumente alle auf den Tisch kommen. Aber wir wollen vor allen Dingen auch lösungsorientiert sein und nicht nur Krawall machen. Ich glaube, auch angesichts der Teilnehmer ist auf jeden Fall für gute Unterhaltung gesorgt. Wir haben auch tatsächlich schon sehr viele Anmeldungen. Insofern trotzdem noch einmal an Sie auch herzlichen Dank. Nicht nur, dass wir heute bei dem Podcast teilnehmen durften, sondern auch für diesen kleinen Werbeblock.

Rainer Witzel: Dem möchte ich mich auch anschließen. Danke für die netten Worte. Insofern will ich das noch ergänzen. Wir haben eine Runde dort zusammengebracht, die nach vorne schaut und nicht gegenseitig mit dem Finger auf den anderen zeigt und damit die eigene Reflexion verhindert. Wir haben sogar echte Kunden mit dabei, die als Industrieunternehmen auch sich da entsprechend artikulieren können. Das ist auch nicht in jedem Format so der Fall. Insofern versuchen wir einfach einmal, eine Diskussion nach vorne zu beginnen, wie müsste dann die Zukunft ausschauen. Darauf freuen wir uns einfach. Insofern ist der Gedankenaustausch heute, glaube ich, schon auch ein Teil der Diskussion, die wir zukünftig noch intensiver führen müssen.

Ansgar Knipschild: Vielen Dank an die gesamte Runde. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Bleiben Sie gesund in diesen Zeiten! Ich denke, wir werden uns bestimmt demnächst hier an der Stelle noch einmal sprechen. Danke schön und Tschüss.

Rainer Witzel: Danke.

Ingolf Putzbach: Ja, Tschüss.

Benjamin Zühr: Bis bald.

Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.

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