ID#09

25.01.2021

Marcel Armon: Renewal – auf dem Prüfstand!– ID#09

Wie läuft der Renewal-Prozess heute in der Praxis und wie könnte man ihn fachlich, prozessual und digital verbessern? Was lehrt die harte 2020er-Runde? Dazu haben wir uns mit Marcel Armon unterhalten, einem langjährigen Branchenkenner und Experten für das Maklergeschäft. Zum Schluß wird ein Blick in die Kristallkugel geworfen: Wie könnte ein neues, digitales Renewal 2030 aussehen?

Im Gespräch: Ansgar Knipschild und Benjamin Zühr & Marcel Armon.

Länge: 41 Min.

Transkript

Ansgar Knipschild: Hallo und herzlich willkommen zur neuen Ausgabe von Industrieversicherung digital. Heute wollen wir uns das Thema Renewal auf dem Prüfstand vornehmen. Und nachdem das letzte Renewal bei den meisten Marktteilnehmern zum Jahreswechsel inzwischen abgeschlossen sein sollte, ist es ein guter Zeitpunkt, genau jetzt sich über dieses Thema zu unterhalten.

Benjamin Zühr: Hallo ebenfalls von meiner Seite. Dieses spannende Thema wollen wir heute mit unserem Experten Marcel Armon, einem absoluten Branchenkenner besprechen, der die letzten Jahre in unterschiedlichsten Maklerfirmen Erfahrungen gesammelt hat. Unter anderem hat er vor 21 Jahren einen eigenen Makler gegründet, bevor er 13 Jahre für die Funk Gruppe gearbeitet hat und im Anschluss als Geschäftsführer bei der Dual tätig war und dann als Geschäftsführer zu Hendricks und Howden Sicherheit International gewechselt ist. Herzlich willkommen Marcel.

Marcel Armon: Vielen Dank für die tolle Einführung Benni, ebenfalls von mir ein Hallo nach Köln und Hamburg und ins Homeoffice, oder Home der vielen Zuhörer. Ich freue mich, dass wir uns sprechen.

Ansgar Knipschild: Dann gebe ich einen inhaltlichen Überblick. Einmal ganz kurzer Einstieg, was das Thema Renewal ist, dann einen Rückblick, wie es in der Praxis gelaufen am Beispiel des letzten Jahres und wir wollen ebenfalls darüber sprechen, das Ganze auf den Prüfstand stellen, was man fachlich, prozessual und digital verbessern könnte und zum Schluss, wie wäre ein neues und digitales Renewal in der Zukunft. Wie würden wir uns das wünschen, vielleicht schon zwanzig, 21, 22.

Benjamin Zühr: Und bevor wir in die Tiefen des Renewals einsteigen, wollen wir einmal, Marcel, dich fragen, was genau ist ein Renewal?

Marcel Armon: Renewal ist nichts anderes als eine Vertragsverlängerung, der Prozess darum. Klar werden die Verträge erst mal für ein Jahr abgeschlossen und verlängern sich automatisch, wenn man nichts macht, aber es ist so, dass beide Parteien und meistens geht es vom Versicherer aus, das Risiko noch einmal bewertet und überlegt zu welchen Konditionen es weiter zeichnen möchte, oder kann. Und unter Renewal versteht man diesen Verhandlungsprozess.

Ansgar Knipschild: Du hast die Versicherer als hauptsächliche Treiber des Prozesses genannt. Marcel. Klar, sie sind die Risikoträger und haben ein Interesse daran, jährlich die Risikosituation der Kunden nochmal neu einzuordnen, neu zu bewerten. Firmen verändern sich, werden größer, haben mehr Mitarbeiter, haben Zukäufe etc., aber wir haben den Versicherungsnehmer ebenfalls dabei, der seine Risiken abdecken will und den Makler dazwischen. Was für Interessen haben die bei diesem Prozess?

Marcel Armon: Es ist in der Tat so, das kann von beiden Parteien ausgehen und betrachten wir die letzten 15 Jahre, ging es meistens vom Kunden aus, insbesondere darum, dass Kunden das Ziel verfolgt haben, bessere Konditionen zu bekommen, angemessen Betriebe zu überprüfen, nachzuverhandeln, bessere inhaltliche Klauseln. Das hat sich in den letzten zwei, drei Jahren verändert, insbesondere 2020 das letzte Renewal, das letzte halbe Jahr hat der Markt gedreht. Gedreht heißt, es ist nicht mehr ein Käufermarkt, bei dem die Kunden am längeren Hebel sitzen, sondern ein Verkäufermarkt und den Anstoß zum Prozess, zur Verhandlung, oder der verhandlungssichere Partner in diesem Spiel ist jedes Mal der Versicherer. Im Grunde geht es darum, der Kunde hat ebenfalls Interesse in weichen Phasen, also wenn man an (Ton) geht, will der Kunde den Trend mitnehmen und der Makler hilft ihm dabei, und wenn der Markt hart wird und die Preise nach oben gehen, will der Kunde möglichst nicht den Trend mitnehmen und der Makler hilft ihm dabei. So muss man das verstehen. Nach oben abfedern und nach unten alles mitnehmen.

Ansgar Knipschild: Ich würde gerne noch einmal nachfragen, du hast stark über die Preis gesprochen, verständlich, wie sieht es mit inhaltlichen Themen aus, ist das ebenfalls gerade von Kundenseite ebenfalls ein Thema, oder ist das eher seltener, dass man sagt, ich möchte an meinem Risikokonzept etwas verändern?

Marcel Armon: Das ist eine gute Frage, weil das gehört zum Renewal Prozess, zur Vertragsverhandlung. Geht es vom Kunden aus, endet das meistens in einer neuen Ausschreibung, wenn der Kunde sagt, ich möchte ein anderes Konzept haben, muss der Versicherer ein Konzept nur überpreisen und neu darüber nachdenken. Wenn wir über Bedingungen reden, reden wir meistens darüber, dass es eher vom Versicherer ausgeht, weil systemisch etwas im Bestand gemacht wird im Portfolio. Und wir nehmen jetzt aktuell die Thematik, dass Versicherer, zum Beispiel, sagen, wir wollen systemisch eine Covid-Klausel vornehmen, Pandemie-Risiken, Schäden im Zusammenhang damit aus unserem Versicherungsschutz herausnehmen, beziehungsweise klarstellen, dass es nicht mit gedeckt ist. Oder wir hatten vor zwei, drei Jahren die Klarstellung Silent Cyber, wir möchten klarstellen, dass Cyber nicht in unseren Deckungen drin ist. Dieser Prozess wird doch eher vom Versicherer getrieben, wenn es systematisch ist.

Benjamin Zühr: Du bist gerade schon kurz auf Prozesse eingegangen und hat gesagt, letztendlich beteiligte sind Kunde, Makler, Versicherer, je nachdem von wem es ausgeht. Kannst du noch etwas detaillierter auf die Prozesse des Renewals eingehen?

Marcel Armon: Man kann das Wort Renewal ein bisschen durch Underwriting ersetzen, weil im Grunde ist es ein neues Underwriting, ein Re-underwriting. Der Versicherer schaut sich noch einmal die Risikoverhältnisse und Gegebenheiten an und überlegt, kann ich das so weiter machen zu den bisherigen Konditionen? Und dazu braucht er neue Daten, aktuelle Daten. Die Daten braucht er vom Kunden und dann fragt er den Kunden respektive den Makler, der die Daten beschaffen soll. Das ist der Prozess, wie es aktuell ist, ist etwas schwieriger verlaufen, weil ihr könnt euch vorstellen, so ein Versicherungsbetrieb ist nicht dafür da, dass hundert Prozent der Verträge, oder die Mehrheit der Verträge in so wenigen Wochen einem Underwriting, oder einem Überdenkungsprozess unterzogen werden, wenn man sagt, so Pi mal Daumen ein Drittel der Verträge werden jährlich überhaupt angeschaut, der Rest wird automatisch verlängert, weil da nichts zu tun ist. Im letzten Renewal war die Situation eine andere, es gab Druck, ebenfalls das Portfolio zu verändern. Wir können darüber sprechen, warum eigentlich, was die Faktoren waren. Da gibt es verschiedene Meinungen von Experten. Ich möchte darauf gar nicht eingehen, Fakt war, dass viele Versicherer gesagt haben, wir möchten ein Portfolio-weise Veränderungen herbeiführen und dann haben wir schon gesehen, dass Versicherungsbetriebe dafür nicht ausgelegt sind, sechzig, siebzig, achtzig Prozent ihrer Verträge in wenigen Wochen zu bearbeiten. Dass einfach die Manpower nicht da ist. Ist ja verständlich, alle gucken auf Kosten, Personal, Equipment wird so dünn wie möglich gehalten. Das trifft aber ebenfalls Makler, die Makler waren ebenfalls nicht in der Lage, oder nicht in der Lage, kann ich nicht sagen, aber schwer in der Lage, die Wünsche der Versicherer zeitnah an den Kunden weiterzutragen, weil nur damit, dass der Versicherer das bearbeitet hat, ist es nicht getan, der Makler muss es ebenfalls nochmal dem Kunden andienen und erklären und darüber beraten. Das sieht man schon, dass die Underwriting Räume, oder der Underwriting Prozess, oder die Manpower Kapazität zum Flaschenhals geworden ist in diesem gesamten Prozess Renewal, und dass das schon kollabiert, wenn die Branche strukturiert, systematisch Portfolien überarbeiten möchte.

Benjamin Zühr: Aber letztendlich ist es schon so, wenn das ein wiederkehrender Prozess ist, sollten die Versicherer ebenso wie die Makler damit rechnen, dass es ein Renewal gibt und mal gibt es schweres Renewal, wo mehr Verträge angefasst werden müssen, mal nicht. Es ist sehr, sehr schwer sich diesem Ritual flexibel zu stellen. Gibt es noch weiter Punkte, die momentan im Renewal stören?

Marcel Armon: Ein Renewal ist keine Überraschung, weil er jedes Jahr wiederkehrend ist und es ist inhaltlich nicht besonders aufregend bei dem Makler, du weißt ja aus Erfahrung, was der Versicherer fragen wird, zum Beispiel, neue Verdienstdaten, Bilanzen, Schadenhistorien, neue Tochtergesellschaften im In- und Ausland, Versicherungssummen und so weiter. Es ist keine Überraschung und für den Versicherer ist der Prozess ebenfalls keine Überraschung, gleichwohl verhält sich das schon fast wie Weihnachten, irgendwie wissen wir, dass es jedes Jahr kommt und plötzlich ist es da und dann ist schon wieder Renewal und das hektische Treiben danach ist ebenfalls wie Weihnachten. Alle auf dem Weg Geschenke zu kaufen. Ich habe ebenfalls jedes Jahr mir vorgenommen, im Oktober schon bei Amazon Sachen zu bestellen, habe ich ebenfalls nie gemacht und in den drei Wochen vor Weihnachten, zwei Wochen anfangen zu überlegen, was schenke ich meiner Frau? Ich glaube, das liegt in der Natur der Dinge, dass das zeitkritisch läuft. Es ist ja kein definierter Prozess. Vom Versicherer zu Versicherer läuft das anders, im Versicherer von Underwriter zu Underwriter läuft das anders und die Versicherer werden dann ebenfalls sagen, von Makler zu Makler läuft das anders. Es ist ein Titel-Business.

Benjamin Zühr: Aber ist das in jeder Sparte so, oder ist das von Sparte zu Sparte unterschiedlich? Erkennst du da Unterschiede, oder ist das spartenübergreifend?

Marcel Armon: Ich würde sagen, in den relevanten Sparten ist das spartenübergreifend. Ich stelle nur fest, selbst Versicherungsbereiche mit nicht so viel Aufregung und Optionen, Varianz in der Gestaltung werden von Beteiligten gerne als zu komplex und zu individuell bezeichnet, dass man da Prozesse definieren könnte. Um das vorsichtig zu formulieren, die Aussage, zu der ich stehe, ist, diese Komplexität, über die wir reden, ist nicht gottgegeben, die ist hausgemacht. Es ist eine hausgemachte Komplexität.

Ansgar Knipschild: Können wir noch einmal etwas tiefer in den Prozess einsteigen, wie es in der Praxis läuft? Du hast gesagt, im Normalfall dreißig Prozent der Verträge, vierzig Prozent werden angepasst. Wie kommunizieren, zum Beispiel, Maler und Versicherer ganz konkret miteinander, um diese Menge zu identifizieren, bevor sie dann überhaupt in den nächsten Schritt hineingehen und sich die einzelnen Veränderungen anschauen? Wie passiert das praktisch, werden da Listen per E-Mail verschickt, oder so? Kannst du das einmal beschreiben?

Marcel Armon: Das ist eine gute Frage und ich habe beide Extreme schon erlebt. Ich habe das Extrem erlebt, frühzeitig Mitte des Jahres nach den Sommerferien – mein Erlebnis basiert auf meiner Maklererfahrung – haben Makler Bestandslisten ausgedruckt und dem Versicherer geschickt und wir haben gefragt: „Können wir davon ausgehen, dass wir die dieses Jahr nicht mehr anfassen müssen?“ Und das ist ideal, wenn nicht viel zu verändern ist, wird der Versicherer wohl sagen: „Ja.“ Aber der Podcast dreht sich ja um Situationen, bei denen wirklich etwas zu tun ist, weil der Markt das erfordert und weil die Umstände sich geändert haben, weil die Schadenssituation sich ändert, weil wir Cyberkriminalität in großen Stil haben, oder Corona. Wenn alles Friede, Freude, Eierkuchen wäre und wie auf dem Ponyhof müssten wir nicht digitalisieren, könnten wir ebenfalls Mehrjahresverträge abschließen, klar. Der Fall, den wir leider erleben, und ich habe wenig positives darüber zu berichten, wenn einmal wirklich etwas zu tun ist, ist das andere Teil. Und wir haben vorhin davon gesprochen, ist das doch der Versicherer, weil der möchte sein Portfolio anders gestalten, sehr spät, Time ist ebenfalls ein Faktor mit Wissen auf Makler zugeht und sagt: „Zu folgenden Verträgen habe ich Fragen.“ Damit geht es los. Und dann versucht der Makler diese Verträge wieder den Kundenberatern zuzuordnen, dann versuchen die Kundenberater diese Fragen zu eruieren beim Kunden, dann gehen die Daten wieder gesammelt, oder nicht gesammelt an den Versicherer zurück und das ist so ein Prozess, ich würde sagen, vielleicht fängt der mal mit einer Excel Liste an, danach verliert sich das aber schon deutlich. Schade ist es dann, wenn nochmal so eine Excel Liste dann kommt kurz vor der Kündigungsfrist und das dann heißt: „Ja, wir haben jetzt doch überlegt, wir müssen uns davon trennen.“ Die Kommunikation ist und das Timing sind zwei Faktoren, die da schon echt eine Rolle spielen.

Ansgar Knipschild: Wenn ich das zusammenfasse, wir reden über Listen und je nach Bestand können das mehrere hundert oder tausend, größere Bestände, oder wenn es kleinteiliges Geschäft ist.

Marcel Armon: Durchaus.

Ansgar Knipschild: wo mindestens zwei Parteien, Makler und Versicherer, jeweils unterteilt noch in verschiedene Sachbearbeiter diese Listen zusammenpacken, wieder auseinandernehmen, bewerten, das Puzzle wieder zusammensetzen, was sich schon in Zeiten von Schnittstellen und digitalen Systemen etwas abenteuerlich anhört, dass man einen, ich glaube, nicht unerheblichen Teil der Zeit alleine auf das Organisieren verlegt. Ich bin jetzt noch nicht bei der Risikobewertung, sondern alleine beim Matching habe ich den Vertrag überhaupt noch? Finde ich ihn? Könntest du Pi mal Daumen sagen, das reine organisatorische Handling, wie viel macht das beim Renewal aus?

Marcel Armon: Von deiner Beschreibung hast du die Meinung, wenn du weißt, wie es bei uns aussieht, weil du hast selbst als Makler gearbeitet, weil genau das ist es. Es ist exakt so. Die Liste kommt, da ist noch strukturiert, welcher Kundenberater hat den Vertrag, dann wird es verteilt. Eine Person, die das koordiniert, gibt es nicht bei Maklerhäusern, die haben keine Renewal Beauftragten.

Benjamin Zühr: Das ist ein Fulltime Job?

Marcel Armon: Das ist ein Fulltime Job mit Einschränkungen, in einigen der Häuser für die ich tätig war, hatten wir ein Renewal Team auserkoren, was diesen Prozess gesteuert hat. Und ich kann dir die Zahlen dazu sagen, wir haben ein achtzig Mann Maklerhaus und das Renewal Team bestand aus vier bis sechs Personen in dieser Hochphase Q drei, Q vier. Und die haben die Aufgaben gut gemacht, aber es ist keine hochwissenschaftliche Aufgabe, weil die Hauptthematik dahinter war intern den Kolleg*innen hinterherzulaufen, zu sagen: „Hast du die Mail bekommen? Hast du die Information? Ach, du hast sie geschickt? Hast du sie direkt an den Versicherer geschickt? Wo hast du es denn hingeschickt, wo hast du es denn abgelegt? Ah ja.“ Ich meine, das ist wenig erquickend, was da passiert. Wir reden ja jetzt von Kundenberatern,. oder Fachleuten, die ihre Zeit ebenfalls anders mehrwertstiftend für den Kunden investieren könnten, als Informationen hinterherzulaufen.

Ansgar Knipschild: Manch ein Zuhörer, egal ob Makler oder Versicherer wird sich darin wiederfinden können?

Benjamin Zühr: Letztendlich hört es sich nach einem Zeitfresser an und nach ganz, ganz viel administrativer Arbeit, ganz viel Listen zusammenpacken und auswerten und ganz viel Excel. Wenn ich mir dich anhöre, hört man, dass das ganz stark hausgemachte Probleme sind auf allen Seiten der Versicherer, des Vermittlers in Teilen ebenfalls, was die Organisation angeht und vielleicht sogar der Versicherungsnehmer. Im Zweifel ebenfalls, wie er die Daten liefert. Und gefühlt ist es unglaublich viel manuelle Annahme und ich frage mich, wann läuft ein Renewal durch? Nach meinem Verständnis, wahrscheinlich im Zweifel, wenn der Vertrag positiv läuft. Und dann frage ich mich gerade in schwierigen Zeiten, wo der Markt sich immer mehr verhärtet, warum da häufig eine eher sparten-bezogene Sicht besteht und nicht der Kunde als solches als ganzes betrachtet wird? Im Zweifel könnte sogar die ein oder andere Anpassung vermieden werden. Das ist eine Hypothese, aber wenn ich mir das anhöre, schreit das für mich auf allen Seiten nach Verbesserungspotenzial. Für mich ist die Frage, an welchen Stellschrauben denkst du, könnte man drehen egal auf welcher Seite?

Marcel Armon: Benni, du es gerade sehr schön formuliert, es ist wirklich hausgemacht, diese Komplexität hinter der sich Beteiligte gerne verstecken. Wenn wir mit Beteiligten, ob Makler oder Versicherer sprechen und es darum geht, könnten wir unser Industrieversicherungsgeschäft digitalisieren, oder Prozesse digitaler durchführen, oder überhaupt Prozesse definieren, vereinheitlichen, dann kommen sofort die gleichen Bedenken hinsichtlich, das sei zu komplex, das ist zu individuell. Niemand zwingt uns, ob Versicherer, oder Makler zu Komplexität. Wir haben Vertragsfreiheit in Deutschland, wir können das so definieren, wie wir möchten. Wir können die Komplexität einfach herausnehmen. Ich habe den Eindruck, dafür gibt es schon Verständnis, die Erkenntnis ist da. Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Motivationsproblem. Die Motivation der Beteiligten ist noch nicht da und das kann ich mir nur so erklären, dass der Schmerz noch nicht groß genug ist. Wir könnten es überspitzen und das wird nicht passieren, aber lasst es uns kurz mal ein bisschen spinnen. Wenn jetzt Verbraucherbehörden sagen würden, eure internen Kosten in Betreuung etc dürfen nur zehn Prozent der Prämie ausmachen, dann hätten wir einen Motivationsschub, das zu tun, indem wir Vereinheitlichung betreiben. Ich möchte ein Beispiel bringen, was ich mit Vereinheitlichung meine. In meiner letzten Tätigkeit ging es darum, dass wir Versicherungsbestände, Policen einer bestimmten Sparte, in dem Fall TNO digitalisieren und zwar Bedingungen digitalisieren. Und es stellte sich sehr schnell heraus, dass wir eine bestimmte Klausel, die Insolvenzklausel, es geht darum, der Versicherer möchte Schäden im Rahmen einer Insolvenz nicht versichert haben und es wird ein Insolvenzausschluss drauf genommen. Dieser ganze Sachverhalt sollte zwei Sätze haben, maximal drei Sätze. Und wir haben im Bestand über fünfzig verschiedene Versionen von Insolvenzklausel gefunden, die alle das gleiche ausdrücken wollen. Warum ist das so? Weil jeder Handarbeiter hat seine eigenen Klauseln, jeder Versicherer hat seine eigene, inhaltlich die gleiche Thematik. Dann kopiert der ein oder andere Underwriter die Klausel von einem anderen Underwriter, hat aber das Komma wo anders hingesetzt und den Satz noch einmal verlängert. Also diese Komplexität ist hausgemacht. Ich behaupte, dass achtzig, neunzig Prozent der Klauseln ohnehin gleich sind. Von den restlichen zehn Prozent behaupte ich, wäre einmal zu prüfen, wie viel individuelle Absprachen wirklich dahinter sind, oder ob nicht gewisse Muster zu erkennen sind. An diese Komplexität werden wir erst herangehen, wenn wir Motivation und Motivation muss jedes Unternehmen für sich selbst entdecken. Ich glaube, das wird kommen, weil die Kostenbelastung mittelfristig nicht mehr tragbar ist. Ich glaube, die Kunden werden es nicht mehr akzeptieren und verlangen und es ist ebenfalls nicht mehr zeitgemäß. Die zweite Thematik, was kann besser gehen? Die Komplexität kann man nur an Produkten spezifizieren. Niemand sagt uns, dass wir ein Produkt immer so haben müssen, zum Beispiel, dass wir Gebäude und Inhaltsthemen trennen müssen, das gibt uns niemand vor. Das können wir ebenfalls bündeln, Bündelung, Zusammenschluss nehmen, Komplexität ist ebenfalls, ein ganz einfaches Beispiel, was muss der Kunde jedes Jahr melden? Damit der Vertrag sich automatisch verlängert, muss er etwas melden? Wie oft muss er es tun? Niemand schreibt uns vor, dass wir den Kunden jedes Jahr zwingen, uns bestimmte Daten in bestimmter Art und Weise zu geben. Wir können das ebenfalls pauschaler formulieren. Aber nochmals, ich versuche ebenfalls dahinterzukommen, Erkenntnis, die Komplexität zu nehmen, ist da, die Motivation der Beteiligten dort hineinzugehen, fehlt noch. Und mein letzter Punkt ist, wer sagt uns, dass wir Verträge jedes Jahr abschließ0en müssen? Wir könnten doch einmal Zwei- oder Drei-Jahres Verträge machen, das passiert jetzt ebenfalls im Markt. Aber so selten, zehn Prozent vielleicht, insbesondere deutsche Versicherer, insbesondere öffentliche Versicherer, die langfristig planen und langfristig denken, da sieht man es häufiger. Andere schieben immer das Argument vor, das können wir machen, wir haben Rückversicherungsverträge, die nur ein Jahr sind. Niemand verpflichtet euch Ein-Jahres Rückversicherungsverträge zu zeichnen. Das Ganze ist viel hausgemacht. Ich bin gespannt, wann die Branche strukturell da herangeht und versucht, alte Strukturen aufzubrechen und neu zu denken. Ich habe die Sorge, wenn wir es nicht tun, wird es ein anderer tun und es wird keiner aus unserer Reihe sein. Das wird einer sein, den wir noch nicht kennen, aber es ist kein Versicherer, ist kein typischer Versicherer bis jetzt, sondern es wird ein Mitbewerber in unsere Branche einbrechen und sagen: „Das machen wir jetzt einmal smart, oder schlank, oder schnell.“

Ansgar Knipschild: Das wäre ein gutes Stichwort zum Thema Renewal und Digitalisierung, denn von der Seite kommen vermehrt andere Player in den Markt hinein, zur Zeit verstärkt in dem Bereich Privatgeschäft, aber die Grenzen Richtung Gewerbe und Industrie sind fließend. Es ist genügend Kapital im Markt, das investiert sein will und da sind sicherlich Industrierisiken nicht unspannend. Um die Brücke zur Digitalisierung zu schlagen, wir beschäftigen uns im Rahmen unserer Projekte ebenfalls damit, wie man solche Prozesse optimieren kann und wir haben etwas, was wir Renewal Dashboard nennen schon seit zwei, drei Jahren in der Schublade und besprechen das in den Projekten mit den Beteiligten, mit Versicherern und Maklern. Ich will da konkret werden, genau die Liste, von der du gesprochen hast, wo ich auf den Bestand schaue, wo ich entsprechend markieren kann, wird weiter renewt, Rechnung gestellt, fertig? Interessanterweise werden sich da die Beteiligten immer relativ schnell einig und sagen: „Ja, wollen wir genau so machen.“ Aber dann kommt das Problem, wie kommen die Daten da hinein? Denn wer hat die Daten der Bestände? Häufig sind es die Makler, die näher am Kunden dran sind und die aktuelleren Daten haben als die Versicherer, die es nur per borderau bekommen, oder in einer redigierten Form. Aber da geht es ebenfalls um Politik im Sinne von, wer soll diese Daten wirklich halten? Wer bekommt diese gesamte Sicht auf so einen Bestand, oder sogar über mehrere Bestände, wie das ausgeschrieben wird? Wir haben ein Riesenpotenzial in der D, aber wie schätzt du es ein, dass wir Marktplätze, Spielfelder, Datenräume finden, wo die Beteiligten wirklich miteinander spielen wollen? Die Älteren unter uns erinnern sich noch an Inex 24, wo es sicherlich im Industriebereich einmal eine größere Offensive gab. Und nach meiner Erinnerung aus politischen Fragen, aus Vertrauensfragen war das Projekt nicht so erfolgreich, wie man es sich gewünscht hätte. Es war kein technisches Problem, glaube ich, sondern wer hat diese Datenhoheit und kann man sich ein igen, wer das Ganze federführend vorantreibt. Wie ist deine Meinung dazu, siehst du da eine Chance, dass man das hinbekommt, denn wir reden über isolierte Systeme, die per Excel miteinander kommunizieren wollen. So hast du es eben ja kurz noch einmal zusammengefasst.

Marcel Armon: Das ist ein ganz toller Punkt. Ich glaube, du hast Inex 24 angesprochen, ein System, eine Idee der Zeit leider voraus, gescheitert aus den bekannten von dir geschilderten Gründen. Die Vertrauensfrage war ein Punkt. Und zwar, ich erinnere mich, als ich in dem Maklerunternehmen war zu der Zeit und diese Inex Thematik hoch kam, hat die Geschäftsführung darüber diskutiert, wenn wir das machen auf Inex 24, was wird Inex 24 mit unseren Daten machen? Stellen wir uns einmal vor, wir stellen uns alle darauf ein und was machen die mit den Daten? Dann haben die Daten der Kunden und werden uns den Kunden abnehmen. Wenn das so einfach wäre, wenn die Daten der Kunden so relevant und so einfach und so langjährig wertvoll wären, würden wir kein Underwriting jedes Jahr um Daten betreiben, indem wir den Kunden um neue Daten bitten. Wenn es darum geht, einmal die Daten einzusammeln und damit habe ich einen Zugang zum Kunden, dann hätten wir keinen Renewal Stress. Denn den Renewal Stress haben wir, weil die Daten in unserer schnellen, komplexen Welt sehr schnell an Aktualität verlieren. Und bei dieser Vertrauenssache verstehe ich technisch, oder inhaltlich das Argument, aber zu welchem Preis? Zu welchem Preis? Da bin ich bei meinem alten Thema, der Schmerz ist nicht groß genug. Ich habe kein Vertrauen in eine gemeinsame Plattform mit anderen Mitbewerbern, aber gönnen mir ebenso wenig die eigene Plattform, weil die ist teuer, wenn ich es nur alleine mache. Aus Effizienzgedanken bleibe ich bei meinem manuellen Prozess. Also der Schmerz ist nicht groß genug, es muss offensichtlich noch mehr weh tun, bis die Beteiligten aufeinander zugehen. Und im Grunde genommen, um was reden wir denn überhaupt? Das muss man immer wieder sagen, wir teilen ja nicht die Kontaktdaten der Ansprechpartner, des Kunden und wie viele Kinder er hat und welche Mobilfunknummer und was seine Vorlieben und Hobbys sind, sondern es geht darum, wir wollen gewisse rudimentäre Daten abfragen, die schon irgendwo sind. Zum Beispiel, wenn Umsätze des Kunden abgefragt werden, dass die irgendwo liegen, dass mehrere Sparten, mehrere Versicherer auf diese Umsatzdaten einmal zurückgreifen können und nicht jedes Mal ein neuer Prozess angestoßen wird, weil pro Vertrag, pro Versicherer sobald zum Renewal, Vertragsverlängerung die aktuellen Umsätze benötigt werden. Oder Mitarbeiterzahlen, oder Versicherungsorte, oder ob er Schäden hatte. Wir reden ja nicht um hoch wissenschaftliche Formeln, wir reden über rudimentäre Daten, die irgendwo liegen sollten, damit mehrere darauf zurückgreifen können. Ich vermisse bei den Diskussionen eine Sache. Es ist gut, was du sagtest, wer kann die Daten haben? Man müsste sagen, der Versicherer, nein, er bekommt die ja nicht, weil, warum nicht? Weil er in seinem manuellen System, oder Bestandsführungssystem aus Anno irgendwas – ich habe ebenfalls einmal beim HDI gearbeitet, aber war es grün oder weiß, aber es war keine Grafik – rudimentär die Daten deswegen eingibt, weil er buchen möchte, aber die Datenqualität nicht so ist, dass wir ordentlich Daten eingegeben haben, um ernsthaft smarte Daten zu haben, sondern nur rudimentäre Daten. Also wer gibt sie ein? Wahrscheinlich der Makler und was ich bei der Diskussion total vermisse, ist die Erkenntnis der Makler, dass wer die Daten hat, hat die Macht in der Zukunft. Wer die Daten hat, bestimmt das Spiel. Habe ich als Makler eine fundierte Datenbasis über viele Verträge, viele Perioden, kann ich Trends ablesen, kann ich frühzeitig andere Admin Prozesse ansteuern, weiß ich frühzeitiger, welche Kunden wo Probleme bekommen werden, kann ich Versicherer gegen Entlohnung beraten, ob sie in-rate liegen, oberhalb der Rate, ihr Verhalten benchmarken mit anderen Versicherern. Die Datenhoheit wird das Spiel entscheiden. Wenn wir häufig darüber reden, wer wird wettbewerblich überleben in Zukunft, welcher Player bleibt am Markt und welcher geht unter? Eins weiß ich, der Player, der die Daten hat, der bleibt am Markt und die anderen nicht, weil die Datenqualität wird die Existenz bestimmen.

Ansgar Knipschild: Vermutlich drehen wir uns da im Kreis, weil ein Versicherer, wenn er hier am Tisch sitzen würde, würde sagen, dass er die Daten braucht, und dass er sich in der Rolle als derjenige, der die Risiken bewertet und verwaltet so sieht. Und genau wie du sagst, weil diese Sorge da ist, wer die Daten hat, beherrscht das Ganze. Es blockiert vielleicht gerade diesen Kommunikationsprozess, gemeinsam etwas aufzubauen, wo man wirklich in eine Win-Win Situation hineinläuft?

Marcel Armon: Ich habe heute an einer Konferenz teilgenommen und es war ein interessanter Beitrag zur Digitalisierung. Ich habe die Frage, oder die Aussage eingeworfen, als Makler sind wir doch gut beraten, wenn wir uns nicht nur auf die Versicherer verlassen, was Digitalisierung angeht, sondern selbst Digitalisierungstreiber sind und den Prozess selbst definieren. Sollten wir nicht selbst in Plattformen investieren und Joint Systeme implementieren? Da kam die Antwort von einem anderen Marktteilnehmer Rückversicherer-Natur, der sagte: „Nein will ich nicht.“ Wenn ihr die Daten habt, das sind ja Partikularinteressen, dann habt ihr die Daten, könnt mit den Daten etwas machen. Ja klar! Es ist ist eine Datenkrieg, Entschuldigung, das ist keine Wohlfahrtsveranstaltung. Die Daten bestimmen, wer den Krieg gewinnt. Es ist nun einmal so und der Run auf die Daten. Man muss dazu sagen, ich tue jetzt der Maklerschaft Unrecht, das Verständnis im angelsächsischen Raum ist schon da und ich glaube, grundsätzlich ist die Erkenntnis da, dass wir das tun sollten und es ist die Frage, wer setzt es um? Ich bin mir recht sicher, dass ein Großteil der Maklerhäuser mit entsprechenden finanziellen Möglichkeiten das auf der Top drei Priorität haben, die Daten zu sammeln, besser zu werden. Und dann ist nichts mehr Wahrheit. Wenn ich angefangen habe, zu sammeln, dass ich daraus Rückschlüsse ziehe und daraus schon Prognosen ableite. Der Weg ist nicht das. Das ist der letzte Sprung aus Daten, Prognosen aus dem Bestand zu ziehen. Ich glaube, die Wertigkeit wird unterschätzt, das wird ein Game Changer.

Ansgar Knipschild: Das ist ein gutes Stichwort, um die Kristallkugel auszupacken und zu schauen, wie seht ihr beide die Zukunft vom digitalen Renewal. Benni, kannst du mal deine persönliche Kristallkugel auspacken und sagen, was ist 2030?

Benjamin Zühr: 2030 ist gerade in der heutigen Zeit unglaublich schwer vorauszusagen, wo wir eine so unglaubliche Geschwindigkeit in der Digitalisierung haben und immer mehr Marktplayer sich mit neuen Innovationen etablieren. Ich persönlich glaube, dass wir zum einen bis 2030 ein paar zentrale Probleme gelöst haben müssen und da gebe ich Marcel Recht, zum einem glaube ich, dass wir das Datenproblem grundsätzlich gelöst haben müssen. Es ist aber meiner Meinung nach kein Problem, sondern eine Chance und die Frage ist, ob in dem Fall die Versicherungsbranche als eines auftreten könnte, weil es profitieren alle von den Daten, sowohl der Makler als auch der Versicherer. Somit ist das größte Interesse, wenn die Daten, die der einzelne Player braucht, entsprechend auf der Seite, oder auf der Seite sinnvoll verarbeitet werden können und die entsprechenden Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Ich glaube, dass bis 2030 ein anderes Thema gelöst werden muss und das hat einen Effekt auf das Renewal, dass wir das Thema einheitliche Qualität von Klauseln etc, die eine zusätzliche Komplexität in das Renewal bringen, in den Griff bekommen müssen. Das ist ein entscheidender Punkt in Richtung Kunde, wenn ich dem Kunden garantieren kann, dass ich auf Basis einer einheitlichen Qualität Bedingungen und Verträge verkaufe. Das ist eine ganz andere Aussage als, wenn ich sage, meine Kollegen und Fachexperten definieren das individuell. Ich glaube schon, dass eine Art Controlling und Einheitlichkeit innerhalb der Bedingungen wichtig ist und dazu führt, dass der Renewal Prozess als solches schlanker wird. Dann habe ich vorhin schon gesagt, ganzheitliche Sicht auf den Kunden, das ist einfach wichtig in dem Renewal Prozess zu schauen, ich habe eine Sparte, die ist im Moment nicht so lukrativ und habe aber andere Sparten, die laufen sehr positiv. Und, wenn ich den Kunden ganzheitlich sehe, bin ich am Ende noch im Plus. Das ist schon wichtig. Und dann komme ich zu einem Bereich, wo ich persönlich ganz fest daran glaube, und wo ich vor allen Dingen deswegen daran glaube, weil ich an immer strukturiertere Daten im Markt glaube, ist das Thema situative Versicherung. Ich glaube, dass wir uns in vielen Bereichen dorthin entwickeln werden und das führt, nach meinem Verständnis, dazu, dass es einen klassischen Renewal Prozess wie wir ihn heute haben, der einmal im Jahr stattfindet, so gar nicht mehr benötigt wird, sondern dass auf Basis eines Risikos, was in Echtzeit besteht und in Echtzeit bewertet wird, eine entsprechend benötigte Deckungssumme und eine damit zusammenhängende Prämie berechnet wird. Und ich bin davon überzeugt, dass sich das in der Industrieversicherung perspektivisch in immer mehr Sparten und Bereichen durchsetzen wird, schlicht und ergreifend deswegen, dass die Kunden ebenfalls, und um die geht es ja, immer mehr in Industrie vier Punkt null investieren, Prozesse immer stärker digitalisieren und somit Daten produzieren, die dem Versicherer helfen, eine viel genauere Aussage über das Risiko und über mögliche Schadenverläufe zu treffen.

Ansgar Knipschild: Vielen Dank. Marcel, was sagt deine persönliche Kristallkugel, die vor dir auf dem Tisch liegt?

Marcel Armon: 2030 ist leider nicht mehr so lange hin. Seit Inex 24 könnte fast ebenfalls zehn Jahre her sein, da ist nicht so viel passiert in der Zwischenzeit, da haben wir jetzt noch neun Jahre.

Benjamin Zühr: Der alte Realist.

Marcel Armon: Ich habe nicht den Eindruck, dass bei den Beteiligten angekommen ist, dass Tempo ein entscheidender Faktor im Kampf, oder im Spiel um Position im Markt und Prozesskosten und Kundenmehrwert ist. Aber angenommen, wir hören auf, uns zu kritisieren, was alles nicht läuft., arbeiten einmal daran, wie es weitergeht, könnte 2030 so sein, dass Geschäftsbeziehungen wirklich digitalisiert sind und wir, ich sage es bewusst überspitzt, wechseln in der Industrieversicherung von diesem Buddy-Buddy Beziehungsding, das nur so geht, weil wir uns persönlich kennen und nur Geschäfte zustande kommen, weil wir Buddy-Buddy sind. Ich glaube, dass das anders wird, dass wir davon weit weg kommen und viel professioneller, viel datengetriebener in anderweitigen Prozessen im Neugeschäft, Renewal und so weiter agieren werden. Ich bin überzeugt davon, dass Produkte einfacher werden müssen, weil die Kostenproblematik wird Versicherern die fehlende Motivation geben, da mal reinzugehen in das Thema und nochmal zu überlegen, ob sie das anders gestalten. Ich bin überzeugt davon, dass Maklerplattformen sich durchsetzen werden, weil der Makler naturgemäß sehr eng zwischen Versicherer und Kunde der beste Ort ist, die Daten aufzubewahren, zu sammeln. Ich sage nicht, dass die Maklerplattformen einen Wohltätigkeitszweck erfüllen und für alle zugänglich sind, sondern dass die schon wirtschaftliche-ökonomische Ziele verfolgen. Und dennoch ist der Mehrwert größer. Ich bin überzeugt, dass die Maklerplattformen sich durchsetzen werden und nur die Versicherer weiter wachsen, die in der Lage sind, diesen Plattformen zuzuspielen, ob verbunden mit der Schnittstelle, oder anderen Möglichkeiten. Interessanterweise, denke ich ebenfalls, dass Kunden viel mehr darauf schauen werden, hat der Makler überhaupt eine technische Lösung, weil langsam kommt der Kunde dahinter, dass jedes Blatt Papier dem Makler schickt, damit der Makler es dem Kunden schickt, dass das a) bei ihm kostet, weil er Prozesskosten hat und dann über Honorar, oder Courtage bei ihm nochmal kostet, weil der Makler es nochmal in die Hand nimmt. Wir dürfen nicht unterschätzen, dass Kunden da sehr genau hinschauen. Wir haben sehr viele finanzgetriebene Ansprechpartner, die schon Prozesskosten überlegen, also überlegen, was kostet mich Schaden intern, wenn ich den in die Hand nehme. Und, wenn wir uns nicht selbst abschaffen wollen, dass der Kunde irgendwann sagt: „Wisst ihr was, ich versichere den ganzen Klumpen einfach nicht mehr, weil der ganze administrative Kostenteil ist höher als wenn ich das jetzt selbst irgendwann trage.“ Wenn wir uns da nicht komplett das Geschäft entziehen möchten in diesem Frequenzbereich, was viel Prämie bringt, dann sind wir gut beraten, wenn wir da auf die Prozesse achten, denn der Kunde wird irgendwann die Blumsche Entscheidung schneller treffen, zahle ich es selbst aus der Kasse, oder gebe ich es ab und abgeben geht nur, wenn der Prozess dahinter schlanker ist. DAP Systeme werden mit dem Maklersystem sprechen müssen und irgendeine Art und Weise, der Kunde muss irgendwie in einer Art und Weise mit Schnittstellen arbeiten. Das gibt es ja heute schon alles. Ich meine, es ist ja keine Rocket Science, von hundert Prozent, von hundert Verträgen ein oder zwei und dann nur, weil da besondere Motivation dahinter ist, aber noch nicht strukturell systematisch ein Umdenken in der Branche.

Ansgar Knipschild: Vielen Dank, sehr spannend. Wegen diesen pragmatischen Sätzen, die du am Anfang gesagt hast, Marcel, probiere ich jetzt einmal den technisch optimistischen Ausblick. Ich wage keine Prognose, damit liege ich immer falsch. Ich würde einen Wunsch äußern. Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren technisch so weit sind, dass wir die Silos, die wir technisch haben, aufgebrochen haben, nicht nur bei Maklern und Versicherern, sondern generell in der Industrie. Dass wir auf einer ganz anderen technischen Basis Daten austauschen können statt heute mit sehr teuren Punkt zu Punkt Interfaces. Ich gebe dir Recht, Marcel, das ist keine Raketenwissenschaft, aber es ist teuer und jede Beziehung von jedem Marktteilnehmer zum jedem anderen muss im Zweifel individuell gestrickt, gebaut, implementiert werden. Dass wir da etwas anderes haben, was umspannender, günstiger und effizienter ist als Grundlage, als Infrastruktur. Und ich glaube aufgrund der Geschwindigkeit in der Industrie, nicht Versicherungen, sondern in der Industrie, dass die Kunden selber die Hoheit über ihre Daten in großen Teilen behalten, und dass die Markt-teilnehmenden, die in der Prozesskette mit den Daten arbeiten, ihren Wertschöpfungsanteil dazu beitragen, ihn  beraten, zum Beispiel, wie aus den Daten heraus Risiken bewertet werden, wie ein optimaler Versicherungsschutz daraus wird und wie dann, zum Beispiel, am Ende der Kette die Kapitalgeber das Risiko decken. Zusammengefasst, es wäre toll, wenn wir diese Infrastruktur hätten, wo man Daten entsprechend händeln kann, dass man vielleicht den Krieg um die Daten so macht, dass sie da hin gehören, wo sie herkommen, beim Kunden, zumindest Teile davon. Dass die Anderen ihren Stempel daraufsetzen und sagen, das ist zertifiziert, dein Risiko ist wirklich so, wie du es einschätzt. Aber das ist wirklich mehr I have a Dream und weniger, was ist 2030 realistisch. Da muss ich dir zustimmen, wenn wir da gucken, was in der Vergangenheit passiert ist, sehe ich nicht den Hockeystick, der das deutlich beschleunigt. Vielen, vielen Dank für diese sehr spannende Diskussion. Wir könnten wahrscheinlich noch eine halbe Stunde, oder Stunde länger reden. Ich glaube, das Thema gibt sehr, sehr viel her. Vielleicht können wir es in einem anderen Kontext einmal fortsetzen noch mit anderen Teilnehmern aus dem Versicherungsbereich, vielleicht ebenfalls aus dem Industriebereich, aus dem Kundenbereich, um dieses Thema weiterzuspinnen. Vielen Dank an dich, Benni, für deine Zeit und für deinen Input und an unseren Gast Marcel, vielen Dank an dich ebenfalls für deine Zeit spätabends hier, dass du diese interessante Stunde mit uns gestaltet hast. Vielen Dank.

Marcel Armon: Vielen Dank zusammen, bis bald.

Benjamin Zühr: Dir auch.

Ansgar Knipschild: Danke, Tschüss.

Marcel Armon: Tschüss.

Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.

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