ID#16

14.04.2021

Keep it simple! Bringen kleinere Digitalprojekte den Durchbruch? – ID#16

Können einfachere digitale Lösungen eine höhere Akzeptanz im Markt bewirken und damit einen neuen digitalen Start in der Industrieversicherung ermöglichen? Benjamin Zühr und Ansgar Knipschild diskutieren die aktuellen Herausforderungen und denken über Themenfelder nach, deren Digitalisierung der Branche helfen könnten – zum Beispiel Kommunikation, Adress- und Risikodaten, Abrechnung. Länge: 41 Min.

Transkript

Ansgar Knipschild: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe von „Industrieversicherung Digital“. Heute zum Thema „Keep it simple – Ideen für einen neuen digitalen Start in der Industrieversicherung“. Und mit dabei wie immer Benjamin Zühr. Hallo Benny!

Benjamin Zühr: Hey, grüß dich, Ansgar!

Ansgar Knipschild: In den letzten Wochen wurde ja das Thema Plattform häufig diskutiert. Es gab diverse Veranstaltungen und Konferenzen, unter anderem auch ja in unserem letzten Clubhouse Talk, der ganz interessiert war. Was ich so mitgenommen habe, war, dass immer wieder die Idee aufkam, ob nicht neue digitale Lösungen jenseits von Ausschreibungsplattformen oder Quote and Buy nicht ein viel eleganterer Weg wären, um eine höhere Marktdurchdringung hinzubekommen. Anders formuliert: Gibt es nicht irgendwie einfache Prozesse und einfache Themen, die im Markt ganz dringend benötigt werden, die man in die digitale Welt hineintragen sollte, um damit eine viel höhere Marktakzeptanz hinzubekommen? Man könnte auch sagen, dass man nicht einmal so groß, sondern in viel kleineren Lösungen denken sollte. Genau mit diesem Ansatz haben wir uns einmal ein paar Fragen rund um dieses Thema vorgeknöpft, die wir zum Teil per Email von den Zuhörern bekommen haben und zum Teil aus diesen Gesprächen im Clubhouse, aber auch in Gesprächen im Markt aufgegriffen haben. Die wollen wir einmal mit dem einen oder anderen Lösungsansatz heute im Podcast diskutieren. Beginnen möchten wir mit der Einkreisung möglicher Lösungsansätze anhand der Frage: Woran scheitern eigentlich die bisherigen Digitalisierungsversuche? Warum hat das mit der digitalen Industrieversicherung in den letzten zehn Jahren einfach nicht geklappt? Was meinst du, Benny? Was sind da so die Hauptgründe?

Benjamin Zühr: Ja, ich glaube, die Gründe sind vielfältig. Eine Sache, die wir bis heute spüren, ob intern oder auch, wenn wir mit Dritten sprechen, ist, dass es eine unglaublich unterschiedliche Vorstellung von Digitalisierung gibt. Das Verständnis ist einfach nicht dasselbe. Zum einen sagen viele, dass Digitalisierung eigentlich gleich Dunkelverarbeitung ist. Andere nennen Digitalisierung eher Strukturierung. Davon bin ich beispielsweise einer. Somit spricht man eigentlich immer von komplett anderen Dingen. Zudem ist es so, dass natürlich auch je nach Partner, mit dem man über Digitalisierung spricht, die Unternehmen unterschiedliche Themenfelder der Digitalisierung fokussieren. Im Bereich der Privatversicherung beispielsweise ist Digitalisierung sicherlich zu einem großen Teil noch Dunkelverarbeitung. Das ist natürlich anders, wenn man wirklich über schwere Industrierisiken redet, wo es dann doch eher die Strukturierung ist.

Ansgar Knipschild: Ja, ich glaube, dass es auch ganz simpel ist: die Lösungen werden einfach zu groß gedacht. Ich glaube, man geht mit ganz großen Ambitionen an diese Projekte heran. Wir hatten ja vor zwei oder drei Folgen Herrn Witzel zu Gast von Inex24. Der hat ja selber eingeräumt, dass die Ambitionen vielleicht damals vor zehn Jahren einfach auch zu groß waren: direkt internationales Geschäft, direkt Ausschreibungsplattform. Daher auch unser Titel heute: Vielleicht einfach einmal eine Nummer kleiner denken und damit viel mehr Leute mitnehmen.

Benjamin Zühr: Absolut. Ich glaube, dass diese MVP-Denke, die es ja heutzutage auch in den meisten IT-getriebenen Projekten gibt, da schon genau richtig ist, dass man einfach versucht, so schnell wie möglich mit etwas live zu gehen oder auch Testumgebungen so schnell wie möglich denjenigen zur Verfügung zu stellen, die letztendlich damit auch arbeiten sollen. Ganz besonders spannend finde ich natürlich diese No-Code- oder Low-Code-Ansätze, wo letztendlich Personen, die am Ende mit dem Systeme auch arbeiten sollen, dieses auch letztendlich aufbauen. Ich glaube, mehr geht dann am Ende auch nicht, aber einfach wirklich so schnell wie möglich einen Wert generieren und den auch zur Verfügung stellen, anstatt erst einmal 400 Seiten Anforderungen zu schreiben, um dann zu merken, wenn die ersten zehn bis dreißig Prozent programmiert wurden, eigentlich alles schon wieder veraltet ist. Das entspricht einfach nicht mehr dem, wie es heutzutage gemacht wird, und so sollte man es auch definitiv nicht machen.

Ansgar Knipschild: Ich glaube, diesen Begriff „Größe“, den ich eben hineingebracht habe, kann man einmal auf die Prozesse beziehen, also komplexe, große Prozesse, und auch die Ausschreibungsplattform hatte ich eben genannt. Wo er allerdings wichtig ist meiner Meinung nach, ist „Größe“ im Sinne von Marktdurchdringung und viele Teilnehmer auf solche Lösungen bringen. Das ist ja auch in den letzten Jahren nur sehr schwer gelungen, weil es vielleicht inhaltlich zu groß gedacht war. Inhaltlich hat es einen Marktanteil abgedeckt, der nicht groß genug war, und da muss man auch einmal genau überlegen: Was könnten das für Lösungsansätze sein, die vor allem kleine, mittlere und auch große Unternehmen zusammenbringt?

Benjamin Zühr: Man muss da natürlich immer auch aufpassen, weil es letztendlich auch immer die Frage ist: Will man sehr generisch unterwegs sein oder will man weiterhin auch spezifisch und einmalig unterwegs sein? Wenn ich mir alleine anschaue, wie gewisse Inkassoprozesse aussehen, um den Kunden am Ende glücklich zu machen, dann ist das schon so individuell. Da dann zu sagen, dass man Interesse zusammenbringen möchte, ist es natürlich schwierig, aber darüber sprechen wir gleich. Es ist ganz spannend: Du sagtest „unterschiedliche Interessen“. Ich glaube, dass es einfach letztendlich, wenn man noch einmal zum Thema Digitalisierung und dem Scheitern bisheriger Versuche kommt, dass es auch daran liegt, dass es einfach ein unterschiedliches Interesse letztendlich je nach Unternehmensgröße oder -form gibt. Eine AG im Zweifel mit einem Vorstand hat ein anderes Interesse – oder vor allem der Vorstand hat ein anderes Interesse – als ein Inhaber oder ein familiengeführtes Unternehmen, das deutlich langfristiger und nachhaltig – das ist ja immer die Frage – plant. Ich glaube, das ist auch noch ein Thema, was man nicht unterschätzen sollte. Wenn ein Vertrag im Zweifel nur fünf Jahre gilt, dann müssen spätestens nach drei oder vier Jahren Ergebnisse her. Wenn ich mir bisherige Digitalisierungsinitiativen anschaue und selbst wenn man ehrlicherweise über MVPs geht, dann ist es so, dass erste Ergebnisse häufig nicht unter vier oder fünf Jahren zu erzielen sind, die wirklich Wirkung zeigen. Das ist dann natürlich ein echtes Problem. Auf gut Deutsch gesagt müssen eigentlich deutlich schnellere Lösungen her. Im Zweifel müssen Lösungen her, wo wirklich nach einem, anderthalb oder spätestens zwei Jahren wirklich Ergebnisse in Form von mehr Umsatz oder deutlich weniger Kosten zu spüren sind.

Ansgar Knipschild: Kommen wir da noch einmal direkt zur nächsten Frage. Nachdem wir jetzt die Situation beleuchtet haben, woran die bisherigen Digitalisierungsversuche gescheitert sind, kommen wir zur nächsten Frage: Wo haben denn Kunden, Makler und Versicherer heute die größten Schmerzen?

Benjamin Zühr: Zum Teil wurden die ja in den letzten Wochen intensiv in den Medien auch diskutiert. Klassischer Prozess ist da Renewal, worüber ja alle meckern, dass letztendlich die Daten, die vom Versicherer geliefert werden, unterschiedlich sind. Die Makler haben Probleme, die Daten zu verarbeiten. Es ist einfach unglaublich viel manuelle Arbeit auf allen Seiten zu spüren, und das ist nicht gut, weil es ineffizient ist, viel Geld kostet und letztendlich wenig Nutzen bringt. Je nach Unternehmen ist auch das Thema „Stichtagmeldebögen“ ein Problem, gerade dann, wenn diese noch nicht über die Sparten hinweg vereinheitlicht wurden. Im Zweifel kriegt dann ein Kunde für jede Sparte einen eigenen Stichtagmeldebogen. Das ist auch nicht wirklich Sinn der Sache und unglaublich nervig vor allem für die Kunden. Auf jeden Fall ist hier das Thema Inkasso wichtig. Zum einen hat man immer das Gefühl, dass sich da die einen oder anderen Marktteilnehmer versuchen selbst zu verwirklichen. Da wird wirklich jeder Kundenwunsch erfüllt, im Zweifel für jedes Auto in einer Flotte von 40.000 Fahrzeugen eine Einzelrechnung und im Zweifel auch noch ein bisschen individuell gestellt. Am Ende wundert man sich dann, dass, wenn die Abrechnung mit dem Versicherer passiert, Prämien oder Courtagedifferenzen da sind. Letztendlich gibt es auch da, so glaube ich, viele Themen, wo wirklich große Schmerzen heutzutage bestehen und wo einfach viel Zeit und Kraft letztendlich verbraucht wird.

Ansgar Knipschild: Das spiegelt ja aber auch ganz gut die Realität wider, wenn man sowohl beim Versicherer als auch beim Makler reinschaut. Da sind es ja gar nicht so stark die Neugeschäftsprozesse, die den Laden so auf Trab halten, sondern genau die Themen, die du gerade genannt hast: Inkasso, Verwaltung von Adressdaten und -änderungen, Vertragsänderungen und so weiter. Das sind doch bestimmt achtzig Prozent der Aufwände und Tätigkeiten, die da anfallen, aber die digitale Branche spricht eben über Neugeschäfte, über Ausschreibungen etc. Vielleicht liegt auch da so ein Knackpunkt, dass man eben sagt, dass der Schmerz da eigentlich gar nicht so stark liegt. So verlockend das neue Geschäft ist, weil neue Kunden immer gute Kunden und neues Geschäft immer gutes Geschäft ist, aber aufwandsseitig betrachtet ist es ja der Bestand, der viel Aufwand auf allen Seiten verursacht.  

Benjamin Zühr: Ich glaube, dieser Fokus auf das Neugeschäft kommt vor allen Dingen, weil letztendlich die Digitalisierung in der Versicherungswirtschaft vor allem bisher sich auf das Privat- und Kleinstgewerbe-Geschäft konzentriert hat. Da glaube ich schon, dass ein großer Schmerz einfach auch in den letztendlich Neugeschäftsprozessen besteht. Das ändert sich in dem Moment, wo wir ins Großgewerbe- und Industriegeschäft kommen. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum viele, die im Industriegeschäft oder wie gesagt Großgewerbegeschäft arbeiten, sagen: „Digitalisierung ist hier nicht möglich“. Letztendlich wird sich der Fokus verschieben. Deckungskonzepte, die im komplexeren Segment erstellt werde, sind individuell, aber, wie du richtigerweise sagst, lassen sich in den Verarbeitungsprozessen nachher schon Standards erkennen und lassen sich wiederkehrende Prozesse erkennen, die definitiv zu digitalisieren sind, zumindest wenn man Digitalisierung als Strukturierung versteht. Ich bin mir auch sicher, dass sie auch zu Teilen zu Dunkelverarbeitung führen können.

Ansgar Knipschild: Ja. Ich glaube auch wirklich, dass da ein Missverständnis von einigen neuen Playern ist, also den InsurTechs, die versuchen, in den Industriebereich hereinzukommen. Das Neugeschäft ist natürlich das, was sich gut beziffern lässt. Wenn wir Technologieplattform A einführen, können wir vielleicht über Umsatz B sprechen, aber wie du schon sagst: Im Privatgeschäft, wo du hauptsächlich auf den Verkauf abzielst und danach ja relativ wenig Kundenkontakt hast, hast du im Industriegeschäft ja regelmäßigen Kundenkontakt, weil zum Beispiel sich die Risikosituation permanent ändert: je größer der Kunde, desto mehr. Ich glaube, dass das wirklich ein Missverständnis ist, und das ist in den letzten Jahren nicht verändert worden, diesen Fokus eben vom Neugeschäft in die Bestandsprozesse herüberzuziehen und dort wirklich die vielleicht auch kurzfristigen Vorteile, von denen du eben gesprochen hast, also ein oder zwei Jahre, da zu heben. Vielleicht können wir ja einmal anhand der Themenbereiche uns jetzt einmal durchhangeln. Fangen wir einmal mit dem Thema Infrastruktur an. Eine zugrundeliegende Austauschplattform. Wäre der Aufbau von so einer gemeinsam genutzten Plattform, nicht im Sinne einer Ausschreibungsplattform oder eines speziellen Prozesses, sondern einfach nur Daten strukturiert auszutauschen, nicht auch etwas, was längst überfällig ist und was, logisch gesehen, auch einfach der erste Schritt? Es ist zwar sehr langweilig und lässt sich nicht sexy beim Vorstand verkaufen. Das muss man auch ganz ehrlich sagen. Damit würden aber vielleicht viele Themen der Datendopplung, dass der Makler und auch der Versicherte Daten haben, die immer wieder hin und her kopiert werden, im Zweifel per Email, eliminiert. Wäre das nicht, so simpel es ist, ein erster Schritt, den man da gehen könnte?

Benjamin Zühr: Da bin ich mir sicher, dass das sinnvoll wäre. Ich glaube, das einfachste, was man da denken kann, wäre wirklich eine Kommunikationsplattform, wie du ja eben schon gesagt hast, wo letztendlich in welcher Form und Tiefe auch immer – das muss man sicherlich diskutieren – Daten ausgetauscht werden. Letztendlich könnten meiner Meinung nach Funktionalitäten sich wirklich darauf beschränken, einen Log-In für den Makler und für den Versicherer zur Verfügung zu stellen. Der Makler müsste die Möglichkeit haben, seine Bestände dort möglichst einfach auch hochzuladen ohne Schnittstelle ins MVP, sondern vielleicht per Excel-Upload oder so. Der Versicherer wiederum müsste die Möglichkeit haben, Bestände dort zu bewerten. Auch das müsste man sicher noch genauer definieren, was das bedeutet. Was für Vorteile hätte so eine Plattform? Letztendlich würden erst einmal alle in derselben Datenstruktur arbeiten. Ich glaube, das wäre definitiv ein Vorteil. Möglicherweise hätte man, wie auch immer, die Chance Deckungslücken zu füllen über Funktionalitäten wie Packetierung. Im Zweifel hätte man sogar die Möglichkeit, Marktpartner zu verbinden, die sonst gar kein Geschäft groß miteinander machen. Im Zweifel ist das aber auch schon viel zu weit gedacht. Im Zweifel ist es wirklich das simple „Alle arbeiten in derselben Datenstruktur“. Allein das ist, wie du eben richtigerweise sagst, überhaupt nicht sexy, aber ich glaube, das bringt einen Mehrwert aufgrund dessen, dass heute genau das noch nicht einmal gegeben ist.

Ansgar Knipschild: So einfach sich die Idee anhört, so schwer ist sie in der Praxis umzusetzen, denn man kommt ja unweigerlich zur beliebten Frage: „Schön und gut, die Datenbank und die Datenstruktur, aber wer betreibt sie denn?“. Wer sitzt denn da in der Mitte und wer ist der Owner von dieser großen Datenbank, in der alles enthalten ist? Da kommt sofort die Paranoia von allen Marktteilnehmern, denn, „wenn ich die habe und wenn ich dort Administrationszugang habe, dann kann ich ja theoretisch auf alle Daten zugreifen“. „Ich werde doch niemals diese Daten, sowohl als Versicherer als auch als Makler, in diese Datenbank einstellen“.

Benjamin Zühr: Ja, ich glaube, da kann ich als Nicht-Techniker nur bedingt Antworten drauf geben. Aus meinem rudimentären Verständnis kommt bei mir natürlich sofort das Thema Blockchain hoch, was da sicherlich vielleicht eine Antwort sein könnte. Obwohl am Ende eine Blockchain neutral wäre, und im Zweifel hast du da vielleicht noch andere Ideen, die da viel passender sind.

Ansgar Knipschild: Ich glaube, Blockchain ist da wirklich eine valide Antwort darauf. Es gibt da zwar auch heute noch technische Herausforderungen, gerade wenn jetzt ein gesamter Markt so etwas abbilden würde. Da hat man Performance- und Skalierungsprobleme. Das muss man ganz klar sein. Es gibt aber Möglichkeiten, das zu kompensieren. Es gibt auch mit heutigen Datenbanktechnologien Möglichkeiten, dass jeder Teilnehmer eine komplette Kopie der Datenbank in dem Ausschnitt, den er sehen darf, bei sich behält, so dass also selbst, wenn der zentrale Betreiber den Stecker zieht, die Daten beim jeweiligen Nutzer auch verbleiben. Das ist denkbar. Ich glaube aber, wenn der Wille da wäre, so etwas zu tun, gibt es heute traditionelle Technologien unter dem Stichwort Datenbankreplikation. Da habe ich Kopien von den Datenbanken in Ausschnitten bei mir wirklich auch physisch vorliegen. Andere Möglichkeit: Blockchain in diversen Varianten. Wichtig ist aber, so glaube ich, der Aspekt, dass es den zentralen Besitzer in der Mitte eigentlich wirklich nicht geben darf. Da ist securitytechnisch natürlich schwierig, denn das ist genau die Stelle, wo Schwachpunkte ausgenutzt werden, im Sinne von Cyber-Attacken, im Sinne von Security-Löchern, dass man da natürlich dann angreift. Wenn ich da herankomme, komme ich eben an alle Daten heran. Aber ich würde es auch durchaus als gesundes Misstrauen im Markt noch bezeichnen, dass ich eben nicht möchte, dass ein gesamter Markt an einer Stelle abgebildet und einer darauf sitzt und über diese Daten herrscht. Es ist aber technisch lösbar, glaube ich. Die Technik ist nicht das Problem. Wir haben ja das Glück, dass wir in einem Markt sind, wo das Datenvolumen, wenn man ehrlich ist, nicht so groß ist. Das ist natürlich im Privat- und Massengeschäft ein ganz anderes Thema, wobei bestimmt Experten auch hier sagen würden, dass man das heutzutage lösen kann. Schau dir die großen Player an, die eCommerce betreiben. Die reden über ganz andere Sachen. Schau dir Themen wie öffentliche Verwaltung und Steuer an. Ich meine, wir können Datenbanksysteme von 80 Millionen Bürgern und von noch mehr Unternehmen betreiben. Technik ist also nicht das Problem. Ich glaube, es geht darum, dass man sich zusammensetzt und ein Design eines Marktes vereinbart, wo ganz klar definiert ist, dass ich da herein und auch wieder heraus kann. Meine Daten gehören mir, und dann kann man das technisch lösen. Das Thema, was ich darauf abbilde, ist davon dann komplett zu trennen.

Benjamin Zühr: Ich finde persönlich, wenn wir über Blockchain sprechen, fühlt es sich, obwohl es im Zweifel schon viele Praxisbeispiele gibt, doch noch sehr schwer und weit weg an. Unser Podcast heißt ja „Keep it simple“. Deswegen würde ich jetzt sagen, dass wir wieder einmal versuchen, einen bisschen zu dem zurückzukommen, wo wir eben herkamen und noch einmal folgendes zu überlegen: Wenn wir jetzt so eine Kommunikationsplattform und dort Daten auf welche Weise auch immer und wem sie auch immer gehören, meinetwegen Thema Blockchain, liegen würden, welche Daten könnten dort dann liegen? Welche Datentiefe sollte dort liegen und wie könnten die Daten denn genutzt werden? Könnte man einen Mehrwert daraus generieren?

Ansgar Knipschild: Ich glaube, da sprichst du einen ganz wichtigen Punkt an. Ich würde darauf antworten, dass man das nicht mit komplexen Themen wie Ausschreibungen und Vertragsverwaltungen beginnt, weil da automatisch die Marktmechanismen einsetzen, der Schutz meines Kunden. Ich möchte nicht, dass die Detailinformationen von meinem Kunden und von meinen Verträgen publik werden etc, sondern die Basics sind wirklich schlicht und ergreifend Adressen. Lass uns da doch einmal beginnen! Ich würden sagen, dass es versicherungsunabhängig ist, dass jeder Marktteilnehmer das Thema hat, dass er seinen Kunden digital on-boarden muss. Damit meine ich, dass er schlicht und ergreifend seine Anschrift, seine Rechtsform und gegebenenfalls die Gesellschafterstruktur erfassen muss. Jeder am Markt macht das von A bis Z von vorne. Er tippt brav die Adresse ein, versucht herauszukriegen, was für eine Gesellschaftsform das ist und wie die aktuellen Beteiligungsverhältnisse bei angegliederten Unternehmen sind. Zum Teil werden diese Daten ja eingekauft. Es gibt Anbieter am Markt, die diese Informationen bis zu einem gewissen Grad anbieten, häufig aber auch nur von größeren Unternehmen. Von daher wäre meine Antwort auf deine Frage: Ich würde in so einer zentralen Datenbank wirklich mit so etwas wie Adressen beginnen, auch das wieder ganz furchtbar unsexy. Ich glaube aber, wenn der Versicherungsmarkt auf validierte, geprügte Adressen zugreifen kann, die vom Markt generiert worden, vom Versicherungsmarkt, nicht nur die schwergewichtigen Industrieunternehmen, sondern auch den Mittelstand, der häufig in den existierenden Adressdatenbanken ja nun doch auch für nicht wenig Geld eingekauft werden muss, wenn das in einem gemeinsamen System kumuliert werden würde, wäre das, so glaube ich, ein Riesenschritt. Der täte keinem wer, wenn er diese Daten teilen würde. Es geht um neutrale Daten im Sinne von „Wer hat den Unternehmenssitz wo?“, auf die man zugreifen kann. Ich glaube, es wäre schon ein Riesengewinn, wenn man das im Markt auf einer gemeinsamen Plattform teilen würde.

Benjamin Zühr: Letztendlich glaube ich auch, dass es einfach diese Datentiefe im Zweifel noch gar nicht gibt. Es gibt, wie du ja eben richtig sagst, Anbieter, aber im Zweifel ist es halt so, dass die Datentiefe je nach letztendlich Unternehmen auch nur relativ ist und man sich nicht unbedingt darauf verlassen kann, dass die Daten auch richtig sind. Ich finde den Ansatz total spannend, weil, wie du richtigerweise sagst: Es ist so! Jeder pflegt die Daten für sich. Ja, letztendlich ist es nicht wirklich sinnvoll.

Ansgar Knipschild: Ja, und Adressenwechsel. Wir kennen das alle. Ich möchte nicht wissen, wie viel Anteil im Nachtragsgeschäft, also im nicht prämienrelevanten Nachtragsgeschäft, kostet Aufwände, sowohl auf der Risikogeberseite als auch dann auf der Makler- und auf der Versicherungsnehmerseite. Der Sprung zu den echten Risikodaten ist ja auch nur ein relativ kleiner. Ich habe eben dafür plädiert, mit den Adressdaten zu beginnen. Dann kommen wir zur Rechtsform und zur Branche. Jeder im Markt kennt, wie wichtig diese beiden Parameter für viele Deckungen an der Stelle schon sind. Da zum Beispiel dann auch sich auf einen gemeinsamen Standard zu einigen, wie wir unsere Branchen definieren wollen und einen Branchenschlüssel zu kreieren im Markt. Heutzutage definiert jeder am besten noch seinen eigenen und mappt den dann auf den Branchenschlüssel des anderen. Auch der dritte Punkt ist ganz trivial: Mitarbeiteranzahl. Wir sind noch gar nicht bei echt tiefen Risiken wie Quadratmeteranzahl einer Lagerfläche, sondern nur bei der Mitarbeiteranzahl. Wenn ich die verlässlich in einem System hätte, wäre das, glaube ich, ein Riesenwert für ganz viele Versicherungsprodukte. So kann man sich ja Stück für Stück dann durch die Risikowelt sozusagen bewegen und versuchen, diese Daten in diesem fiktiven zentralen System abzulegen, vielleicht sogar noch durch Gutachter besiegelt. Dann kommen wir natürlich auch zu dem Punkt, bei dem mich deine Meinung interessieren würde, Benny. Da entsteht natürlich auch ein neuer Markt, der berühmte Datenmarkt. Das neue Öl. Man kennt diese ganzen Geschichten. Der neue Rohstoff in unserer Welt. Ich glaube, hier kann man sich ja auch vielleicht im Zweifel relativ einfache Geschäftsmodelle ausdenken innerhalb des Marktes und eben nicht durch Externe diktiert, wie man hier gemeinsam profitieren kann.

Benjamin Zühr: Du meinst jetzt von den gemeinsamen Daten?

Ansgar Knipschild: Genau. Die haben ja ihren Preis, sowohl für den, der es reinstellt, der Aufwand hineinsteckt, aber vielleicht auch für denjenigen, der die Daten abruft.

Benjamin Zühr: Absolut. Ich glaube letztendlich, da könnten ja alle von profitieren. Letztendlich haben wir ja ähnliche Modelle, die wir schon bei Bisnode zum Beispiel sehen. Auch da ist es ja so, dass ein Markt durch Daten entstanden ist. Jetzt wäre es halt so, dass man natürlich die einen hätte, die die Daten pflegen, und vielleicht andere, die nur davon profitieren. Da müsste man natürlich schauen, wenn man beispielsweise Risikoszenarien auf Basis solcher Daten berechnen kann, dann muss das natürlich einen Preis haben, gar keine Frage. Ich glaube, letztendlich würde ja auch die Datenqualität eine ganz andere werden. Die Datentiefe würde eine andere werden. Das ist ja auch immer mein Thema, auf dem ich herumhacke: die Themen Risiko- und Versicherungsmanagement miteinander zu verbinden. Dem würde man einen ganzen Schritt näherkommen. Letztendlich glaube ich, dass man in dem Moment, wo man es schaffen würde, mehrere Parteien, unabhängig von Versicherer, Makler und im Zweifel sogar Kunden, zu instrumentalisieren und letztendlich eine gemeinsame Datenbank zu pflegen, und es andere geben würde, die davon profitieren, da würde so ein Mini-Google vielleicht entstehen. Das wäre auf jeden Fall mächtig, und ich glaube, letztendlich würde es viel Nutzen stiften, in welcher Form auch immer.  

Ansgar Knipschild: Aber lass uns da noch einmal kurz hineinbohren und überlegen, ob man das noch konkreter machen kann. Du wirst ja, glaube ich, in so einem Datenmarkt immer ein Ungleichgewicht haben. Es gibt wahrscheinlich relativ wenige, die Daten einstellen, und relativ viele, die sagen: „Danke schön, die Daten nehme ich gerne. Damit habe ich jetzt ja keine Arbeit“. Dieses Muster sehen wir eigentlich überall, gerade im digitalen Markt. Sehr wenige Content Creator, wie es dann immer so schön heißt, aber auf der anderen Seite die Content Consumer. Glaubst du, dass es bei uns in der Branche klappen könnte, dass die, die Daten einstellen/ Machen wir es einmal ganz simpel: Ein Adressdatensatz, den man auch bepreisen kann. Dass man da sagt: „Hey, wer auch Daten einstellt, kriegt die Daten günstiger“, so dass es praktisch ein Tauschgeschäft ist. Die, die aber nichts tun, sollen dafür auch bezahlen. Du hast eben das Beispiel Bisnode genannt, und wir können jetzt natürlich auch noch ein paar andere zitieren, die am Markt tätig sind, die auch einen Preis für einen Datensatz haben. Meinst du, das könnte innerhalb der Branche funktionieren, dass man sich hier gegenseitig bezahlt für solche Adressdaten?

Benjamin Zühr: Soweit ich weiß, gibt es da schon Modelle. Ich bin mir ziemlich sicher und weiß es von internationalen Maklern, dass die bereits Datensätze wirklich auch an Versicherer verkaufen. Jetzt sind wir hier ja in einer deutlich feingranulareren Variante unterwegs. So verstehe ich das zumindest. Ich glaube schon, dass es ein Modell und einen Markt geben würde, in denen das funktioniert. Ich glaube allerdings nicht, dass das sofort passieren würde, weil momentan einfach der gefühlte Nutzen vielleicht noch zu klein ist. Wenn man aber noch ein oder zwei Jahre wartet, kann sich das verändern. Es kommt wirklich darauf an, wie man das Ganze letztendlich vermarktet und wer vor allen Dingen diejenigen sind, die die Daten pflegen. Das muss ja eine glaubwürdige Quelle sein. Ganz spannend wäre es natürlich, wenn das Ganze vom Kunden aus getriggert werden würde. Ich glaube, dass es dann fast keinen Weg mehr daran vorbei geben würde, diese Daten auch zu nutzen und vor allen Dingen auch einen Preis dahinter zu hängen, weil am Ende handeln wir, also der Markt, sowohl Makler als auch Versicherer, oder versuchen wir zumindest im Sinne des Kunden zu handeln und auch seinen Wünsche zu sprechen. Wenn der Kunde jetzt natürlich seine Datenwelt – und jetzt komme ich doch wieder ein bisschen zur Blockchain – hätte und diese einem Partner zur Verfügung stellen könnte und der Partner wiederum in Verbindung mit dem Kunden diese Daten noch weiter anreichern würde, dann könnte das natürlich auch einen Preis haben.

Ansgar Knipschild: Das finde ich persönlich natürlich eine super spannende Diskussion, weil die ja auch im Privatbereich über die Regulatorik, also die Datensouveränität, wo über gesetzliche Vorschriften ja immer schärfer definiert wird, welches Recht ein Privatkunde über die Speicherung an anderen Orten seiner Daten und über deren Weitergabe hat, entscheiden. Ich persönlich glaube, dass sich das auch in den industriellen Markt hinaus bewegen wird, also vom privaten Bereich in den industriellen Bereich hinein. Dann landen wir am Ende genau bei dem, was du gerade sagst, Benny, dass die Daten wirklich ein Handelsgut werden. Der Kunde sagt dann vielleicht: „Na ja, ich habe jetzt einmal alle meine Risikodaten erfasst: meine Anschrift als trivialstes Beispiel, aber auch meine Gesellschafterstruktur, meine Informationen über die Lagerflächen, über meine Produktionskapazitäten“ und so weiter. All das, was wirklich einen Versicherer interessiert. Die habe ich einmal in strukturierter Form. „Lieber Markt, wenn du mir dort einen Risikoausgleich und eine Deckung anbieten willst, biete ich dir meine Daten dafür an, aber die haben einen Preis, weil du ja auch davon profitierst. Du kriegst die Daten am Stück in optimaler Qualität und vielleicht sogar in Real-Time. Dafür möchte ich Geld. Wir drehen das komplett um. Nicht du, lieber Risikomarkt, fragst mich, welche Daten ich habe, und ich gebe sie dir alle noch einmal in deiner Form, sondern ich bin derjenige als Kunde, der diese Daten hat, der sie dir gibt und auch sagt, dass meine Datenqualität vielleicht sogar einen Einfluss auf den Preis haben, wie das Risiko gedeckt wird“. Ich gehe jetzt noch einen Schritt weiter: Der Kunde, der nicht nur one time eine bessere Datenqualität liefert, sondern vielleicht sogar Real Time, wird anders bepreist bei der Risikoabdeckung als der, der es nur einmal macht. Dafür brauchen wir aber natürlich die Technologie. Darauf kommen wir wieder zurück. Da steckt meiner Meinung nach der Charme von Blockchain drin. Ob das Ding am Ende des Tages wirklich Blockchain heißt oder ob das eine andere Technologie wird, aber ein Netzwerk, wo sich die Industrie mit 4.0 oder 5.0 abbildet und auf der anderen Seite einen Risikomarkt findet, finde ich super spannend.  

Benjamin Zühr: Absolut. Ich glaube, letztendlich kann die Basis eine Kommunikationsplattform sein. Vielleicht ist die Kommunikationsplattform das MVP, und das Ganze wird dann weiter und weiter gedacht, so dass irgendwann genau das dabei herauskommt. Entscheidend ist, glaube ich, dass man mit irgendetwas einmal anfangen muss. Ich glaube, man muss einfach auch den Mut haben, irgendetwas einmal auf den Markt zu bringen, wo halt unterschiedlichste Marktteilnehmer einen möglichst schnellen Nutzen von haben, und das dann Schritt für Schritt wirklich weiter mit den Marktteilnehmern zusammen ausbauen. Es ist wirklich wichtig, dass dann jeder auch bereit sein muss, seinen Teil dazu beizutragen. Entweder durch gemeinsame Entwicklung oder durch die Übernahme von Kosten oder ähnliches. Ich glaube nicht, dass es funktioniert, wenn der Markt davon ausgeht, dass man einfach an bestehenden Entwicklungen partizipieren kann, ohne einen Preis dafür zu bezahlen. Ich glaube, diese Denke muss aufhören. Ich glaube, die Marktteilnehmer müssen begreifen, dass Digitalisierung kein Projekt ist. Es ist eine laufende Entwicklung. Es ist fast ähnlich wie Kundenbetreuung. Wir akquirieren ja auch keine Kunden, und dann brauchen wir die Kundenakquisiteure und -betreuer nicht mehr, sondern dann fängt die eigentliche Arbeit erst an. Ähnlich ist es, glaube ich, in der Digitalisierung. Ich glaube, das ist quasi eine Neverending Story, und das ist auch richtig so.

Ansgar Knipschild: Ich glaube, das ist auch der Punkt, wenn ich auf dem Thema Blockchain etwas herumreite, fasziniert, dass eigentlich sowohl die Daten als auch die Transaktion, also das Einspeichern und Herauslesen von Daten, bepreist werden können, und zwar in einem System, ohne dass ich wieder ein weiteres daneben brauche, bei dem ich dann wieder schaue, wie ich das irgendwie miteinander verheirate. Ich glaube, da kann eben diese Idee helfen, das in unseren Markt zu übertragen. Da kommen wir natürlich zu einem weiteren Thema, das ich dann gerne hier anschneiden würde. Vielleicht zum größten und schwierigsten Thema, nämlich Abrechnung. Wir reden also über Geld. Wenn wir uns die heutigen Abrechnungsprozesse einmal anschaue, die in der Kette ja drei- bis fünfstufig sein können, je nachdem, wie viele Beteiligte im Vertrieb, in der Vermittlung oder hinterher in der Risikoteilung dabei sind, so haben wir bei komplexen Risiken teilweise zweistellige Anzahl von Kapazitätsgebern darin. Dann müssen wir uns anschauen, wie monatlich, im Quartal oder jährlich abgerechnet werden. Alle Abteilungen versuchen verzweifelt die Abrechnungsstände auf einen Stand zu bekommen, indem sie wieder aus ihren einzelnen, völlig isolierten Systemen Excel-Listen natürlich abgleichen. Da wäre das natürlich ein weiteres Thema, das auf der einen Basis-Infrastruktur ist, also ganz schön trivial und „keep it simple“, auf der anderen Seite natürlich hochsensibel, weil es um Geld geht. Es geht um Geld, um Vertrauen pur. Wenn da etwas schief läuft, wenn da ein Euro zu wenig oder zu viel ist, dann bricht wahrscheinlich so ein System ganz schön zusammen. Wir haben es trotzdem einmal auf unsere Liste gepackt. Wie siehst du es, Benny? Ist das wirklich noch „keep it simple“ oder muss man da eigentlich sagen: „Nein, wenn es um das Geld geht, hört die Liebe auf, und da wird es nicht digital werden“?

Benjamin Zühr: Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass es gerade da digital werden wird, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass durch dieses ganze Hin- und Hergeschubse bei Excel unglaublich viel Geld verloren geht. Ich will gar nicht wissen, wie häufig sich dort die einzelnen Beteiligten verrechnen und am Ende etwas Falsches in Rechnung stellen. Am Ende bekommt es ja auch keiner mehr raus, weil es keiner mehr versteht.

Ansgar Knipschild: Jeder freut sich für sich, dass er irgendwie einen Schnitt gemacht hat, aber beim nächsten Mal ist er der Gelackmeierte?

Benjamin Zühr: Genau, es ist unglaublich, was da teilweise zwischen Versicherer, Assekuradeur, Makler, Kunde und zurück passiert. Das ist der absolute Wahnsinn. Letztendlich bin ich fest davon überzeugt, dass diese Prozesse digitalisiert werden müssen. Das, was aktuell passiert, ist der totale Wahnsinn. Deswegen: Wenn da Möglichkeiten bestehen würden, über eine zentrale Datenbank einfach letztendlich auf diese zuzugreifen, auf Abrechnungsdaten zuzugreifen und über entsprechende Tools die dann in das eigene Format zu überführen, wie auch immer, damit wäre dem Markt sehr geholfen. Es würde viel Effizienz heben und letztendlich auch viel Geld sparen, weil ich glaube, dass sich da auch schon an der einen oder anderen Stelle massiv verrechnet wird.

Ansgar Knipschild: Ich persönlich hoffe da ja so ein bisschen, dass da aus der Finanzindustrie von den Banken auch gelernt werden kann. Da haben wir ja fast ein ähnliches Prinzip. Wenn man sich einmal die Privatbanken anschaut, also alle Formen, dann hast du Zentralbanken. Alle versuchen hier ja auch, ihre Salden – wo ist mein Kontostand ABC? – teilweise in Real Time oder teilweise immer noch im Tages- oder Wochenrhythmus abzugleichen. Eine Transaktion von Bank A zu Bank B ist ja nicht eine Transaktion, sondern das wird ja auch mehrstufig abgeglichen. Das könnte digitalisiert werden, wenn das vielleicht auch über moderne Technologien vereinfacht wird und viele Zwischenschritte ausgeblendet werden, weil es ja mathematisch oder buchhalterisch wirklich eine ganz einfache Transaktion ist. A hat zehn Euro weniger, B hat zehn Euro mehr. Eigentlich würde man im guten alten Papierkassenbuch sagen: „Kein Problem“. Durch unsere verteilte Struktur wird es heute eben komplex und fehleranfällig, wie du es eben gesagt hast. Vielleicht kann sich hier die Versicherungsbranche an die Lösungen, die die Finanzindustrie sich gerade ausdenkt, dranhängen. Das ist ja wirklich ein Riesenthema gerade, was im Markt ist. Ich glaube, da steckt viel Potenzial drin. Wir sind ja immer noch interessanterweise beim Thema Infrastruktur. Wir reden über das, was ganz unten drunter liegt, wie Geld transferiert wird. Das kann wirklich am Markt noch einmal wahnsinnige Effizienzen haben. Der Schritt von Wert und Geld, was bezahle ich, zu Risiko ist ja auch nur noch ein sehr kleiner. Wenn ich es gelöst habe, wie ich Geldtransaktionen zwischen den Beteiligten am Markt digitalisiere, dann kann ich mein Risiko auch relativ einfach digitalisieren. Das ist wirklich nur ein ganz kleiner Schritt.

Benjamin Zühr: Ich glaube nur, dass dieses Thema Abrechnung wirklich innerhalb der einzelnen Unternehmen anfängt. Da müssen erst einmal Strukturen geschaffen werden, dass das überhaupt einheitliche Wege geht. Ich kenne genug Unternehmen, wo eben wirklich teilweise Prozesse über das MVP gesteuert werden. Teilweise werden sie über ein anderes MVP gesteuert, teilweise nur über Excel, teilweise aber auch über das Hauptbuch und so weiter. Letztendlich passiert da so viel Chaos. Dann gibt es Drittsysteme, in denen irgendwelche Prozesse stattfinden und so weiter. Am Ende wissen wir nur gewisse Leute überhaupt, wo welche Abrechnungslisten sind. Deswegen glaube ich auch fest an diesen „Best of Breed“-Ansatz: nicht alles in einem System, sondern mehrere Systeme, die intelligent miteinander vernetzt sind. Ich glaube vor allen Dingen, dass wir von diesem Excel-Wahnsinn weg müssen. Das ist ein Killer, das ist ein absoluter Killer. Letztendlich befähigt er jeden, doch ein Stück weit sein eigenes Ding zu machen, auch im Bereich Abrechnung. Das ist letztendlich einfach gefährlich.

Ansgar Knipschild: Ja, interessant war es, wenn wir kurz zurückblicken, was wir diskutiert haben, dass bei fast jedem Thema, egal ob das Thema Kommunikation, Adress-Risikodaten oder Abrechnung, wir immer auf den Begriff „Zentrale Datenbank“ irgendwie gekommen sind. Selbst wenn du gar nicht einmal bei komplexen Themen wie Ausschreibung und „Quote and Bind“ irgendwie abzielst, landest du bei dieser zentralen Datenbank. Ich glaube, wenn dieses Thema in der Branche gelöst wird, dann finden wir eine Infrastruktur und ein System, das den Datenaustausch in einer zentralen Datenablage so organisiert, dass keiner sich übervorteilt fühlt, dass keiner dem Anderen misstraut, weil in der Mitte irgendwie der zentrale Administrator sitzt, der das ganze Thema irgendwie beherrscht. Dann wären wir einen riesigen Schritt weiter, wenn wir ganz unten anfangen. Der Begriff Blockchain wurde ein paar Mal genannt. Ich hänge jetzt nicht religiös an der Technologie. Darum geht es mir gar nicht. Sie ist für mich ein Synonym dafür, ganz konkret lösungsorientiert einen Ansatz zu finden, wie man genau dieses Thema „Zentrale Datenbank“ lösen kann. Wir können es gerne anders nennen. Wir können andere Sachen einbringen, aber ich glaube, wenn sich die Verantwortlichen unserer Branche, insbesondere die IT-Verantwortlichen, zusammensetzen und sich fragen würden: „Was ist denn unser gemeinsames Verständnis dieser zentralen Datenbank? Worauf können wir uns einigen auf der ganz unteren Ebene, wie wir Daten austauschen?“, dann wäre das ein riesiger Schritt. Das wäre so meine erste Quintessenz von heute. Vielleicht auch der Schritt, den man als erstes gehen sollte. Lass uns nicht über Ausschreibungsplattformen reden! Lass uns nicht über internationales Geschäft reden? Das ist hochattraktiv, keine Frage, aber wir müssen leider, und das ist unsexy, wie wir eben festgestellt haben, über die darunterliegende Autobahn einmal reden. Wir müssen diese zentrale Datenbank, die eigentlich eine dezentrale Datenbank ist, weil sie niemanden gehören darf, lösen. Das wäre der erste Step von „Keep it simple“, um darauf basierend dann Stück für Stück Kommunikation, Adressdaten, Risikodaten, Bezahlung und so weiter abzuwickeln.

Benjamin Zühr: Absolut. Ich bin zu hundert Prozent bei dir. Wir müssen da einfach klein anfangen, um uns dann langsam in das Große einzuarbeiten und langsam in die Komplexität einzuarbeiten. Ich glaube, wenn wir das Ganze ein bisschen kleiner erdenken, dann werden wir auch relativ schnell merken, dass Industrieversicherung doch digitalisierbar ist. Das wäre ja dann doch ein schöner Erfolg, sage ich einmal, für alle Beteiligten. Ich bin sehr gespannt. Ich glaube, wir müssen da einfach schauen, dass irgendeiner einmal den Anfang macht und den Mut hat, genau diesen ersten Schritt zu gehen, eine Kommunikationsplattform aufzubauen und möglichst viele Marktteilnehmer zu begeistern, dort letztendlich Teil dessen zu werden. Dann bin ich sicher, dass das Ganze auch relativ schnell erfolgreich sein wird und man auch relativ schnell Partner finden wird, die sagen werden, dass sie den Nutzen und den Mehrwert erkennen und bereit sind, letztendlich auch ihren Teil dazu beizutragen, dass das Ganze sich schrittweise weiterentwickelt hin vielleicht zu einer wirklichen End-to-End-Digitalisierung, die alle Prozessteilnehmer mit einschließt und die uns befähigt, auch komplexe Risiken strukturiert und somit digital auszuschreiben beziehungsweise zu verarbeiten.

Ansgar Knipschild: Ich finde, „Industrieversicherung ist digitalisierbar“ ist ein wunderbares Schlusswort. Das sollte unser Motto für die nächsten Wochen, Monate und Jahre sein und bleiben. In dem Sinne, Benjamin, danke für das Gespräch. Es war wie immer sehr spannend und inspirierend. Ich sage einmal: Bis nächste Woche, auch an die Zuhörer, und eine gute Zeit! Tschüss.

Benjamin Zühr: Ciao.

Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.

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