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ID#25

22.09.2021

KA Köln.Assekuranz, Dr. Leo Paus: Digitale Analyse von Naturrisiken mit K.A.R.L. – ID#25

Ansgar Knipschild spricht mit Dr. Leo Paus von der KA Köln.Assekuranz über die Digitale Analyse von Naturrisiken mit „K.A.R.L.“ Mithilfe des Systems können Industrieunternehmen standortbezogene Analysen und Berichte über Naturgefahren digital abrufen. Dr. Paus gibt einen Einblick in die Entwicklung von K.A.R.L., Einsatzzwecke des Systems und die besonderen Herausforderungen bei der Datenmodellierung von Naturgefahren.

Im Gespräch: Dr. Leo Paus und Ansgar Knipschild

Länge: 58 Minuten

Transkript

Ansgar Knipschild: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von Industrieversicherung digital. Heute zum Thema Digitale Analyse von Naturrisiken mit K.A.R.L. ist einer von der Köln Assekuranz entwickeltes System für die Analyse von Naturrisiken, dass die Köln Assekuranz auch im Markt als digitalen Service für Industriekunden anbietet. Und wir haben als Gast sozusagen den geistigen Vater von K.A.R.L. eingeladen, Herrn Doktor Leo Paus.

Der Podcast wurde im Juli vor den Hochwasserkatastrophen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen aufgenommen und wir haben daher am Ende der Aufnahme noch einen aktuellen Kommentar zu diesen Vorkommnissen ergänzt. Aber nun zurück zu unserem heutigen Gast, Herrn Doktor Leo Paus, herzlich willkommen.

Dr. Leo Paus: Zunächst vielen Dank Herr Knipschild für die Einladung zu diesem Podcast und dafür, dass wir uns hier gemeinsam ein wenig über die Fortschritte auf dem Gebiet der Naturgefahrenanalyse unterhalten können. Ja, ein paar Worte zu meiner Person. Von der Ausbildung her, bin ich Geologe, habe in Köln Geologie studiert und danach noch ein paar Semester an der TH Aachen dran gehängt. Danach gab es keine Jobs für Geologen, das war so Anfang der Achtzigerjahre. Da kamen dann sieben Jahre Selbstständigkeit und da habe ich mit zwei Studienkollegen, denen es ähnlich ging wie mir, ein eigenes Ingenieurbüro aufgemacht. Wir waren natürlich nicht sehr erfahren zu dieser Zeit und haben den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Und dabei gelernt, intelligent zu gucken, wenn man auch überhaupt nichts versteht, was der Kunde von einem will (lacht). Aber wie gesagt, in dieser Zeit haben wir unheimlich viel gelernt und ja, davon profitieren wir alle drei, die wir damals gemeinsam angefangen haben, heute noch. Danach kamen 17 Jahre im Versicherungsgeschäft, im Gerling Konzern in Köln, das war der Haftpflichtbereich der Gerling Consulting Gruppe, die sich also damals schon mit Umweltrisiken, Umweltschäden, Altlasten und so was beschäftigt hat. Da lag dann bei mir vor allem das Thema der Ursachenforschung. Also, wenn man zum Beispiel irgendwo an einer Trinkwasserentnahmestelle erhöhte Belastungen von Schadstoffen festgestellt hat, dann kommt natürlich die große Frage, wer war es. Und dass man dann also den Grundwasserstrom quasi rückwärts verfolgen muss, um mögliche Verursacher dingfest zu machen und im schlimmsten Fall, waren die dann bei Gerling versichert und mussten also für die Sachen dann noch aufkommen oder für die Schäden aufkommen. Das hat sich dann dazu entwickelt, dass wir damals dann auch Grundwassermodelle, also digitale Grundwassermodelle aufgebaut haben, die den Grundwasserstrom abbilden, indem man auch den Schadstofftransport im Grundwasser nachvollziehen kann oder auch vorausberechnen kann, mit denen man dann auch Sanierungsmaßnahmen entwickeln konnte. Das war also so über diese 17 Jahre fast mein Hauptgeschäft.

Parallel dazu und auch noch über die Gerling Zeit hinaus, war ich zwölf Jahre Gastdozent am geografischen Institut der Uni Bonn, wo ich dann versucht habe den Studenten nahe zu bringen, was es so mit der Versicherbarkeit von Naturgefahren und von Naturrisiken zu tun hat. Ja, dann kam ja der Zusammenschluss von HDI und Gerling im Jahr 2007 und daraus hat sich dann eben die KA Köln Assekuranz Agentur entwickelt und da bin ich dann auch gelandet. Und das mache ich jetzt seit 2008. Bin mittlerweile im Ruhestand, besser gesagt, Teilzeitrentner. Zwei Tage die Woche arbeite ich dann noch, hauptsächlich jetzt in der Entwicklung, also in der Umsetzung von geowissenschaftlichen Fragestellungen in EDV-Lösungen.

Ansgar Knipschild: Genau und da hätten wir auch die Brücke dann noch mal zum K.A.R.L. Ich habe es eingangs glaube ich gar nicht erklärt, wofür es steht. Köln Assekuranz Risikolösungen, ein System für die Analyse von Naturrisiken, das Sie auch am Markt anbieten. Das ist glaube ich das interessante dabei, Sie nutzen es nicht nur für interne Zwecke, also für das eigene Underwriting für die eigene Risikolösung, sondern Sie bieten es als digitalen Service auch am Markt an. Können Sie ganz kurz die Entstehungsgeschichte, die Idee von K.A.R.L. mal darlegen und vielleicht auch noch mal etwas genauer, was ist K.A.R.L., wie kann ich mir das als Kunde vorstellen? 04:43

 

Dr. Leo Paus: Ja, es war ja so, dass schon einige Ereignisse in den Neunzigerjahren, zum Beispiel die beiden Hochwässer 1993 oder Hochwasserereignisse wäre korrekter, in den Jahren 1993 und 1995, die gaben einem ja schon zu denken. Da sind also auch etliche größere Schäden entstanden, nicht nur in Köln, sondern auch in anderen Stellen des Rheins. Da habe ich mich dann schon angefangen, oder habe ich damit schon angefangen mich damit zu beschäftigen, was bedeuten eigentlich Naturgefahren, Naturrisiken. Aber so zu Gerling Zeiten war es also so, dass das noch nicht so ein Thema war, was wie heute im Vordergrund stand. Klimawandel zum Beispiel war ein Thema für Experten, das war nicht so in der Presse präsent wie heute.

Der eigentliche Ursprung von K.A.R.L., muss man sagen, war dann eigentlich der Hurricane Katrina, wo die Transportabteilung des Gerling Konzern festgestellt hat, okay, wir haben größere Schäden dadurch, aber haben das vorher nicht vorhersehen können, wir wissen nämlich nicht genau, wo unsere Versichertenstandorte überhaupt sind. Also Listen, Excel-Dateien, wo sie alle drinstehen, gab es schon, aber keine Landkarten, wo man sehen konnte, an irgendwelchen Nädelchen, hier haben wir was versichert und woanders nicht. Also das war die große Frage damals, wo sind eigentlich unsere versicherten Standorte in der Welt. Das war dann so die Keimzelle, dass ich mehr vom Haftpflichtbereich dann in den Transportversicherungsbereich rüber gerutscht bin und dort dabei mitgeholfen habe, so ein System erst mal aufzubauen, was die versicherten Standorte auf einer Landkarte bringt.

Ansgar Knipschild: Über welches Jahr sprechen wir da so Pi mal Daumen für die Hörer?

Dr. Leo Paus: Das war so um 2005, also Katrina war ja, hat ja 2005 stattgefunden, also so in den Jahren 2006, 2007 haben wir diese Entwicklungen damals gemacht. Ist ja schön, wenn an dann sehen kann, auf der Weltkarte, wo man versicherte Standorte hat. Dann kommt direkt die nächste Frage, wie gefährdet sind die überhaupt und welche Schäden sind da zu erwarten. Und wie gesagt, das war alles noch vor der Kölner Assekuranz, also vor der Gründung der Kölner Assekuranz und ist dann bei Gerling damals aus bekannten Gründen auch mehr oder weniger im Sande verlaufen.

 

Also die vielen guten Ideen, die wir da hatten, wie man da so ein System aufbauen könnte, die sind alle irgendwo in meiner Schublade gelandet und sind nicht realisiert worden. Ja, wo wir dann die Köln Assekuranz gegründet hatten, haben wir gesagt, jetzt machen wir von vornherein alles richtig. Das, was wir bei Gerling nicht mehr machen konnten, das werden wir jetzt hier bei uns von Grund auf aufbauen und ja, in irgendein Verzeichnis auf dem PC, mussten ja dann die ganzen Sachen untergebracht werden. Und Köln Assekuranz Risikolösungen war mir als Verzeichnisname zu lang und dann haben wir uns einfach K.A.R.L. genannt. K.A.R.L. ist eigentlich ein Verzeichnisname (lacht).  07:46

Ansgar Knipschild: (lacht) Dann haben wir das auch geklärt. Sehr gut.

Dr. Leo Paus: Und ja, hinterher haben wir das gesamte Projekt so genannt, wo finden wir was, ach guck mal im Verzeichnis K.A.R.L. nach. Nachher hieß es noch, guck noch bei K.A.R.L. nach und irgendwann heißt es, K.A.R.L. macht das schon.

Ansgar Knipschild: Den Namen kriegt man dann auch nicht mehr los, der ist dann gesetzt.

Dr. Leo Paus: Den wird man nicht mehr los und hat sich also auch ganz gut als Marke bewährt.

Ansgar Knipschild: Ja, das glaube ich.

Dr. Leo Paus: Ja, zuerst haben wir das, wie gesagt für uns aufgebaut und dann natürlich auch unseren ersten Kunden damals gezeigt. Also in der Zeit, die war für mich sehr angenehm, die Underwriter, die waren alle unterwegs und haben auf Kundenbesuch und ich saß da allein mehr oder weniger auf einer ganzen Etage und hatte absolute Ruhe da vor mich hinzuprogrammieren (lacht). Ja und aber gut, die ersten Kunden fanden das dann interessant, wir haben das natürlich ihnen gezeigt und dann kam also sehr schnell bei uns das, oder wurde uns sehr schnell bewusst, dass das ein USP, also neudeutsch Unique Selling Point ist, mit dem man auch was anfangen kann, mit dem wir also herzeigen konnten, hier wir können mehr als die Konkurrenz, wir können euch da Risikoanalysen liefern, die ihr vorher noch nicht gesehen habt.

Und was vor allem für die Kunden dann interessant war, dass wir, wenn wir, was weiß ich, bleiben wir bei Autoherstellern mal, die mehrere tausend Lagerplätze in der Welt nicht besitzen, aber nutzen, wenn man dann für diese Lagerplätze die entsprechenden Risiken ausrechnet, dann die Liste einfach, die dann da rauskommt nach der Höhe der Risiken sortiert, dann sieht man direkt, wo die spitzen Risiken sind. Und das hat natürlich alle interessiert. Und uns natürlich auch, da konnten wir dann eben mit den Kunden entsprechend drüber reden. Ja, so lief das dann etwa bis 2011.

Dann habe ich also auch gemerkt, dass mir das ganze etwas über den Kopf wächst, weil es einfach arbeitsmäßig nicht mehr zu regeln war. Und wir haben damals dann als ersten Mitarbeiter, den Matthias Müller als Geophysiker dazu genommen, das war vor genau zehn Jahren. Und der brachte viele Kenntnisse mit, die ich nicht hatte, wie man zum Beispiel so ein System wie K.A.R.L. auch online setzen kann. Also seit 2011 ist es dann auch möglich, dass sich Kunden bei uns auf der Webseite einloggen können und für Standorte eigene Berichte dann sich runterziehen können. 10:24

Ansgar Knipschild: Das heißt, der kommt dann wirklich, wenn ich da mal kurz einhaken darf, in lesbarer Form raus, wir reden jetzt nicht nur über Daten, die ich dann später noch mal aufbereiten muss, sondern ich bekomme einen Bericht, eine PDF oder wie muss ich mir das als Endkunde vorstellen?

Dr. Leo Paus: Ja, also Sie bekommen dann etwa zwei Minuten oder drei Minuten, nachdem sie den Bericht angefordert haben, bekommen Sie einen im Schnitt so irgendwo zwischen zwanzig und dreißig seitigen PDF Bericht, wo über die Klimadaten und jetzt nicht Klimawandel, sondern die aktuellen Klimadaten, über die Risiken von Vulkanismus, Erdbeben, Hagel, Überschwemmung, Sturmflut, insgesamt acht bis neun verschiedene Naturgefahren sind es, die da behandelt werden, mit den statistischen Hintergründen und so weiter, wird da informiert.  11:08

Ansgar Knipschild: Beeindruckend, ja.

Dr. Leo Paus: Ja und wichtig ist natürlich, K.A.R.L. wird oft auch dann nur auf die Software reduziert und das ist eigentlich nicht ganz richtig. Also wir sind mittlerweile ein Team von vier Damen und 3,5 Herren. Also die 0,5 bin ich (lacht), das man auch jederzeit anfragen kann. Also wenn es irgendwelche speziellen Fragestellungen gibt, die zu lösen sind, oder ein Kunde nicht so genau versteht, was jetzt in dem Bericht da gemeint ist, mit bestimmten Fachausdrücken. Wir versuchen die zwar zu umgehen und uns möglichst verständlich auszudrücken, aber es klappt halt nicht immer. Also man kann bei uns dann auch jederzeit anrufen und kriegt jemanden aus dem Team ans Telefon, mit dem man dann detailliert ein Problem auch besprechen kann. 12:00

Ansgar Knipschild: Jetzt muss ich an einer Stelle noch mal nachhaken, bevor wir gleich noch mal auf ein paar fachliche Fragen kommen. Sie haben gesagt, dass Sie zu Beginn munter da auf diesem Stockwerk oder in diesem Büro vor sich hin programmiert haben. Wie kommt denn jetzt eigentlich ein Geologe dann zu IT, überhaupt zu dieser Datennähe? Das liegt ja nicht unbedingt zwingend beieinander.

Dr. Leo Paus: Ja, notgedrungen hat das also schon viel früher angefangen. Also das war so Anfang der Achtzigerjahre, wo ich damals promoviert habe, da habe ich, da ging es also um Problemstellungen im Talsperrenbau. Und da habe ich also so viele Daten nachher zusammen gesammelt gehabt, die ich also zu Fuß oder mit dem Taschenrechner schon gar nicht mehr hätte auswerten können. Dann habe ich also gemerkt, man muss also auf die damalig verfügbare EDV-Technik zurückgreifen. Das war so ein Commodore Rechner, mit dem kleinen grünen Bildschirm und dem schwarzen Kassettenrekorder daneben, wo die Daten dann drauf waren. 

Ansgar Knipschild: Das ruft bestimmt Erinnerungen von einigen Zuhörern wahrscheinlich hoch (lacht).

Dr. Leo Paus: Ja, die müssen aber dann schon etwa meine Altersstufe sein (lacht). Das war ja noch vor den Atari Zeiten. Gut, also diese Rechner, ich habe ihn noch, ich konnte mich zum Leidwesen meiner Frau nicht davon trennen, die stehen heute im Museum normalerweise. Er ist auch bei mir nicht mehr in Benutzung. Ja, also so hat das damals bei mir eigentlich angefangen, dass ich dann gebraucht so ein Teil damals, neu kosteten die zehntausend Mark. 

Ansgar Knipschild: Ja, Wahnsinn.

Dr. Leo Paus: Ist also für so einen Computer heutzutage ein unvorstellbarer Preis, den habe ich damals aber gebraucht an Land ziehen können. Gut ja danach kam ja, nach dem Studium die Phase der Selbstständigkeit und da haben wir dann auch geotechnische Software entwickelt so für Baugrunduntersuchungen, Setzungsberechnungen und Ähnliches. Dann auch ein CAD-System, die waren ja damals auch noch unerschwinglich teuer. Wir brauchten es dann für eigene Zwecke und es ist damals ähnlich gelaufen wie mit K.A.R.L. bei der Köln Assekuranz, dass sich das dann auch als verkaufbar herausgestellt hat. Und dann auch die Sache der Grundwassermodellierung. Das hatte ich ja eben schon angesprochen, also wie kann man jetzt hier Umweltschäden verfolgen und dingfest machen.

Also das haben wir dann zum Teil schon unter Selbstständigkeit und später dann bei der Gerling Consulting Gruppe weitergeführt. Was man da eben lernt, gerade bei den Grundwasserfragen, dass man, wie man es macht, aus wenigen Daten, aus wenigen Informationen, viel Wissen herauszieht. Also, wenn man sich, das ist ein gutes Beispiel, wenn man sich einfach mal vorstellt, man hat einen Quadratkilometer, also tausend mal tausend Meter und dann macht man einen Würfel daraus, noch mal tausend Meter in die Tiefe und setzt da vielleicht drei oder vier Bohrungen rein, die bestenfalls einen Durchmesser von dreißig Zentimeter haben, dann weiß man, also aus diesen Bohrungen genau genommen nur, was im Promillebereich über diesen Kubikkilometer, den man da vor sich hat und der Rest ist eben Interpretation und Rekonstruktion.

Also der beste Spruch, der mir dazu einfällt, ist immer, man kann sich nicht so verschätzen, wie man sich verrechnen kann (lacht). Ja, was dann kam, ich habe damals bei der Gerling Consulting Gruppe 1986 auch dieses Sandoz Ereignis miterlebt, dort können sich viele wahrscheinlich auch noch dran erinnern, wo der Rhein rot gefärbt war und wo dann die Uferfiltrat-Brunnen entlang des Rhein abgestellt wurden, damit man also sich dann die vergiftetet Brühe nicht noch in die Brunnen reinsaugt. Das ging ja damals alles durch die Presse. Und dieser Sandoz Schadenfall war auch einer der größten Schadensfälle, den man damals zu der Zeit hatte. Das waren so, ich habe gestern noch mal nachgeguckt, weil ich die Zahlen nicht mehr genau wusste, also heute sagt man, dass es so etwa 115 Millionen Euro, die Schadenhöhe war. Das war 1986. So knapp zehn Jahre später kam Katrina, die Überschwemmung von, oder der Untergang von New Orleans und der hat einen Schaden angerichtet von 108 Milliarden Dollar.

Ansgar Knipschild: Also das Tausendfache.

Dr. Leo Paus: Ja, gut, wenn man Dollar und Euros ungefähr eins zu eins, dann kann man sagen, dass also der Hurricane Katrina etwa das Tausendfache des Schadens angerichtet hat, wie die Sandoz Katastrophe. Und da wurde natürlich mir auch klar, dass Naturgefahren oder Naturkatastrophen viel höhere Schäden anrichten können, als ich es aus dem Umweltsektor bis dahin kannte. Und das hat dann auch dazu geführt, dass ich mich da mit dem Thema näher beschäftigt habe. Wir haben damals dann auch bei der Köln Assekuranz, die ist ja dann quasi kurz nach der Katrina Katastrophe entstanden, haben wir auch mit Munich Re, die da ja auch eine sehr schlagkräftige Abteilung in Sachen Naturgefahren, Naturrisiken hat. Die haben damals Pionierarbeit geleistet, das muss man heute immer noch sagen.

 

Mit der Weltkarte der Naturgefahren, die es mittlerweile auch als IT-Produkt gibt, also als Nathan hieß es zeitweise, jetzt heißt Geoweb oder eine Schadendatenbank ist von Munich Re aufgebaut worden, wo man also, wo sie dort akribisch auch bis in die fernere Vergangenheit schon Daten gesammelt haben über Naturereignisse, oder über Naturkatastrophen, wieviel Opfer hat es gegeben, welche Schäden sind damit verbunden gewesen. Das ist also ein Archiv, auf das quasi die, fast die ganze Welt zurückgreift, wenn sie also Fragen zur Statistik von Naturereignissen beantworten will. Bis 2010 war diese Datenbank auch, zumindest teilweise öffentlich zugänglich. Das hat sich dann leider geändert.

 

Ja, aber durch eben diese Aktivitäten, haben die Rückversicherer auch immer im Brennpunkt der Schadenerfahrung gesessen. Erstversicherer, die merken vielleicht nicht so, wenn sich da irgendwo ein Trend abzeichnet, aber wenn viele Erstversicherer weltweit ihren Schadendaten an die Rückversicherer melden, dann ist zumindest auch bei der Münchener Rück, bei der Munich Re, heißt es ja mittlerweile, sehr früh, sind die Alarmglocken angegangen und wir haben also gesehen, da tut sich was.  18:47

Ansgar Knipschild: Vielleicht kurz zum Thema Daten, Sie haben es genannt, am Beispiel der Daten auch von der Munich Re, mit welchen Daten und Datenquellen arbeitet K.A.R.L., um letztendlich dann diese Analyse zu erzeugen?

Dr. Leo Paus: Wir arbeiten überwiegend mit öffentlich zugänglichen Daten, die man also von verschiedensten Institutionen frei herunterladen kann. Also man muss da, an vorderster Front steht da der amerikanische, der US-amerikanische Wetterdienst Noah und der geologische Dienst der USA, der USGS, wo man also von dem einen Wetter- und Klimadaten, bei dem anderen Erdbeben, Daten und Sachen zu Vulkanismus runterladen kann. Dankenswerterweise, ist das in den USA aufgrund des Freedom of Information Acts so, dass die auf dem Standpunkt stehen, Daten, die mit Steuergeldern gesammelt worden sind, die stehen auch der Öffentlichkeit zur Verfügung. 19:41

Ansgar Knipschild: Das sind auch weltweite Daten, ne? Nicht nur aus Amerika?

Dr. Leo Paus: Das sind auch weltweite Daten, also nicht nur die USA, sondern global. Also das sind so neben einigen anderen Datenquellen, die Hauptquellen für uns. Die sind zwar öffentlich zugänglich, aber meistens doch in Datenformaten, wo man schon Geowissenschaftler sein muss, um überhaupt was damit anfangen zu können. Das tut mir manchmal so ein bisschen leid, weil wenn die Daten etwas einfacher vorlägen, dass auch Normalbürger, die jetzt nicht unbedingt Geophysik oder Geologie oder Meteorologie studiert haben müssen, sich auch diese Daten angucken könnten, dann wäre vielleicht das Risikobewusstsein auch etwas breiter. Aber man braucht Spezialsoftware, einige Erfahrungen, um dann mit diesen Daten auch klarkommen zu können.

Ansgar Knipschild: Müssen Sie die dann täglich oder wöchentlich, oder was sind so Zyklen, in denen man da aktualisiert, wie werden die bereitgestellt, um da mal ein Gefühl zu bekommen?

Dr. Leo Paus: Gut, gerade bei Erdbeben und bei Klima und Wetterdaten kommt natürlich täglich was dazu. Aber das, wir gucken ja dann mehr nach Trends und nach Korrelationen und die ändern sich natürlich nicht dadurch jetzt unbedingt, wenn täglich ein Wert dazu kommt. Sondern da kann man doch auf längere Zeiträume gehen. Aber ab und zu muss man bei uns Updates fahren.

Wir machen das also so im Schnitt einmal pro Jahr, dass wir die Erdbeben, unsere Erdbeben Datenbank wieder ergänzen. Oder ja, Erdbeben und Tsunami, haben wir eigene Datenbanken, wo wir dann die Ereignisse, die also aus externen Quellen stammen, dann einbringen. Und gut, das ist auch Arbeit, die gemacht werden muss, so einmal im Jahr ist es etwa nötig, dass wir unsere Daten dann ergänzen. Ja, was wir noch an Datenquellen nutzen, sind digitale Höhenmodell. Das muss man sich für jemanden, der sich jetzt nicht unbedingt damit so auskennt vorstellen wie eine Riesentabelle. Einmal auf die Weltkarte gelegt, wo man dann in Abständen von einigen Kilometern bis zu einigen Zehnermetern, einen Punkt drin hat, einen Wert drin hat, der die örtliche Höhe angibt. Also da kann man sich dann ausrechnen, wie viel Spalten und wie viele Zeilen diese Tabelle wohl haben mag.

Ansgar Knipschild: (lacht) Da kommt der Commodore 64 oder welcher es auch waren, bisschen ins Schwitzen wahrscheinlich.

Dr. Leo Paus: Ja, spätestens da hätte ich ihn ausgemustert (lacht). Ja, gut, also im Moment schlag ich mich da mit einem Höhenmodell rum, was etwa alle dreißig Meter einen Höhenpunkt hat, weltweit, auf allen Kontinenten, inklusive sogar der Antarktis oder Teilen der Antarktis, aber das interessiert uns natürlich weniger. Aber da hat man dann den Punkt, dass man zu viele Daten hat, weil die Höhenmodelle sind ja über Radartechniken von Satelliten aus aufgenommen worden und der Radarstrahl, der reagiert nicht auf den Erdboden, sondern auf den höchsten Punkt, den er trifft. Also das sind dann Hausdächer oder Baumgipfel. Das heißt in diesen Höhenmodellen sind auch Bebauung und Vegetation mit drin. Interessiert uns aber nicht so, uns interessiert das sogenannte Terrainmodell, also wie hoch ist dort der Erdboden, also wenn eine Hochhaussiedlung oder ein Wald als erhöhtes Gebiet betrachtet würde, dann würde er zum Beispiel bei Überschwemmungsanalysen rausfallen, dann wäre da eine Insel, was ja nicht der Tatsache entspricht. Ich bin im Moment dabei beschäftigt, dieses dreißig Meter Höhenmodell so zu korrigieren, dass man Bebauung und Wälder rausrechnen kann und Rückschlüsse auf die tatsächliche Höhenlage des Erdbodens ziehen kann. Das ist die richtige Aufgabe für einen Ruheständler (lacht).

Ansgar Knipschild: (lacht) Ich hatte mir so als Frage notiert, welche besonderen Herausforderungen gibt es da. Ich habe eben mitgenommen, das sind die Datenmodelle, zum Teil inhaltlich, dass sie halt aufbereitet werden müssen, konvertiert werden können. Aber dass sie korrigiert werden müssen, hatte ich jetzt in der Tat nicht so auf dem Schirm, das ist natürlich sehr, sehr interessant. Gibt es noch weitere Herausforderungen, die Sie da noch haben? 23:59

Dr. Leo Paus: Ja, also wenn wir gerade bei Frage der Daten sind, neues Thema, was jetzt natürlich auch auf der Kundenseite immer öfter an uns herangetragen wird, ist die Frage des Klimawandels. Also die Kunden wollen wissen, was wird uns denn jetzt durch den Klimawandel passieren, wo wir heutzutage ein Risiko haben, wie sieht es denn eventuell in Zukunft aus. Und da sind wir im Moment mit beschäftigt, da haben wir aber auch dieselben Probleme, wie wir mit anderen Datenquellen auch haben. Jetzt nicht unbedingt, dass da Fehler drinstecken, aber es gibt ja mehrere Szenarien. Es gibt ein Szenario, was besagt, wir machen so weiter, wie bisher mit dem CO2-Ausstoß und mit dem Verbrennen fossiler Rohstoffe. Dann sähe die Zukunft ziemlich düster aus. Es gibt aber auch ein Modell, was impliziert, dass wir vernünftig werden, beziehungsweise neue technische Entwicklungen stattfinden werden, die uns den CO2-Ausstoß gewaltig zurückfahren lassen. Oder sogar aktiv CO2 aus der Erdatmosphäre holen können, das wäre das günstigste Szenario.

Und dann gibt es auch noch einige Szenarien, die halt dann so Zwischenlösungen anbieten. Das muss man sich also erst mal entscheiden, welches Szenario nimmt man oder auf welches Szenario will man sich stützten, weil Analysen für die Zukunft. Und dann werden natürlich zu diesen Szenarien auch Modellrechnungen gemacht, von verschiedensten Institutionen, Institutionen von verschiedenen Quellen. Und die natürlich dann auch wieder voneinander abweichen. Also das ist so die Thematik, wo sich dann eine Kollegin, die wir seid fast zwei Jahren jetzt dabei haben, die Frau Doktor Fröhlich, die ist Meteorologin, die beschäftigt sich also damit, mit diesen Fragestellungen. Und wenn wir da zu einem Entschluss gekommen sind, welche Modelle und welche Szenarien wir wie behandeln werden, dann kommt wieder eine Aufgabe auf mich zu, das mit in K.A.R.L. einzubauen. 26:05

Ansgar Knipschild: Sie haben jetzt mehrfach von Risiken gesprochen, das ist natürlich der Kern vom Versicherungsgeschäft, Risiken zu bewerten, Risiken einzuschätzen, aber auch von Wahrscheinlichkeiten gerade, natürlich bei Naturgefahren, die ja eher den Charakter selten aber extrem haben, wenn man es mal so ganz zusammenfasst. Vor allen Dingen die großen, Sie haben auch von den Hurricanes gesprochen, das zu verstehen, das mal einzuordnen, das Stichwort Jahrhundertereignis haben Sie, glaube ich, auch mal erwähnt. Können Sie das vielleicht noch mal so ein bisschen erklären, auch wie man das in einer Form aufbereiten kann, ich glaube, das ist ja die Herausforderung vielleicht auch so, dass es verständlich wird und vielleicht auch eben für die Kollegen und Kolleginnen beim Kunden, die letztendlich ja mit diesen Daten dann was machen.

Dr. Leo Paus: Ja, vielleicht müssen wir da erst mal den Begriff Risiko klären, weil das, was wir da mit K.A.R.L. machen oder was wir eben unseren Kunden oder den Unternehmen, die wir bedienen dann als Analyse zukommen lassen, das sind Risikoanalysen. Aber in der Versicherungswirtschaft, das hat man als Naturwissenschaft, da tut man sich ja immer ein bisschen schwer. Bloß die haben meistens schon das versicherte Objekt als Risiko bezeichnet.

Wie viel Risiken haben wir denn in unserem Bestand, das ist so Versicherungsdeutsch eine Fragestellung, die öfters mal auftaucht. Und mit diesem Risikobegriff, der das auf das versicherte Objekt reduziert, da kommen wir jetzt in dem Zusammenhang, wie wir mit K.A.R.L. arbeiten, nicht so richtig klar. Also eine Risikodefinition, wie wir sie nutzen, das wäre der Verlust, also jetzt einfach mal ins Unreine gesprochen. Der Verlust, der durch eine Einwirkung von außen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu erwarten ist. Also die Eintrittswahrscheinlichkeit innerhalb einer bestimmten Zeitspanne, die wird angegeben pro Jahr, also eins pro Jahr und damit kommt eben dann raus, dass man eben einen Verlust pro Jahr hat, oder also eben Euro pro Jahr als Einheit für ein Risiko.

Wenn ich also davon ausgehe, dass mein Standort einmal in hundert Jahren einen Totalschaden meinetwegen durch eine Überschwemmung erleiden würde, dann wäre mein Risiko eins, also ein Prozent pro Jahr. Also so geben wir das an. Und das machen wir dann natürlich, oder jetzt muss man dann eben unterscheiden, dann gibt es auch noch eine Begriffsdoppelung, oft wird auch Gefahr oder Gefährdung oder Risiko in einen Topf geschmissen. Also man hört das immer noch sehr oft. Eine Gefahr ist eben gegeben durch einen vorhandenen Vulkan, durch einen vorhandenen Fluss oder dass man eben wieder im Gebiet lebt, wo es Erdbeben geben kann. Eine Gefährdung würde dann besagen, okay, gibt es hier oft Vulkanausbrüche, oder sind die selten, gibt es oft Überschwemmungen, oder sind sie selten. Und das nächste wäre dann eben das Risiko, was besagt, okay, wenn es denn passiert, was geht denn dann kaputt.

Und da stützen wir uns also auf einen Ansatz, der 1953, da hat es ja eine schwere Sturmflut in den Niederlanden gegeben und damals wurde dann auch von der niederländischen Regierung der Deltaplan ins Leben gerufen, der sich damit beschäftigt, wie kann man die Niederlande eigentlich vernünftig gegen weitere Sturmfluten schützen. Und da ist ein Mathematiker, der hieß David von Dantzig, oder van Dantzig, der hat dann eine Methode der Risikoberechnung entwickelt, die relativ einfach ist, die Formel lautet Risiko, das ist die Eintrittswahrscheinlichkeit mal den Schaden. Die kommt also auf genau das raus, was wir eben auch rechnen, beziehungsweise wir kommen darauf, weil wir uns eben nach dieser Berechnungsmethode orientiert haben.

Gut, also die Eintrittswahrscheinlichkeiten sind das eine, was man bestimmen muss für bestimmte Ereignisse, aber wie hoch sind denn jetzt die Schäden, die man erwarten muss. Wenn eine freie Wiese überschwemmt wird, dann passiert nicht viel, wenn dort bestimmte Werte angesammelt werden, kann einiges passieren. Dann muss man sich im nächsten Schritt wieder damit befassen, ja was steht denn da überhaupt, oder was ist gelagert, was wird produziert oder welche acht Gebäude sind dort und so weiter. Da gibt es dann eben die, oder dazu gibt es dann die Thematik der Vulnerabilität. Dass man sich also damit befassen muss, weil meinetwegen mit welchen Wasserständen, sind welche Schäden zu erwarten. Man kann das ganz gut an Autos festmachen, also vielleicht ist, wenn ich jetzt hier Beispiele bringe ist das manchmal ein bisschen Auto lastig, aber das bietet sich an. Wir versichern natürlich auch was anderes als Autohersteller, aber Auto kennt jeder. 30:42

Ansgar Knipschild: Das hilft mir auch, kommt mir entgegen (lacht).

Dr. Leo Paus: Genau, wenn ich jetzt also jetzt mit irgendeinem Rohstoffprodukt aus der chemischen Industrie kommen würde, dann wäre das für viele Leute wahrscheinlich ein bisschen zu exotisch, aber unter Auto kann man sich immer was vorstellen. So, wenn man jetzt zum Beispiel sagt, Autos sind auf einem freien Gelände, auf einem freien Parkplatz, auf einer Wiese irgendwo abgestellt und warten auf ihre Abholung oder Weitertransport, denen wird ein Erdbeben zum Beispiel wenig anhaben können. Also das müssen die Stoßdämpfer schon irgendwo abkönnen. Aber ein Hagelschauer, die würde dann natürlich für etliche Beulen sorgen und große Schäden verursachen. Wenn man diese Autos jetzt, um sie vor Hagel zu schützen, in eine Halle stellt, klar, dann kommt kein Hagelschaden mehr, aber die Halle könnte beim Erdbeben einstürzen, dann wären wieder alle kaputt (lacht). So und diese Überlegungen muss man natürlich für alle Naturgefahren anstellen. Also bei Vulkanausbrüchen, da kann es sein, wenn Sie jetzt ein Unternehmen haben, was nah an einem Vulkan steht, was also zum Beispiel in Japan oder auf den Philippinen durchaus passieren kann, dass man dort von, sogar von einem Lavastrom erwischt wird, ist das die eine Sache. Wenn man aber weit weg ist von Vulkanen, dann kann immer noch die Asche auf die Autos herunterrieseln und wenn man dann versucht die mit einem Lappen weg zu machen, dann hat man ungewollt eine Mattlackierung. Also die ist zwar heute modern, aber sollte nicht auf die Art und Weise zustande kommen. Kurz und gut, diese ganzen Zusammenhänge, die sich zwischen Naturgefahren und den Schäden, die daraus entstehen können, abspielen, die stellen wir dann in sogenannten Vulnerabilitätskurven dar, die wir auch in Zusammenarbeit mit unseren Kunden erarbeiten. Also die stammen nicht aus Versicherungserfahrungen, nicht aus Versicherungsdaten oder Schadendaten, sondern mit den Kunden zusammen überlegen wir auch, was würde euren Produkten passieren, wenn das Wasser hier einen halben Meter hochstehen würde, wenn vulkanische Asche drauf runter rieseln würde, oder wenn ein Erdbeben passieren würde.  32:46

Ansgar Knipschild: Ist wahrscheinlich auch immer eine individuelle Bewertungssache, je nach Kunde, muss man schon ein bisschen nachfragen, wie mit Lagerung umgehen

Dr. Leo Paus: Genau, also bei Lebensmittelprodukten, Kaffee, sagen wir mal, da würde es reichen, wenn einige Zentimeter Wasser irgendwo in eine Lagerhalle eindringen, beim Falle einer Überschwemmung, aber dann ist die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass das alles direkt anfängt zu schimmeln. Also da wird schon allein die Feuchtigkeit, die dadurch entsteht, zu einem Großschaden führen. Bei Autos ist es so, da sind also auch alle Autohersteller, mit denen wir zusammenarbeiten, sind sich da einig, dass also, sobald der Unterboden des Fahrzeugs längere Zeit im Wasser steht, dann ist das Auto auch ein Totalschaden. Sie können mit dem Auto durch eine tiefere Pfütze fahren, aber Sie können es nicht zwei Tage im Wasser stehen lassen.

Und gut, das alles wird dann eben, wenn es um die Vulnerabilitäten geht, also um die Möglichkeit, die Schadenhöhen ausrechnen zu können bei verschiedenen Eintrittswahrscheinlichkeiten, muss das natürlich berücksichtigt werden. So und das machen wir dann für quasi jede Fragestellung, für jede Naturgefahr dann in Abhängigkeit von der Vulnerabilität zehntausend Mal, also vom ein-jährlichen bis zum zehntausendjährlichen Ereignis wird ausgerechnet, welche Schäden entstehen würden und daraus wird dann über ein mathematisches Verfahren das Gesamtrisiko ermittelt.

Ja und das heißt, wir geben also dann für die Risiken natürlich auch ziemlich genaue Zahlen raus. Eigentlich, meiner Meinung nach, sogar ein bisschen Pseudogenau, wenn man da ein Risiko von 0,385, aber das hat eben der Computer errechnet. Und von einem anderen Standort gibt es dann 0,387 und dann kann man schon die Frage stellen, warum ist das Risiko da höher als bei einem anderen Standort (lacht). Okay, aber da muss man halt damit leben. Aber die Kunden halt, das hatte ich ja schon gesagt, können ja bei uns auch nachfragen, warum die Ergebnisse, die wir berechnen, so sind, wie sie sind. 34:52

Ansgar Knipschild: Wobei das natürlich schon zu der spannenden Frage führt, nehmen wir mal an, ein Kunde hat jetzt diese Daten vorliegen. Letztendlich also wirklich sehr präzise auch auf die jeweilige Lokation bezogen. Wie ist die Erfahrung, können die Kunden damit umgehen, sind sie in der Lage daraus jetzt auch Rückschlüsse zu ziehen? Weil wenn ich mir das jetzt vorstelle, ich habe diese ganzen Daten, wo wir eben schon bei den Begrifflichkeiten ja auch ein bisschen gestolpert sind, das ist ja glaube ich nichts, was man von heute auf morgen so erlernen kann. Da muss man wahrscheinlich sich auch mal so ein bisschen rantasten oder wie ist so Ihre Erfahrung?:35:22

Dr. Leo Paus: Ja, also die Erfahrung ist natürlich insbesondere auch, wenn man jetzt mit Eintrittswahrscheinlichkeiten zum Beispiel hantiert, also mit hundertjährlichen, zweihundertjährlichen, fünfhundertjährlichen Ereignissen, dann kriegt man immer noch, ich muss sagen, leider immer noch, öfters mal zur Antwort, also wir sitzen hier an diesem Standort seit 25 Jahren und da ist noch nichts passiert (lacht).

Ansgar Knipschild: Ich glaube, das sagen aber viele, also wenn Sie in der Bevölkerung fragen würden an so einem Beispiel, also ich meine, man kennt es ja auch von diesen populären Sachen Fukushima und so weiter, da ist es ja ähnlich, das passiert alle tausend Jahre. Ich habe noch fünfzig Jahre zu leben, mir passiert nichts.

Dr. Leo Paus: Ja genau, das ist eine Einstellung, auf die man sehr oft mal trifft. Das ist also dann auch das Risikobewusstsein bei vielen Kunden, was man dann, ich will mal sagen, was man ein bisschen nachschärfen muss. Und wir kommen ja dann mit diesen ganzen Fragestellungen ja auch in den Bereich der Extremwertstatistik, das hatten Sie ja eben auch schon mal kurz angesprochen. Das beste Beispiel, mit dem wir uns jetzt, jetzt nicht mit K.A.R.L., oder nicht in der Versicherungswirtschaft rumschlagen müssen, das ist ja zum Beispiel die Endlagersuche für atomaren Abfall. Also wir haben einen geologischen Überblick, will ich es mal nennen, der etwa zweihundert Jahre umfasst. Also die Wissenschaft der Geologie gibt es seit etwa zweihundert Jahren, vielleicht auch seit 250 Jahren, so genau weiß ich es nicht. Mehr als einen Erfahrungsschatz von dieser Zeit haben wir nicht und wir sollen aber für Endlager, für eine erforderliche Sicherheit sorgen, die in Millionen von Jahren liegt.

Gut, da ist es jetzt das ganz große Rad, das ganz große Beispiel. Aber wir haben, wenn wir jetzt uns mit Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüchen, Überschwemmungen und ähnlichem beschäftigen, haben wir auch einen Datenschatz, der vielleicht über ein paar Jahrzehnte geht. Also wir in Köln, der Kölner Pegel, wird seit 1816 beobachtet, da gibt es tägliche Messungen des Rheinwasserstandes, das ist natürlich ein statistischer Datenschatz, ein statistisches El Dorado, das hat man nicht überall in der Welt und muss dann mehr, gerade wenn es um Erdbeben, Tsunamis und so was geht, muss man auf Proxydaten zurückgreifen. Das heißt also aus geschichtlichen, historischen Aufzeichnungen abgeleitete Naturereignisse. Also da kommt man dann so weit, warum ist die minoische Kultur untergegangen oder ja, was steht in der Bibel über Sodom und Gomorrha, was kann das gewesen sein (lacht). Ist jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben, aber so in die Richtung geht das dann.

Und ja, dann spukt uns wieder der Klimawandel rein, weil wenn man statistische Auswertungen machen will, dann geht man eigentlich davon aus, dass die Daten, die man hat, die man auswerten möchte, auch aus, sagen wir mal, einer einheitlichen Familie stammt, dass sich da nichts geändert hat. Da kann man zum Beispiel bei Erdbeben von ausgehen. Also die Geologie arbeitet so langsam, dass die Erdbebenzonen von vor tausend Jahren noch die Erdbebenzonen von heute sind. Aber beim Klima ist das eben anders. Wir haben eine ziemlich starke Erwärmung und wie wir da also statistische Daten für Starkregen oder Überschwemmungen erheben und auswerten, da müssen wir immer wieder berücksichtigen, dass da in den letzten Jahrzehnten auch schon die Einwirkung des Klimawandels drinsteckt. Die man dann erst mal wieder erkennen und rausrechnen muss.

Also da gibt es ein gutes Beispiel, von einer europäischen, von einer größeren europäischen Hafenstadt, die irgendwann in den Fünfzigerjahren dann Hochwasserschutzmaßnahmen hat durchführen lassen. Da gibt es also auch eine Schutzmauer, die rund um den Hafen geht und alles einschließt und die ist damals so ausgelegt worden, dass sie etwa eine hundertfünfzig jährlichen Statistik, hundertfünfzig jährlichen Sturmflut standhalten würde. Nur, wenn man den Meeresspiegel mit einbezieht und guckt, wie diese Schutzeinrichtungen heute wirken würden, dann würden sie nur noch gegen das statistisch 75-jährige Ereignis wirken. Also wenn sich die Eintrittswahrscheinlichkeit halbiert, dann verdoppelt sich das Risiko. 39:40

Ansgar Knipschild: Ja, ich glaube, da merkt man so ein bisschen den Trend, das haben Sie ja auch schon mehrfach erwähnt und wahrscheinlich auch relative Beurteilungen, wie hat sich das im Laufe der Jahre entwickelt, steigt das Risiko an, flacht es ab, wahrscheinlich aus Kundensicht auch ganz wichtige Interpretationen dabei sind. Man tut sich vielleicht mit der absoluten Bewertung, mit den errechneten Werten nicht ganz so leicht, aber wenn man einen Trend sieht, da geht was in eine ganz andere Richtung, als prognostiziert, hilft es bei der Entscheidungsfindung, würde ich jetzt mal so vermuten, oder?

Dr. Leo Paus: Ja, gut, aber es gibt da eine Menge Trends in der Welt.

Ansgar Knipschild: Da haben Sie auch wieder recht.

Dr. Leo Paus: Also gerade eben bei den klimatisch bedingten Naturgefahren oder Naturereignissen, da sieht man deutliche Trends, während bei Erdbeben, Vulkanausbrüchen und ähnlichem tut sich ja eigentlich nichts und dann spielt da natürlich die Diskussion rein, dass man höhere Schäden in den letzten Jahrzehnten beobachtet hat, was auch die Statistiken von Munich Re zeigen. Geht natürlich auch darauf zurück, dass heute viel mehr Werte, versicherte Werte in Gebieten stehen, wo man früher nicht war. Also es werden Flussauen oder meeresnahe Gebiete dann auch als Industrieareale ausgewiesen und da gehen dann auch weltweit operierende Firmen hin und werden Produktionen aufgestellt, weil der Untergrund, weil der Boden schön flach ist, weil es von der Infrastruktur her gut zu erreichen ist.

Das sind dann ökonomische Faktoren, die dann im Vordergrund stehen und dann wird da gebaut und dann wird da ein Industriegebiet eingerichtet. Für die Gemeinden, die die Industriegebiete ausweisen, ist natürlich auch eine positive Entwicklung. Nur sind das dann auch Areale, die im Zweifelsfalle dann auch häufiger erwischt werden und dadurch haben wir also auch einen Trend drin, der dazu geführt hat, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Schäden gehäuft haben oder die Schäden insgesamt pro Jahr höher geworden sind.

Aber komischerweise hat man eben diesen Trend bei Geogenen, also Naturgefahren, die aus der Erde herauskommt, wie eben Erdbeben und Vulkanismus, hat man diese Entwicklung dann nur sehr schwach. Also das lässt natürlich dann die Schlussfolgerung zu, dass bei den klimatisch bedingten Naturgefahren dann auch der Klimawandel da eine große Rolle mitspielt.

Ansgar Knipschild: Sehr spannend. So habe ich da noch nie drüber nachgedacht. Herr Doktor Paus, ich würde gerne so zum Schluss des Gesprächs auch noch mal auf das Thema Digitalität zurückkommen, ist ja auch das Thema unseres Podcasts, digitale Industrieversicherung. Sie bieten mit K.A.R.L. einen digitalen Datenservice an und dieses Thema wird ja in der Industrieversicherung immer wichtiger, und zwar sowohl von der Versicherer-Seite – Sie haben eben auch die Rückversicherer angesprochen – aber auch von der Kundenseite.

Wir haben Kunden, die digitaler werden, die mit dem großen Schlagwort Industrie 4.0 auch selber immer mehr Daten haben. Wie ist Ihre Sicht so auf die Rolle von Daten und auch Datenlieferanten in der Industrieversicherung, sehen Sie da Trends, wie sehen Sie da so die Bedeutung von diesem Thema? Und wer ist auch für welche Daten zuständig? Das ist so ein bisschen das andere Thema. Sind das die Kunden, die alles liefern sollen, müssen, Schrägstrich oder wie Sie es ja machen, die Versicherer, die eben auch versuchen diesen Datenpool durch eigene Recherche anzureichern? 42:51

Dr. Leo Paus: Ja, also ich denke mal, das sollte ein Zusammenspiel sein zwischen Versicherungswirtschaft und den entsprechenden Kunden. Also mein Schlagwort, was ich da aufbringen würde, wäre Transparenz. Ich weiß es nicht, wo es herrührt, aber manchmal hat man den Eindruck, dass also von Versicherungskunden her immer noch so ein bisschen Misstrauen besteht, dass man da seinen Versicherern nicht unbedingt alles erzählen muss. Ich denke mal, das sollte sich überlebt haben.

 

Wir sitzen heutzutage alle in einem Boot und wollen versuchen Schäden zu minimieren. Wir versuchen das mit unserem Wissen zu tun. Und stellen das dann über so ein System wie K.A.R.L. zur Verfügung und die Versicherungskunden, die können einen Beitrag dazu leisten, indem sie ihr Wissen, ihre Daten zur Verfügung stellen. Jetzt will ich mal gar nicht über technische Probleme, wie Schnittstellen und so was, das ist IT reden, aber zum Beispiel Autohersteller, wissen ganz genau, wo sich ihre Fahrzeuge befinden. Jedes Fahrzeug kriegt, wenn es die Produktion verlässt, einen Barcode, der irgendwo dann auch in Computern verwaltet wird und die wissen genau, auf welchem Lagerplatz oder auf welchem Schiff sich ihr Fahrzeug gerade befindet, bis es dann beim Händler oder beim Kunden landet. Und so unsere Erfahrung geht dahin, dass also die Versicherungsabteilungen der Produzenten, die ja unsere Ansprechpartner dann sind, dass die diese Daten noch nicht mal bekommen. Es gibt manchmal echte Probleme herauszubekommen, wie viele Fahrzeuge stehen denn jetzt gerade auf welchem Lagerplatz. Und das ist ja eigentlich das, was wir wissen müssten.

Und mit einem Autohersteller, haben wir das halt mal durch durchexerzieren können vor einigen Jahren, dass wir dann für die Lagerplätze, wo wir in ziemlich engem Raster, das waren, glaube ich, so alle drei Monate, die aktuellen Daten bekommen haben. Dass wir dann für die Lagerplätze durchgerechnet haben, mithilfe von K.A.R.L., welche Risiken gibt es denn da. Da stand Hagel im Vordergrund. Dann haben wir also mit dem Kunden das Agreement getroffen, dass wir gesagt haben, okay, wir können ja die Lagerplätze jetzt mal nach ihrem Risiko kategorisieren, die Hochrisikolagerplätze, die kosten dann jetzt einfach in der Prämie ein bisschen mehr als die Niedrigrisiko-Lagerplätze und jetzt ist es, liegt es an euch, lieber Kunde, dass ihr versucht von den Hochrisikolagerplätzen wegzukommen und mehr in den harmloseren Bereich vorzudringen, dann haben wir da beide was von. Also wir haben weniger Schäden zu erwarten und der Kunde zahlt etwas weniger Prämie. Und das hat einige Jahre sehr gut geklappt.

Aber wie das in der Versicherungswelt so ist, auch wenn es gut klappt und wenn die Kundenverbindung gut läuft, irgendwann ist dann auch mal Ende des Vertrags (lacht). Aber das war eine Erfahrung, die wir da in der Zeit gemacht haben, die wir gerne auch weitertragen möchten, aber da muss der Kunde da natürlich auch mitspielen, dass er sich auf so ein System dann einlässt. Viele Informationen kann man natürlich auch über Satellitendaten kriegen, wenn man über das hinausgeht, was allgemein verfügbar ist, das ist ja schon sehr viel. Aber wenn sie tagesaktuell oder wochenaktuell was haben wollen, dann werden Satellitendaten sehr teuer. Und da müsste man sich dann natürlich auch mit dem Kunden darüber einigen, wer denn so was dann bezahlt.

Im Grunde genommen läuft alles darauf hinaus, was mal, jetzt komme ich ganz am Schluss zu Gerling zurück, da gab es mal den Wahlspruch, sichern vor versichern und das ist im Grunde genommen das Konzept, was wir hier mit System K.A.R.L. und was wir mit unserem Team dann auch verfolgen.  46:38

 

Ansgar Knipschild: Ja, ich finde auch den Begriff Transparenz, den Sie direkt am Anfang genannt hatten, einen ganz wichtigen. Und Sie verfolgen das ja auch durch diese digitale Brille durchaus in der Branche, dass Forderungen von der Industrieseite, Mensch Versicherer strengt euch mal an, ihr seid langsamer als wir, in Anführungsstrichen, ich überspitze das jetzt mal so ein bisschen.

Ist die eine Seite der Medaille, auf der anderen Seite, wie Sie aber auch schon, ist aber die Realität manchmal auch noch nicht ganz so, ich glaube da muss man sicherlich auch nach der Größe der Unternehmen so ein bisschen unterscheiden. Also wer ist in der Lage solche Daten vielleicht auch von Kundenseite bereitzustellen? Welche Bedenken gibt es und ich glaube, das ist eine der spannendsten Herausforderungen in der Branche, wie man, genau wie Sie es beschrieben haben, hier sich annähert und genau diese, wie es so schön heißt, Win-win-Situation eben aufbrechen kann. Und da finde ich, ist K.A.R.L. ein gutes Beispiel, das jetzt von außen reinkommt.

Also im Prinzip vom Kunden ja außer den geografischen Daten oder den Adressdaten, sage ich jetzt mal, der Niederlassung und der Standorte nicht viel mehr braucht. Also eigentlich relativ einfache Informationen. Aber das ist ja nur der erste Schritt, wenn ich an alle Risiken im Unternehmen halt denke. Die auch von innen kommen müssen an der Stelle. Und das zu begleiten. Also ich glaube, da müssen wir auch für einen der Folge-Podcast mal überlegen, wir suchen gerade auch noch.

Das ist ein Aufruf jetzt hier an die Zuhörer, gerne auch aus der Kundenperspektive heraus, mal Teilnehmer, dass wir da mal schauen und mal in den Dialog auch reinkommen und überlegen, wie kann man das wirklich in den Griff kriegen an der Stelle. Ich persönlich glaube, es hat ja auch viel mit Kosten zu tun. Schnittstellen, Sie haben eben gesagt, ist ein IT-Thema. Das ist aber häufig nicht billig, muss man eben da sehen. Aber viele der Daten, die ausgetauscht werden müssen, müssen ja auch nicht täglich oder in Realtime ausgetauscht werden und da gibt es, glaube ich, auch durchaus praktikable Lösungen, wie man sich da annähern kann, an der ein oder anderen Stelle.

Dr. Leo Paus: Ja, aber es ist halt ein Thema, was so seit über zehn Jahren mich begleitet und da gibt es nur sehr langsame Fortschritte auf dem Gebiet. Da wünschen wir uns mehr. 48:30

Ansgar Knipschild: Ein wunderbares Schlusswort, Herr Doktor Paus, da wünschen wir uns mehr Digitalisierung in der Industrieversicherung, wird uns sicherlich auch noch in den nächsten Jahren begleiten. Wir hoffen, dass es etwas mehr Geschwindigkeit aufnimmt, indem wir von allen Seiten dran arbeiten.

Vielen lieben Dank für diese knappe Stunde, die wir jetzt hier verbracht haben, ich fand es hochspannend, habe eine Menge gelernt. Ausnahmsweise nicht nur aus dem IT-Bereich, sondern eben in diesen, aus der Geologie, aus der Geographie. Also ich fand es wirklich superspannend und würde mich freuen, wenn wir uns demnächst zu einem Folgegespräch auch noch mal hier treffen können, Herr Doktor Paus.

Wie in der Anmoderation schon angekündigt, haben wir uns dazu entschlossen aufgrund der Hochwasserkatastrophen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen einen aktuellen Kommentar zu diesen Vorkommnissen zu ergänzen.

Herr Doktor Paus, Sie haben Ihren Kommentar in fünf kurze Punkte gegliedert. Beginnen wir direkt mit dem ersten Punkt, wie bewerten Sie als Experte für Naturrisiken, diese Starkregen Ereignisse und Überflutungen im Juli? 49:25

Dr. Leo Paus: Ja, zuerst mal, ist es ein großer Lerneffekt, den wir jetzt hatten, beziehungsweise, man konnte es sich denken, aber jetzt haben wir so etwas miterlebt, das Jahrhundert oder Jahrtausend Ereignisse, die wir immer in weiter Ferne ansiedeln, auch heute oder morgen kommen können. Also man weiß eben nie, wann statistische Jahrhunderte oder statistische Jahrtauende begonnen haben und wann sie enden. Und in den Einzugsgebieten der Ahr und der Erft und einige andere Flüsse, war das eben leider in diesem Juli genau so. Das ist natürlich dann jetzt auch eine Frage, die für die Versicherungswirtschaft oder das Risikomanagement interessant ist.

Den Schaden kennen wir, den haben wir gesehen, aber wie oft kann sich so was wiederholen, was sind die statistischen Wiederkehrperioden, beziehungsweise Eintrittswahrscheinlichkeiten, mit denen man da rechnen muss. Jetzt ist es ja so, glücklicherweise so, dass solche Ereignisse selten sind. Also man hat nur einen kleinen Datensatz, mit dem man sich da beschäftigen kann und wir haben das also auch in den letzten Wochen versucht.

Es gibt auch andere Veröffentlichungen, die in der Zwischenzeit rausgekommen sind, die sich also auch mit der Thematik beschäftigen. Nach unserer Meinung, liegt die Wiederkehrperiode an der Ahr, mit der haben wir uns also hauptsächlich beschäftigt, eines solchen Flutereignisses in der Größenordnung von einhundert bis zweihundertfünfzig Jahren. Aus historischen Quellen und da haben sich auch Bonner Wissenschaftler mit beschäftigt, die haben das schon vor Jahren näher ausgewertet, weiß man noch, dass es im Jahr 1804 ein Überflutungsereignis im Ahr-Tal gegeben hat, was noch schlimmer war, als das diesjährige.

Da ist also ungefähr die doppelte Wassermenge durchgeflossen, von der, die wir jetzt im Juli 2021 hatten. Das Ereignis, also ein Ereignis dieser Größenordnung, würde man etwa als dreihundert bis fünfhundert jährliches Hochwasser einordnen können, aber da gehen die Schätzungen auch bis zum tausendjährlichen Ereignis, das kann man viel genauer im Moment auch gar nicht bestimmen. Was die Niederschlagsereignisse angeht, kann man im Moment nur sagen, dass es sicherlich mehr als ein hundertjährliches Ereignis war und wenn man ganz streng statistisch arbeitet, dann kommt man also bis dazu, dass es sogar ein zehntausendjährliches Ereignis gewesen sein könnte, was sich da an der Ahr abgespielt hat, aber das scheint mir etwas zu weit gegriffen, also da sprechen die Daten, die man hat, doch eine andere Sprache.

Also das wird auch sicherlich ein mehrhundertjährliches Ereignis sein. Ja, was man noch weiter draus lernen muss, dass wir umdenken müssen. Die kleinen Flüsse wie Ahr oder Erft oder auch so was wie Lahn oder Mosel, die fallen ja fast in eine ähnliche Größenordnung. Die sind mindestens genauso gefährlich, wenn nicht sogar gefährlicher als die großen. Weil da eine Rolle spielt, man hat nur geringe Vorwarnzeiten. Also am Rhein weiß man, dass man sich ja hier in Köln einige Tage, manchmal sogar eine Woche drauf vorbereiten kann, bis die Hochwasserwelle, die also in Süddeutschland entsteht, bis zu uns vorgedrungen ist.

Da hat man also eine längere Vorwarnzeit. Aber an den kleinen Flüssen dreht es sich höchstens um Stunden, bestenfalls um einen Tag. Und was noch dazu kommt, gerade in den engen Tälern hat man kaum Platz für größere Schutzmaßnahmen, Dämme oder Welle, oder auch Rückhaltebecken und ähnliches. Das lässt sich zumindest im Ahrtal alles kaum realisieren. Da haben sie die Felswände, die Straße, die Häusers, die Eisenbahnen und Fluss und dann ist wieder die Felswand da. Ja, sicher, man muss sagen, fast sicher ist es, weil es schon seit Jahren von Klimatologen auch so vorhergesagt wird, ist, dass die Starkniederschläge heftiger und häufiger kommen werden, als in der Vergangenheit. Das wird auch in dem neuen IPCC Bericht der vor ein oder zwei Wochen rausgekommen ist, wieder gesagt.

Und das bedeutet natürlich, dass die heute mit statistischen Methoden berechneten Wiederkehrperioden für Starkregen oder Überflutungsereignisse, die ja auf Daten der Vergangenheit beruhen, anders geht es nicht, dass die nichts anderes sind, als auch ein Blick in die Vergangenheit. Das, was uns der Klimawandel bescheren kann, das können wir aus diesen Daten nicht herauslesen, dafür brauchen wir dann eben die Modellstudien, die verschiedenen Klimaszenarien, die wir in Zukunft erwarten können, dann auch abbilden.

Aber es zeichnet sich da ab, dass es sein könnte, dass die Wiederkehrperioden sich zum Teil halbieren, also dass aus einem hundertjährlichen ein fünfzigjährliches, also ein fünfzigjährliches, 25-jährliches Ereignis werden könnte. Aber auch das ist alles im Moment noch Gegenstand der Forschung und läuft quasi parallel mit den unschönen Beobachtungen, die wir weltweit machen müssen. Also die Katastrophen, die wir jetzt hier bei uns gesehen haben, sind ja nicht allein. Wir wissen jetzt die Überschwemmungen gerade jetzt gestern oder vorgestern in USA in Tennessee hat es ähnlich ausgesehen, wie an der Ahr. Also da denke ich, ist das was, wo wir uns drauf einstellen müssen.

Und das können wir machen, durch Hochwasser angepasstes Bauen. Dass, wenn wir produzieren, lagern oder irgendwelche Handlungen vornehmen, die eben in diesen engen Flusstälern stattfinden, dass wir uns dann in Zukunft immer drauf einstellen müssen, also immer im Hinterkopf haben, wir sind hier in einem hochgradig Hochwasser gefährdeten Gebiet. Und dass wir also das immer im Auge behalten, ist denke ich wichtiger denn je.

Hinzu kommt natürlich auch, dass man vorhandene Einrichtungen wartet und in Ordnung hält. Also wir haben mehrfach in den letzten Jahren den Schadensfall gehabt, dass ein Starkregen kam, der theoretisch durch die Entwässerungseinrichtung, die da vorhanden waren, auch hätte abgeleitet werden können, aber die waren eben in einem bedauernswerten Zustand. Also die Gullys waren total verdreckt und verstopft. Dass also da nichts ablaufen konnte. Und da muss man natürlich auch in Zukunft noch verstärkt Augenmerk drauf richten, dass man eben die vorhandenen Einrichtungen in einem guten Zustand hält.

Ja für unser System K.A.R.L. bedeutet das natürlich, dass wir gerade im Moment auf der richtigen Schiene sind. Wir sind ja im Moment, ich hatte es ja schon gesagt, dabei, K.A.R.L. mit einem viel detaillierteren Höhenmodell auszurüsten, als wir es bisher benutzt haben. Das heißt also vor allem kleine Täler werden darin viel besser dann abgebildet und können dann natürlich auch genauer analysiert und auch identifiziert werden. Damit ist für uns dann aber, da wir ja global arbeiten und nicht ins kleinste Detail gehen können, das Ende der Fahnenstange erreicht. Man kann darüber hinaus natürlich noch detaillierter werden.

Es gibt Ingenieurbüros, die wirklich für einige Quadratkilometer dann entsprechende Detailanalysen machen, wie das Wasser im Fall eines Starkregens fließen würde. Und das habe ich nur mal als Beispiel gelesen, was mich besonders beeindruckt hat, dass sogar der Verlauf der Ackerfurchen da eine Rolle spielen kann. Weil wenn sie längs zur Fließrichtung an einem Hang angelegt werden, dann läuft das Wasser ja durch die Vorrichtung wie durch kleine Bäche durch und kommt direkt unten im Tal an. Und wenn man das Feld also quer zur Neigung des Hanges pflügen würde, dann würden die Furchen schon Wasser zurückhalten können, was dann eben nicht abfließt, dann bleibt es halt in den Furchen stehen. Also solche Details sind modellierbar, aber wie gesagt, das machen wir bei der Köln Assekuranz mit K.A.R.L. auch nicht mehr, dafür muss man dann Spezialunternehmen beauftragen. 57:38

Ansgar Knipschild: Ja Herr Doktor Paus, vielen Dank für Ihre kurze Zusammenfassung und aktuellen Kommentare zu dem Thema. Vielen Dank auch noch mal, dass Sie sich die Zeit genommen haben für diese Extraaufnahme hinten dran. Ich glaube, das sind für unsere Hörer auch noch mal sehr wertvolle Informationen gewesen. Vielen Dank.

Dr. Leo Paus: Hat mir auch Spaß gemacht. Ich bedanke mich auch und auf Wiederhören.

Ansgar Knipschild: Auf Wiederhören, einen schönen Tag, tschüss.

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