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ID#28

07.12.2021

Cogitanda, Jan Henning Evers: Digitalisierung im globalen Schadenmanagement – ID#28

Der Weg von der Papierakte zum digitalen Schreibtisch ist eine Revolution, keine Evolution, sagt Jan Henning Evers. Über den Einfluss der Digitalisierung auf das Versicherungsversprechen, digitale Produkte, sicheren Datenaustausch zwischen Marktpartnern und den Faktor Mensch spricht er mit Ansgar Knipschild und Toni Klein.

Im Gespräch: Jan Henning Evers, Ansgar Knipschild und Toni Klein

Länge: 55 Minuten

Transkript

Toni Klein: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Episode des Podcasts Industrieversicherung Digital. Mein Name ist Toni Klein und bei mir ist mein Kollege Ansgar Knipschild. Hallo Ansgar.

 

Ansgar Knipschild: Hallo zusammen. Grüß dich, Toni.

 

Toni Klein: Wir haben uns heute zusammen einen wieder einmal spannenden Gesprächspartner eingeladen. Es ist Jan-Henning Evers von Cogitanda. Hallo Herr Evers.

 

Jan-Henning Evers: Hallo, Frau Klein. Hallo Herr Knipschild.

 

Toni Klein: Ich freue mich sehr, dass Sie heute bei uns sind. Ich stelle Sie einmal kurz vor. Herr Evers, Sie sind Jurist. Sie haben eine sehr lange Laufbahn schon in der Versicherungsbranche, darunter waren Sie schon bei der Ergo. Sie sind im Schadenbereich und auch im Bereich Gutachten ein sehr gefragter Experte. Sie hatten verschiedene geschäftsführende Positionen. Und seit Februar 2021 sind Sie jetzt Geschäftsführer bei Cogitanda Claim Services und Ihr offizieller Titel lautet Director Global Claims, weil Sie auch internationale Ambitionen haben. Ist das korrekt?

 

Jan-Henning Evers: Das ist korrekt. Wenn man bei Cogitanda arbeitet, ist das automatisch so. Denn darauf ist das ganze Geschäft ausgelegt, was wir machen. Aber genau, das ist alles richtig wiedergegeben.

 

Toni Klein: Die Digitalisierung spielt auch in Ihrem Arbeitsalltag eine große Rolle. Und darüber wollen wir heute auch sprechen, über Digitalisierung in der Industrieversicherungsbranche. Meine Einstiegsfrage an Sie wäre: Was verstehen Sie denn eigentlich unter Digitalisierung? Was wäre Ihre spontane Eingebung dazu?

 

Jan-Henning Evers: Spontan wäre das papierlos. Ich glaube, das ist das, was einem am meisten begegnet, wenn man über Digitalisierung spricht oder auch damit im Alltag zu tun hat, zumindest wenn man ein gewisses Alter hat. Also ich kenne noch die Zeit, wo es auch Papierakten gegeben hat. Und die gibt es bei uns zum Beispiel heute nicht mehr. Und das ist mit Sicherheit ein sehr plastisches Bild, was man einfach bei Digitalisierung findet. Ansonsten ist es natürlich vor allem der Einsatz von Technik, um Prozesse effizienter, besser zu gestalten. Und die finden dann auf unterschiedlichen Ebenen statt. Die sieht man manchmal und manchmal sieht man die nicht. Schreibtische haben sich geändert. Da stehen jetzt hier bei mir drei Bildschirme darauf. Das war früher auch ein wenig anders. Die sind auch schmaler geworden als noch vor ein paar Jahren. Aber manche Technik läuft im Hintergrund und die sieht man eben nicht.

 

Toni Klein: Wenn wir jetzt direkt die Digitalisierung auf die Industrieversicherungsbranche übertragen, wie würden Sie denn den aktuellen Stand in der Branche zum Thema Digitalisierung beschreiben?

 

Jan-Henning Evers: Wir haben zum einen ein Produkt, was Digitalisierung widerspiegelt. Das ist auch das, womit wir uns beschäftigen. Das ist das Thema Cyber. Die Digitalisierung in der Versicherungsbranche oder in der Industrieversicherungsbranche an sich, die wird ähnlich sein, wie es in der sonstigen Industrie auch ist. Dort gibt es einige, die dort sehr weit sind und es gibt einige, die glaube ich noch weit hinterherhinken. Das ist gerade ein sehr großer Transition-Prozess. Und gerade die großen Tanker haben natürlich dort eine viel größere Aufgabe als die kleinen Wendigen. Und das einmal durch die ganzen verschiedenen operativen Level durchzubekommen, ist mit Sicherheit eine große Aufgabe. Da sind noch nicht alle gleich weit.

 

Toni Klein: Sind Sie denn zufrieden, wie es im Moment ist?

 

Jan-Henning Evers: Wir als Cogitanda sind insoweit damit zufrieden, weil wir glauben, dass wir weiter sind und uns deshalb absetzen können. Nach außen hin hat sich mit Sicherheit für Kunden schon einiges getan, dass sie da beispielsweise digitale Abschlüsse machen können oder auch ansonsten auf Plattformen arbeiten können, die den Umgang mit Versicherung einfacher macht. Ich glaube aber, dass im Hintergrund noch viele Prozesse sehr analog sind beziehungsweise noch nicht durchdigitalisiert sind und dass das dem Geschäft nicht zuträglich ist.

 

Ansgar Knipschild: Wie sehen Sie es denn in der Verteilung in der Branche, Herr Evers? Nehmen wir einmal das Spiel Versicherer und Makler auf der anderen Seite, wenn wir einmal diese beiden Parteien sehen, die ja auch verstärkt digital miteinander zusammenarbeiten wollen, zusammenarbeiten müssen. Wen sehen Sie da aktuell gerade im Lead? Lässt sich das allgemein beantworten?

 

Jan-Henning Evers: Ich glaube, das lässt sich nicht allgemein beantworten. Es gibt die sehr großen globalen Makler, die natürlich die Power haben, auch wirklich große Digitalisierungsprozesse im eigenen Haus und in ihrer sonstigen Umgebung schlicht und ergreifend umzusetzen, weil sie einfach die nötigen Mittel haben und das auch tun. Ansonsten, da der Makler natürlich ein Bindeglied zwischen dem Endkunden und dem Versicherer ist, ist es natürlich auch da eine Aufgabe, Digitalisierung zu schaffen. Aber das Hauptangebot muss dann auch von demjenigen kommen, der auch das Produkt anbietet. Und das ist dann der Versicherer. Wenn der es nicht anbietet, dann wird es in der Mitte dem Makler natürlich schwerfallen, ein analoges Produkt dann umzudigitalisieren. Das stelle ich mir schwierig vor. Also da muss im ersten Prozessschritt sozusagen das Digitalisierungsangebot schon kommen. Sonst wird es am Ende kein ganzes digitalisiertes Produkt.

 

Toni Klein: Was glauben Sie denn, was der aktuell größte Treiber für die Digitalisierung in der Branche ist?

 

Jan-Henning Evers: Mit Sicherheit ist das Corona-Thema ein Treiber. Auch wenn Corona für vieles herhalten muss, aber es ist wahrscheinlich der größte Game Changer, den man so in der Arbeitswelt erlebt hat. Dann mussten alle. Den Leuten blieb nichts anderes übrig und den Unternehmen auch nicht. Ansonsten glaube ich einfach, dass mit dem Einzug an unterschiedlichen neuen Charakteren und Generationen auch einfach sich auch dieser Entwicklungsprozess fortsetzt. Denn das ist auch etwas, was in den Köpfen auch stattfinden muss. Nur den Digitalisierungsprozess technisch bereitzustellen, setzt im am Ende noch nicht mit Menschen um. Und das ist etwas, was auch mit einem Generationenwechsel kommt und der findet, glaube ich, gerade statt.

 

Ansgar Knipschild: Sehen Sie nicht auch die Kosten als einen ganz großen Treiber? Denn wenn man sich vor allen Dingen einmal die Versichererseite anschaut und dort schaut, wie neben der Schadenquote sich auch die Kosten entwickeln, dann merkt man doch, dass dort einige Carrier in einigen Sparten nicht profitabel arbeiten. Das muss man ganz nüchtern so feststellen. Das wird zum Teil auch offen kommuniziert. Haben wir dann neben den von Ihnen genannten Themen, Corona, Generation, nicht auch wirklich einen ganz starken operativen Druck, dass Digitalisierung einfach gemacht werden muss, weil ansonsten Kosten wirklich aus dem Ruder laufen und einfach kein profitables Geschäft mehr möglich ist?

 

Jan-Henning Evers: Ja, das wird mich Sicherheit bei manchen der Fall sein. Aber ich glaube, das wurde vor langer Zeit auch schon prophezeit, dass es Versicherungsunternehmen im Markt gibt, die operativ keinen Gewinn mehr machen, also mehr Prämien einnehmen, als dass sie beispielsweise Schäden auszahlen. Das gibt es schon seit längerem. Das wurde durch einen guten Finanzmarkt kaschiert. Der ist jetzt auch down seit langer Zeit. Und da rühren große Probleme her. Aber die sind auch schon sehr lange da und es geht immer noch allen zumindest noch so gut, dass der Druck noch nicht groß genug ist. Ja, es ist mit Sicherheit auch ein Treiber. Aber die Erkenntnis dessen, dass das kommt, die hätte eigentlich schon viel früher greifen müssen. Insofern wird es eine Mixtur aus vielen Dingen sein, wie immer.

 

Toni Klein: Aber dann würde ich noch einmal nachfragen zu dieser Mixtur: Wie sieht es denn mit diesen Nicht-Versicherungsplayern aus? Treiben die auch ein wenig den Markt voran, was die Digitalisierung betrifft, aus Ihrer Sicht? #00:07:45-6#

 

Jan-Henning Evers: Tun sie auf jeden Fall. Und sie kommen natürlich an vielen Punkten den Versicherern nahe. Also es gibt nun Plattformen, die sich mit Versicherungsprodukten, mit dem Vertrieb oder einfach mit Versicherungsthemen beschäftigen, die das vor langer Zeit noch nicht getan hätten, die einfach universal auf jeder Ebene etwas anbieten und die vollkommen durchdigitalisiert sind, weil sie so entstanden sind und die natürlich jetzt als neue Gefahr wahrgenommen werden. Insofern ja, auf jeden Fall. Die treiben eine grundsätzliche Digitalisierung in der Gesellschaft voran. Und das ist natürlich ein Trend, den man schlicht und ergreifend nicht mehr ausweichen kann. Also wenn heute jemand sagt. Das machen wir nicht. Wir setzen ganz bewusst auf analog. Dann kann das, wenn ich jetzt einmal durch der IT-Sicherheitsbrille schaue, einen gewissen Vorteil haben. Aber wenn ich es natürlich aus der Gesamt-Brille sehe, ist das natürlich kein Weg mehr, den irgendjemand mitgehen kann, weil er keinen Marktzugang mehr hat. Also der wird einfach verloren gehen. Und damit holen Sie heute keinen Zwanzig-Jährigen mehr ab. 8:52

 

Toni Klein: Was glauben Sie denn, was hemmt die Branche? Gibt es da etwas, was Ihnen spontan einfällt? Das größte Hemmnis?  

 

Jan-Henning Evers: Das größte Hemmnis ist einfach die Größe der Aufgabe. Sie müssen Ihre ganze Welt von Grund auf neu gestalten. Wenn Sie den Digitalisierungsprozess nicht da ansetzen, wo wirklich das Kerngeschäft und der innerste Zirkel beginnen, dann ist es immer nur, ich will nicht sagen, Makulatur. Das ist wahrscheinlich ein bisschen übertrieben. Aber dann arbeiten Sie an Endprodukten. Sie arbeiten von außen ein wenig drumherum. Aber am Ende bleibt es dann trotzdem irgendwie analog und es ist eben keine Revolution, sondern maximal eine Evolution. Und der Schritt von einer Papierakte hin zu einem volldigitalisierten Schreibtisch ist eher die Revolution als die Evolution. Denn Sie haben jetzt nicht irgendwie ein neues Register in Ihrer Papierakte, was Sie jetzt irgendwie besser orientieren lässt. Deshalb glaube ich, dass die Angst davor, wirklich da heranzugehen und im Endeffekt einmal alles neu zu denken und das eben auch technisch umzusetzen, die Aufgabe ist einfach so groß, dass sich da nicht jeder einfach so ad hoc herantraut. 

 

Toni Klein: Aber ja muss. In dem Zusammenhang würde ich Sie gerne fragen: Gibt es einen Satz, den Sie kennen und hören, wo Siesagen, den kann ich nicht mehr hören? Das ist nicht mehr zeitgemäß? Oder den habe ich schon zu oft gehört?  

 

Jan-Henning Evers: Es gibt glaube ich eine ganze Menge Sätze. Häufig sind solche Sätze mit irgendwelchen Zukunftsprognosen oder Versprechen verbunden, die man ad hoc nicht halten muss. In der Digitalisierung steckt eine riesige Chance. Oder: Wir sehen großes Potential in der Digitalisierung. Die Aussage, die da drinsteckt, ist: Das ist bestimmt ein super Ding, aber ich mache es nicht. Sondern das kann dann mein Nachfolger machen. Sonst wäre er es schon längst angegangen und hätte nicht darüber geredet. Dann hätte er ein Produkt präsentiert, was da kommt. Das sind dann mehr so Politiker-Statements.

 

Ansgar Knipschild: Produkt ist ein schönes Stichwort und zwar im Sinne von Versicherungsprodukt. Da greife ich einmal kurz diesen Begriff auf. Sie haben eben von der großen Aufgabe gesprochen, die auch deshalb die Herausforderung für viele der Beteiligten ist. Die Digitalisierung der eigentlichen Versicherungsprodukte, also sprich des Versicherungsschutzes, der Deckungszusagen und auch der damit verbundenen Bedingungen ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Digitalisierung. Was ist Ihrer Meinung nach denn ein digitales Produkt? Woraus besteht es? Und gibt es dort in dem Bereich der Industrie, gehen wir einmal vor allem ins große, ins schwere Geschäft, was ja sehr individuell ist und in Abgrenzung mit dem Gewerbe, Ihrer Meinung nach Unterschiede in der Definition eines digitalen Produkts? Oder wie sehen Sie diesen Begriff?

 

Jan-Henning Evers: Ich sehe den Begriff der Digitalisierung schon als universell. Also der greift überall um sich. Der spielt gesellschaftlich genauso eine Rolle wie jetzt in speziellen Produkten. Also insofern ist der überall genauso anwendbar und muss auch überall dieselben Kriterien stellen. Und da komme ich in der Tat wieder auf das zurück, was ich gerade eben gesagt habe. Das muss mit Sicherheit papierlos sein und das muss vollkommen auf technischer Basis funktionieren. Also das startet beim Abruf eines Produkts, so wie ich es abschließen kann. Und weil ich überall technisch normalerweise in unserer heutigen Zeit Zugriff habe auf Internet und auf IT, muss ich dieses Produkt auch überall abschließen können.

Ob ich jetzt zuhause mit meinem Handy sitze, was jetzt in der Industrieversicherung vielleicht nicht immer Anwendung findet. Aber theoretisch muss ich es überall machen können. Und ich muss es vor allen Dingen papierlos machen können. Ich muss nicht mehr darauf warten, dass jemand etwas unterschreibt und eintütet. Das ist mit Sicherheit ein ganz großer Schritt. Und wenn ich in der Lage bin, ein solches Produkt eben zu digitalisieren, dann muss ich es auch in seinen Bestandteilen digitalisieren. Dann darf ich nicht in der Underwriting-Abteilung wieder Papier wälzen und ausdrucken und unterstreichen, sondern da muss das Produkt an sich in seinen Bestandteilen digitalisiert sein, denn nur so kann ich natürlich dann auch die Individualisierungsmerkmale treffen, die man in der Industrieversicherung braucht. Denn da muss man ja auf den jeweiligen großen Kunden so eingehen, wie er es benötigt. Und dann kann ich die Segmente dort zusammenstellen. Ich sage einmal, so einen digitalisierten Verschiebebahnhof zu haben, das stelle ich mir darunter vor. Genauso wie ich auch digitalisierte Standardprodukte anbieten kann. Aber das muss auch im Baustein selber digitalisiert sein, geht dann weiter über das Pricing, geht dann weiter und kommt am Ende bei Schaden an. Und dass diese Informationen natürlich auch wieder zurückgeführt werden können, damit ich einen Kreislauf habe, der am Ende digital geschlossen werden kann.  

 

Ansgar Knipschild: Ich erlebe im Bereich Industrie doch häufiger noch das Statement, dass gesagt wird: Also je komplexer das Geschäft wird, vielleicht internationales Geschäft, Beteiligungsgeschäft, Exidenten, kann man sich natürlich vorstellen, dass es auch beliebig komplex wird. Das kann man nicht digitalisieren. Und jetzt Digitalisieren nicht im Sinne von papierlos, was Sie unter anderem gerade erwähnt haben, sondern auch, dass sich dort Bearbeitungslogiken bis hin sogar zu einer Dunkelverarbeitung überhaupt abbilden kann, aufgrund der Individualität und aufgrund der Komplexität. Wenn wir noch einmal die Range aufmachen: Im Privatgeschäft kann ich heute viele Versicherungsprodukte, KFZ, zum Teil sogar Kranken voll automatisch abschließen. Also ich kann Tarif berechnen. Ich kann den Prozess durchlaufen lassen. Im Bereich Gewerbe sehen wir das ja auch immer stärker. Wo sehen Sie im Sinne eines Prozesses hier auch noch Potential im Industriebereich, dass man hier, ich übertreibe jetzt einmal ganz bewusst hier an der Stelle, von dem hohen Ross, das kann man gar nicht digitalisieren, das ist so individuell und komplex, das geht gar nicht, vielleicht auch doch ein wenig herunterkommen muss und zumindest Teile des Marktes auch in eine solche automatisierte Bearbeitung überführen kann? Glauben Sie, dass das in die Richtung geht, auch im Industriebereich? 15:10

 

Jan-Henning Evers: Es wird auf jeden Fall immer näher heranrücken, weil das einfache eine Entwicklung ist, die kann man einfach nicht aufhalten. Ich glaube das hängt im ganz großen Maße von der Individualisierung des Produkts selber ab. Also wenn ich das schon eben im Underwriting-Prozess deutlich individualisiere, dann fällt es mir natürlich auch schwer, mit generellen Logiken, seien es Algorithmen oder was auch immer, dort zu arbeiten, weil mir natürlich dann die vergleichbare Masse fehlt, an der sich das ja orientiert. Wenn es um Dinge geht, die immer wiedererkennbar wiederkommen, also die messbar sind und die vergleichbar sind und aus der sich ja dann solche Logiken entwickeln lassen, wird das mit Sicherheit zumindest einmal sekundierend dazukommen. Das glaube ich schon. Ich glaube aber auch, dass gerade die individualisierten Produkte und vor allen die komplexen Produkte, und da kann ich jetzt vor allen Dingen aber für den Bereich sprechen, um den ich mich kümmere, in der Schadenbearbeitung, dass der weiterhin den Experten erfordert, der allerdings bestmöglich weiß, diese Tools einzusetzen.

Ich glaube, das ist extrem wichtig, dass man weiß: Wie kann ich mit denen umgehen? Wo helfen die mir im gesamten Bearbeitungszyklus eines Versicherungsschadens? Aber wenn ich beispielsweise daran denke, dass ich in einer Akutsituation einen Betrieb, der steht, aus welchem Grunde auch immer, dann ad hoc organisieren muss, wo ja auch noch Menschen arbeiten und ich auch Menschen dort, Geschäftsleiter, Vorstände abholen muss, damit die die richtigen Entscheidungen treffen anhand der Erfahrung, die wir dort mit einbringen. Da muss ich den Charakter gewinnen. Da nützt mir ja kein Algorithmus etwas. Also solange auch noch die Kunden menschengeführt sind, werden Sie auf der anderen Seite auch noch Menschen brauchen, zumindest mal in einem gewissen Bereich. Vielleicht dann nicht mehr so in der Masse. Aber dieses Pendant wird immer noch notwendig sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das eine nur eine Maschine ist und das andere nur ein Mensch. Das kennt jeder aus der Warteschleife. Das will keiner.

 

Ansgar Knipschild: Ich greife einmal das Stichwort Prozesse auf, was Sie gerade auch ins Spiel gebracht haben. Viele Initiativen auch im Industriebereich, die sich um die Digitalisierung kümmern, starten ja mit Vertriebsprozessen. Dass man also schaut: Wie kann ich das Neugeschäft, wie kann ich die Angebotserstellung, wie kann ich vielleicht sogar Vergleichs- oder Marktplatzthemen digitalisieren? Nun einmal die kritische Frage: Sind das wirklich die Bereiche, die den größten Mehrwert für den Markt bringen? Oder sind es nicht auch gerade betriebliche Prozesse, Kommunikationsprozesse, Schadensprozesse, Ihr Thema, die gerade was Effizienzgewinne angeht, eigentlich viel mehr bedeuten? Nicht wenige sagen ja: Wenn ich mir das Geschäft im Industriebereich angucke, habe ich zwar Aufwände im Vertrieb, aber ich habe immer auch großen Bestand. Und die Prozesse, die dort dranhängen, Nachträge, Schadenmanagement, binden eigentlich viel Kapazität und dort ist eigentlich ein viel größeres Potential, was Digitalisierung angeht. Wie würden Sie das gewichten?

 

Jan-Henning Evers: Der Stellenwert ist in der Industrieversicherung mit Sicherheit größer als im Massengeschäft, da schlicht und ergreifend im Massengeschäft der Vertrieb auch größer sein muss, denn ich habe ja mehr zu verkaufen. Deshalb ist der Fokus da natürlich größer. Die Effizienzwirkung einer guten Schadenabteilung, jetzt nehme ich einmal genau die andere Seite, das ist ja dann der letzte Teil der Prozesskette, ist dann in der Industrieversicherung mit Sicherheit größer, weil die Auswirkungen sehr viel größer sind. Also wenn ich dort sehr effizient beispielweise Schadensminderungsmaßnahmen betreibe und gar nicht erst eine Betriebsunterbrechung entstehen lasse, dann habe ich natürlich eine große Ersparnis, habe etwas investiert, aber habe natürlich auch eine größere Ersparnis, das kann ich in einem Brillenschaden nicht umsetzen, um einmal das andere Extrem zu wählen. Deshalb glaube ich das schon. Ich denke aber, dass die Fokussierung, die Sie angesprochen haben, auf den Start der Digitalisierung im Bereich des Vertriebs oder auf Vertriebsplattformen mehr dem Umstand geschuldet ist, dass ein grundsätzlicher Fokus in der Versicherungsbranche darauf besteht. Der ist zum Teil nachvollziehbar, zum Teil nicht.

Also zum einen ja, denn ich muss erst einmal etwas verkaufen, damit ich am Ende auch eine Prämie einnehme und auch ein Produkt am Ende sich verwirklicht oder das zum Leben kommt. Das ist dann der Versicherungsschaden oder der Leistungsfall. Deshalb besteht der Fokus schon darauf. Aber die Umkehrseite ist, dass häufig der Fokus auf den Mehrwert der Leistungserbringung in diesem ganzen Zyklus meiner Meinung nach zu klein ist. Also die Leute, die im Schadenbereich arbeiten, wissen das. Dort kommt das Produkt das erste Mal zum Leben und dort entscheidet sich auch, ob das ein gutes oder ein schlechtes Produkt ist. Danach geht der Kunde oder bleibt der Kunde, vorher nicht. Und alles, was man sich vorher überlegt hat, wird da auf die Nagelprobe gestellt. Und dann kann man schauen, ob das funktioniert. Und wenn ich natürlich aktiv in den Leistungserbringungsprozess möglichst viel Effizienz, sei es durch menschliche Intelligenz oder durch Künstliche Intelligenz reinbringe, dann reduziere ich meine Aufwendung und erhöhe das Kundenerlebnis, wie es so schön heißt. Und dieser Effizienzgewinn dort der ist glaube ich in allen Sparten möglich. Deshalb ist der Mehrwert, dort genauso viel Digitalisierung reinzustecken, logischerweise mindestens genauso hoch in den Branchen, wo der Benefit durch effizientes Arbeiten im Schadenbereich noch höher anzusehen ist als in anderen, und das würde ich in der Industrieversicherung so sehen, ist er dann natürlich noch größer.

 

Ansgar Knipschild: Jetzt kann man Digitalisierung einmal im jeweiligen Unternehmen betrachten, also beim Versicherer zum Beispiel, beim Makler für sich, dass dort die Prozesse intern digitalisiert und auch optimiert werden. Spannend wird es aber ja auch, wenn wir jetzt einmal überlegen, wie die Unternehmen miteinander kommunizieren, Daten austauschen, weil das ja auch ein nicht unerheblicher Aufwandstreiber ist. Wir denken an Risikofragen oder auch beim Thema Schaden, was Sie gerade ansprechen, der Leistungserbringung, wenn vielleicht zuerst der Makler angesprochen wird, das aber an den Versicherer zur Regulierung weitergegeben werden muss, wenn dann noch entsprechende Experten, vielleicht Gutachter mit involviert sind, da geht es ja um viel Datenaustausch. Und da landen wir automatisch bei dem Thema Standardisierung. Wie können wir Daten dann auch standarisieren, damit nicht jeder unstrukturierte Daten übermittelt, per E-Mail im worst case, sondern wirklich auch in einem gewissen Raster. Stichwort BiPRO ist auch so langsam im Industrieversicherungsbereich angekommen. Wie sehen Sie das? Glauben Sie in diesem komplexen Geschäft an solche Standardisierungsversuche, an solche Initiativen? Braucht man die überhaupt? Oder, das knüpft ein wenig an meine vorherige Frage an, ist es zu komplex, ist die Stückzahl zu gering, als dass man hier wirklich von einer Standardisierung profitieren kann? 22:32

 

Jan-Henning Evers: Ich glaube, man sollte es nicht unversucht lassen. Also das kategorisch vom Tisch zu fegen, weil man sagt, das lässt sich da nicht anwenden, das ist glaube ich der falsche Weg, Also das kann da einen Mehrwert haben. Ich glaube, dass insbesondere das Thema Datenreinheit da eine Rolle spielt, denn nur wenn ich reine Daten haben, die immer wiedererkennbar gleich sind beziehungsweise sich dort keine Fehler einschleichen, dann kann ich sie natürlich gut messen und auswerten und benutzen. Ich glaube, dieses Thema spielt insbesondere bei den internen Themen eine Rolle, bei dem ganzen Management-Information-Reporting. Da ist das sehr wichtig. Und da müssen die Daten auch rein sein. Die Daten, die man im Schadenprozess selber hat, wenn ich etwas melde, dann kann ich über Meldemasken oder gewisse Vorgaben das auch machen, aber am Ende ist natürlich auch besonders wichtig, dass die Information auf den Punkt genau da ankommt, damit man auch sofort auf das reagieren, was man sieht. Und da empfinde ich Industrieschäden doch immer noch als sehr individuell. Die vor allen Dingen mit einem ersten Gespräch starten, damit man überhaupt weiß: Wohin geht denn hier die Reise? Weil einfach die verschiedenen Szenarien so unterschiedlich sein können und dann eben auch eine unterschiedliche Reaktion notwendig machen. Da kommt der Faktor Mensch dann ins Spiel, der dann diese Daten immer noch einmal transformieren muss. Denn mir nützen am Ende sauber, aber nicht passend eingegebene Daten nichts im Vergleich zu etwas mehr Aufwand, aber sofort passenden Daten. Und ich glaube, da wird der Schritt zur Digitalisierung einfach noch länger dauern. Da verlangsamt sich höchstens der Prozess oder vielleicht kommt irgendwann einmal ein Riesenwurf technisch gesehen, das kann natürlich sein. Aber da überwiegt glaube ich immer noch die menschliche Komponente. Oder die Individualisierte, sagen wir es so.  

 

Ansgar Knipschild: Verstehe. Ein anderer interessanter Ansatz, gerade noch einmal beim Stichwort BiPRO ist ja, nachdem es doch ein paar Monate, wenn ich Jahre eher ruhig war, noch einmal um die Industrieversicherung, ich glaube, vor zwei, drei Jahren war so der letzte größere Anlauf, wenn ich mich richtig erinnere, dass jetzt zum Beispiel zum Thema Vermittlerabrechnung glaube ich auch ein recht erfolgreiches Projekt jetzt gestartet wurde, wo Versicherer und Makler zusammen geschaut haben: Wie kann ich die Abrechnung untereinander, Vermittlerabrechnung, Courtage-Abrechnung machen? Also eigentlich ein datenstrukturtechnisch ein triviales Thema. Also es geht einfach um die Verteilung von Geldströmen hier, was aber im Alltag wahnsinnig viel Arbeit ausmacht, vor allen Dingen, dass alle Parteien deckungsgleiche Zahlen haben. Das ist ein nicht unerheblicher Aufwand, wenn man das mit CSV-Dateien, Sie kennen das sicherlich, die man dann monatlich, quartärlich austauscht und schaut, hoffentlich kommt man auf die gleichen Salden. Ich komme da zum Thema Schaden, da haben wir ein ähnliches Thema, dass auf der einen Seite Reserven gebildet werden müssen. Dann werden dagegen die Auszahlungen gerechnet. Es ist auch ein Ansatz beim Thema Standarisierung, wo ich eben einmal eingehakt habe, und vielleicht gar nicht bei den ganz großen Sachen anfangen, also komplexe Schadenbegutachtungen, sondern dieses, ich sage es manchmal salopp, Brot-und-Butter-Geschäft, das auch einfach viel Kapazität bindet, damit mal zu beginnen und nach einer richtigen Sprache zwischen vielen Marktpartnern zu entwickeln, dass man davon schon einmal befreit wird. Und da kann Digitalisierung ja wirklich helfen.

 

Jan-Henning Evers: Absolut. Aber da greife ich direkt etwas auf, was Sie gesagt haben: Standardisierte Sprache. Und was wir zumindest im Alltag sehr häufig sehen, obwohl viele Produkte, die im IT-Bereich verwendet werden und wir tagtäglich haben, wir benutzen gerade das gleiche Programm, wo wir hier miteinander sprechen, da ist es nicht so, dass so eine Flut von verschiedenen Dingen da ist. Aber die jeweiligen Andockmöglichkeiten, Informationen auszutauschen, und jetzt kommt ein Thema, was bei uns kommen muss, sie sicher auszutauschen, da sind bei weitem nicht alle auf dem gleichen Stand beziehungsweise noch teilweise meilenweit voneinander entfernt. Und bevor ich meine Reserve und Zahlungsergebnisse morgen irgendwo lese, wo ich sie nicht lesen möchte, werde ich sie immer noch auf einen konventionellen Weg austauschen. Es gibt mit Sicherheit Branchen, die dort Tools für sich entwickelt haben. Das gibt es beispielsweise in der Automobilbranche, die spezielle Kommunikationsmechanismen haben und dort eben für sich standardisierte Wege gefunden haben, die auch sicher sind. Aber das ist natürlich eine Highend-Branche, die das sich auch leisten kann, so etwas zu entwickeln. In der breiten Masse sehe ich das noch nicht. Und man wird es dann haben können, wenn die Anzahl der Player gering ist und die Eben alle IT-mäßig über die gleichen Standards und Fähigkeiten verfügen. Aber da ist halt die Range noch sehr groß. Und deshalb hapert es da auch, denn der eine hat etwas, was der andere nicht hat.

 

Ansgar Knipschild: Ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Schließen wir einmal unseren Themenblock Produkte und Prozesse ab mit der Frage: Digitalisierung versucht ja im ersten Schritt die bestehenden analogen Prozesse in eine digitale Welt zu heben, vielleicht auch erst einmal in eine Eins-zu-Eins-Abbildung. Beginnen wir einmal beim Versicherungsschutz. Statt die Police analog zu erfassen, erfasse ich sie digital. Statt den Schaden analog zu erfassen, erfasse ich ihn digital. Aber gleichzeitig bietet ja die Digitalisierung in der Geschwindigkeit und auch in der Automatisierung das Potential, das Verständnis zum eigentlichen Versicherungsprodukt, also den Leistungserbringungsfall wie Sie ihn eben genannt haben, vielleicht auch zu ändern. Ich denke an Laufzeiten, jährliche Verträge. Können es nicht situative Verträge sein? Können Policen unabhängig vom eigentlichen Schadenfall parametrisch geregelt werden? Einfach nur um zwei Stichworte zu nennen und zu sagen: Kann sich nicht durch Digitalisierung das Verständnis, das Versicherungsprodukt grundlegend wandeln? Wie sehen Sie das? Glauben Sie, dass im Industriebereich, machen wir einmal einen großen Zeitraum von zehn Jahren, hier sich auch etwas tut? Oder ist die Denke, ich kaufe mir bestimmte Deckungen, Versicherungsschutz ein, mache das in der Regel über ein Jahr, ist die so fest verankert in der Branche und in ihren Zyklen, dass das erst einmal so bleiben wird?

 

Jan-Henning Evers: Ja, sie ist natürlich fest verankert, weil sie natürlich auch mit anderen festen Zyklen zusammenhängt. Dass ist grundsätzlich ganz menschlich, weil es ein Orientierungsthema ist. Wir alle denken in gewissen Zyklen, so ist unsere Zeiterfassung aufgebaut. Und so kann man das dann eben auch besser für sich erfassen, dass wenn Sie einen Jahresvertrag in der Versicherung haben, dann haben Sie ein Geschäftsjahr, in diesen Zyklen denken Sie. Das muss ja irgendwie zusammenpassen. Wenn Sie das alles wieder übereinander schmeißen, dann haben Sie einen riesigen Effizienzverlust. Ja, was man natürlich sieht, dass es zumindest in den letzten Jahren im Privatbereich natürlich neue Deckungskonzepte gegeben hat. Ich glaube, es gab einmal eine schöne Police, digital abschließbar für einen Handyverlust auf der Wiesn. Und das ist definitiv auch risikoangemessen, denn dass das da schneller verlorengehen kann als woanders, ist auch klar. Ich glaube, das hängt aber exakt von den Bedarfen ab. Also Sie verkaufen ja kein Produkt, für dass Sie keinen Bedarf haben. Und die Bedarfe, Risiken abzusichern im Industriebereich, sind ja bei Unternehmen, die regelmäßig oder teilweise 24/7 produzieren, ja auch die ganze Zeit da. Das heißt, da nützt es mir nichts, wenn ich, ich übertriebe das jetzt einmal, nur jeden zweiten Monate Deckung habe oder ich nur im Sommer und nicht im Winter Deckung habe. Wenn mein Risiko das widerspiegelt, dann ist das in Ordnung. Aber die Bedarfe, die wir sehen, und wenn ich jetzt einmal unser Beispiel nehme, was nun die Digitalisierung pur ist, nämlich den Cyber-Versicherungsschutz, Cyberangriffe, Cyber-Risiken kennen keine Länder- oder Zeitgrenzen, die sind überall präsent und dauerhaft. Wer sich da entscheidet, ich möchte hier zumindest auf einen dauerhaften Schutz setzen, der muss diese Entscheidung ganz bewusst treffen und dann auch mit den Ergebnissen leben. 31:12

 

Ansgar Knipschild: Aber man könnte ja durchaus auch im Industriebereich, ich nehme einmal dieses große Stichwort Industrie 4.0, denken und gerade Cyber, wie Sie sagen, ist da schon viel weiter, weil alles digitalisiert ist von der Kundenseite her sozusagen, mal wegzudenken von, ich definiere eine Deckungssumme, sehr vereinfacht gesagt ist ja so heute immer noch das Konzept, eine fixe Deckungssumme auch in der Regel über ein Jahr. Sie mag variable Kompetenten haben, da kann man auch ein bisschen mit spielen. Ich kann das aber auch hochdynamisch an den Verlauf meines aktuellen Geschäfts ja schon koppeln. Also das kann ich in Fertigung machen, wenn ich Spitzenzeiten habe und doppelt so viel fertige. Sie haben eben Jahreszeiten genannt, es gibt zyklische Branchen. Und es gibt vielleicht im Cyber-Bereich vielleicht auch Möglichkeiten, einmal darüber nachzudenken: Kann ich nicht vielleicht mit den Transaktionszahlen, die zum Beispiel über ein Online-System laufen oder die auch in der Kommunikation laufen, hier einfach die Kopplung von Risiko und Versicherungsschutz einfach transparenter machen, statt mit dieser sehr breiten Kelle, ich definiere einmal eine Deckungssumme und das war es? Ich weiß, ich vereinfache. Aber können Sie dem Gedanken so ein bisschen etwas abgewinnen?

 

Jan-Henning Evers: Ich versuche den einmal zu fassen. Also es ist so: Wer A sagt, muss auch B sagen. Dann gilt das natürlich auch für die Prämie, das ist ja klar. Also wenn die eine Seite variiert, variiert die andere Seite mit. Also ich glaube das ist schon einmal als Grundklang klar. Denn es geht nur das eine mit dem anderen. Das, was wir sehen, und da bin ich wieder beim Risikobedarf beziehungsweise beim identifizierten Risiko und meinem Absicherungsbedarf dafür: Wir sehen in den Cyber-Risiken, dass diese sich vollkommen unabhängig von Geschäftsgröße und von Geschäftsbranche verhalten. Das mag vor ein paar Jahren noch anders gewesen sein. Heutzutage hat jeder, der irgendwie ein Geschäft betreibt, eine Zielscheibe auf dem Rücken. Das muss man einfach so sehen. Wer das nicht verstanden hat, hat die Bedrohung noch gar nicht erfasst. Und das würde ich sogar auch auf den privaten Bereich ausbreiten, nur da ist die Zielscheibe eben kleiner und da ist der Schwarm größer, in dem ich mich verstecken kann. Aber ansonsten, dass man sagt, dass Mittelständler, kleine Unternehmen, KMU nicht mehr betroffen sind, da kann ich Ihnen aus der Praxis sagen, das ist ganz anders. Und was allen gleich ist, dass alle sagen: Ich hätte nie gedacht, dass mich das erwischt. Weil es so einfach ist. Geben Sie uns eine Woche, dann haben wir drei die Tools aus dem Darknet gezogen und dann starten wir eine Attacke. Da glauben Sie im Moment noch nicht daran, das machen wir. Und so einfach ist es. Sie müssen nur die entsprechende kriminelle Energie dafür haben und dann haben wir noch gar keine Ahnung, wen wir da angreifen wollen. Dann probieren wir einfach einmal einen aus. Und wenn es klappt, ist es gut.

Natürlich gibt es auch zielgerichtete Angriffe. Natürlich gibt es das noch, dass man nicht nur ein Unternehmen oder eine Person als Ziel hat, sondern auch natürlich einen gewissen Fokus: Möchte man etwas abziehen oder einfach nur Geld oder was auch immer. Aber die Orientierung an einem Geschäft oder einem Geschäftszyklus oder an einen besonderen Produktionsauslastung oder einer gewissen Größe eines Unternehmens steht gar nicht mehr primär im Fokus, um attackiert zu werden. Und gerade die Attacken sind ja das, was halt im Moment die Cyberschäden ausmacht. Da gibt es natürlich auch noch anderes, aber viele sind klein genug. Wenn Sie jemanden haben, der alleine am Computer sitzt, dem reicht ein Bitcoin. Und wenn der fünfzig Leute hackt und die Hälfte davon klappt, ist es doch gut. Nur das ist kein Stress für den. Deshalb ist da, um da die Kurve zu kriegen zu dem, was Sie gesagt haben, der Bedarf, wenn er das widerspiegelt, dass er punktuell wird, wie das Handy auf der Wiesn, dann ist es etwas, was auch angenommen wird. Das sehen ich aber in vielen Risiken, und bei Feuer ist das genauso, klassisches Industrierisiko: Warum sollte das nur für eine gewisse Zeit gelten? Punktuelle Policen sieht man ja für gewisse Zeitabschnitte, ob es jetzt beispielsweise eine Bauleistungsversicherung ist. Da habe ich für einen gewissen Zeitraum eine Deckung, die ich dort brauche. Das macht Sinn. Aber die Einschränkung auf der Zeitebene beispielsweise oder mit einem unterschiedlichen Deckungskonzept, da muss sich schon sehr viel in einem Unternehmen wandeln, dass ich sage: Ich habe das Risiko nicht mehr. Oder es ist ein substanziell Neues dazu gekommen. Oder ich muss meines aufstocken.  Da würde ich eher bei einer Anpassung drüber sprechen, dass man sagt, ich bewege mich im gleichen Deckungskonzept, aber ich möchte das unterjährlich einfach anpassen und sagen: Ich habe mehr Bedarf. Und wenn ich das Produkt digitalisiert habe, dann kann ich natürlich auch sofort die Prämie anpassen. Also das ist technisch dann problemlos möglich. Ich glaube aber nicht, dass sich der Absicherungsbedarf und der Risikocharakter an sich dem Grunde nach ändern, sondern eher der Höhe nach.

 

Ansgar Knipschild: Ja, das kann ich nachvollziehen. Ich glaube, das Risiko selber ist da schlecht steuerbar. Sie haben eben schon den Vergleich mit anderen Risiken genannt. Mir fiel noch Naturkatastrophen ein. Das ist vielleicht ähnlich, völlig unabhängig vom Unternehmen, von der Unternehmensgröße, von der Ausrichtung her kann eben die Flut kommen, wie vor Kurzem gesehen. Wir hatten Herrn Doktor Pauls von der Köln Assekuranz hier, der über das Thema sich mit uns ein wenig unterhalten hat. Und bei Cyber, ich teile da Ihre Einschätzung, ist das ähnlich. Da ist vielleicht noch die Attraktivität des Opfers eventuell noch ein Parameter. Da ist der Privatmensch wahrscheinlich auch einfach für die entsprechenden kriminellen Kollegen nicht so spannend. Aber die Höhe der Deckung, dass man die vielleicht anpasst und sagt: Ich bin im Saisongeschäft, wenn ich hier einen Tag Ausfall habe von meiner kompletten IT und ich bin saisonal im letzten Quartal, da mache ich neunzig Prozent meines Umsatzes, da vielleicht variabel darauf zuzugehen, das könnte eine interessante Idee sein, die man mit digitalen Produkten natürlich dann eleganter und bedarfsgerechter steuern könnte. Nur einmal so als Idee.

 

Jan-Henning Evers: Richtig. Wobei, da greife ich gerne das Thema der Naturkatastrophe auf, die kommt plötzlich. Die ist meistens von einem gewissen Ereignis abhängig und die kommt dann plötzlich. Die steuern Sie nicht. Die Cyber-Attacke, die wird vom Hacker gesteuert. Wir sehen, dass die Hacker sich teilweise Wochen bis Monate lang in den Netzwerken befinden und da einfach nur herumsitzen beziehungsweise sich die Option selber eingebaut haben, dort tätig zu werden, wenn sie das wollen. Das heißt, dort lassen sich teilweise forensische Spuren über lange Zeit zurückverfolgen. Und wenn Sie das sehen, dann hängt die Verschlüsselungsattacke, nehmen wir als schlimmste vorn, ganz individuell von einer Person ab, nämlich, wenn der das startet. Deshalb sagen wir immer bei uns: Schäden kommen nicht rein montags von 10 Uhr bis donnerstags 17 Uhr. Und dann geht es los. Der letzte Schaden, der bei uns reingekommen ist, war Sonntagabend 17 Uhr. Das heißt, das hat einen Grund. Und deshalb muss man bei dem Risiko zumindest sagen: Bei anderen Industrierisiken, die von Naturkatastrophen abhängen und Ähnlichem, ist das etwas anderes. Da könnte man über Saisonales nachdenken. In einer krassen Ausführung beispielsweise: Habe ich Hurricane-Saison oder nicht? Wenn ich mir da sicher genug bin, und bei den aktuellen Klimaveränderungen ist das so eine Frage, dann würde es vielleicht noch Sinn machen. Beim Thema Cyber würde ich es nicht sagen. Denn entweder da zieht es jemand sofort durch, aber die meisten sind doch sehr lange schon auf den Netzwerken unterwegs und haben sich dort eingerichtet. Und wenn die komplett fertig sind, dann starten die. Und dann haben Sie meistens das Problem, dass sie dann dagegen relativ wenig unternehmen können. Und insofern hätte ich da Probleme, da eine Saison zu erkennen. Es gibt mit Sicherheit systemische Lücken, die wir hier und da mal sehen, wo große Anbieter dann kundtun beziehungsweise das öffentlich wird, dass es dort Sicherheitslücken gibt. Das ist natürlich für Hacker interessant. Das ist dann sozusagen eine Saison bei Cyber. Aber die kündigt sich auch nicht an. Und deshalb ist sie auch nicht vorhersehbar, was wieder dagegensprechen würde, dass man sagt, jetzt ist Cyber-Saison und in ein paar Monaten nicht mehr.  

 

Ansgar Knipschild: Ja, super spannend. Da habe ich auch wieder etwas gelernt, das war mir so gar nicht bewusst, wie teilweise auch vorgegangen wird, wie sich die kriminellen Energien zum Teil auch organisieren. Sehr spannend. Vielen Dank.  

 

Toni Klein: Gehen wir von den Produkten zum Netzwerk, zu den Plattformen. Gibt es Plattformen aus Ihrer Sicht, die den Markt aktuell bestimmten, digitale Plattformen? Vergleicher, Ausschreibungen? Wir hatten es glaube ich vorhin kurz angesprochen, aber können Sie darauf noch einmal speziell eingehen?

 

Jan-Henning Evers: Eine bestimmende Plattform, wenn wir jetzt über die Industrieversicherung sprechen, gibt es so in dem Sinne nicht. Dort ist immer noch wichtig, dass viele Produkte über eine vernünftige Beratung funktionieren, weil sie hochkomplex sind und nicht jeder potentielle Kunde, insbesondere wenn er sich im KMU-Bereich bewegt, hängt davon ab, ob es Gewerbe oder schon Industrie ist, hat dieses Knowhow so im Haus und kann sagen: Ich kann das alles selber bestimmen und ganz eigenständig wie der Handwerkermeister im Baumarkt einkaufen. Ich weiß genau was ich brauche. Sondern die meisten brauchen am Ende noch eine Beratung. Da sehe ich nicht, dass sich das besonders über Plattformen durchgesetzt hat. Es gibt natürlich Vergleichsmöglichkeiten, die man anstrengen kann. Aber wir sehen schon immer noch, dass in dem Geschäft spezialisierte Maklerhäuser mit drin sind, die wissen, was sie tun, und die Kunden auch sehr schätzen, dass sie dort auch eine Beratung bekommen.

Das ist bei unserem Produkt auch genauso. Das ist auch über einen Maklervertrieb organisiert und es ist auch einfach zu speziell, als dass es jeder auf Anhieb sofort durchblickt. Und das ist bei den anderen Sparten auch so, insbesondere wenn man dann auch noch bei den echten Industrie-Policen dann ja wirklich immer individuelle Verträge hat. Das hat ja dann gar nicht mehr so viel mit dem Standardversicherungsvertrag zu tun. Und um das natürlich rechtsicher hinzustellen, wird das schwer über solche Vergleichbarkeit gehen. Wir sehen das im Moment so noch nicht. Wenn, dann sind die Plattformen für den Eigennutz da. So machen wir das auch. Wir haben unsere eigene Plattform, da kann sich jeder Makler anschließen, egal wer das ist, und kann davon mitprofitieren. Aber dann haben Sie genau wieder diesen einen Punkt, den wir gerade eben auch schon einmal hatten: Wir geben sozusagen die Digitalisierung vor und da kann man sich dann anschließen. Ob man die bis zum Ende durchzieht oder nicht, das ist dann eine andere Frage. Das ist relativ einfach, das zu machen, weil es ein vollkommen digitaler Abschluss ist für Makler und für Kunden oder für Endkunden. Aber ich glaube, in dieser Größenordnung funktioniert das. Dass es da etwas Marktbeherrschendes gibt, das sehe ich nicht. 43:10

 

Toni Klein: Haben Sie denn eine Vorstellung, wie eine ideale Plattform aussieht? Also eine, die auch eine Beratungskompetenz hätte? Oder gibt es da zwischen Industrie und Gewerbe Trends, die man voneinander lernen kann? Die so eine Plattform ausmachen würden?  

 

Jan-Henning Evers: Sie müssten wieder die Andockfähigkeiten haben. Das haben Sie natürlich, wenn Sie die großen Industriemakler haben. Die kennen alle Versicherer, die kennen den Markt. Die können sehr gut beraten und auch ein zugeschneidertes Produkt verkaufen. Oder sie haben es selber beziehungsweise können sie die zugeschneiderten Produkte bei den Risikoträgern erwirken und dann werden die entsprechend ausgefertigt. Die Frage ist nur, ob die alle genauso miteinander digital kompatibel sind in ihrer Kommunikation und Abwicklung. Denn es geht nicht nur um die Kommunikation an sich, sondern es geht vor allen Dingen um die rechtssichere Abwicklung eines solchen Vertrags. Und wenn Sie das nicht haben, schließt niemand so ein komplexes Produkt ab, was auch natürlich so viel Prämie impliziert, wenn er nicht weiß, dass das alles sauber ist. Und wenn die nicht alle auf der gleichen Plattform unterwegs sind beziehungsweise mit universellen Anschlüssen arbeiten, sehe ich im Moment noch nicht, dann haben Sie diesen Punkt nicht. Und da haben Sie dann den physischen Cut. Dann funktionieren die meistens in der eigenen Welt und dann kann ich andere in meine Welt einladen. Dann sind mit drin und können profitieren. Und wer nicht in diese Welt reinkommt, der steht draußen.

 

Ansgar Knipschild: Vielleicht gibt es da aber auch einen anderen Begriff von Plattform, als wir den vom Privatkundengeschäft kennen oder aus der E-Commerce-Welt, die großen Player, die immer wieder zitiert werden von Amazon, Google und Co., nämlich Plattformen als Infrastruktur, als technischen Austausch. Ich nehme einmal die Analogie E-Mail. E-Mail als Plattform. E-Mail hat es uns ermöglicht innerhalb relativ kurzer Zeit, es waren letztendlich wohl fünf bis zehn Jahre, bis die Durchdringung signifikant war, das vergisst man ja immer ganz gerne, als das so in den Neunzigern oder Zweitausendern losging, aber vielleicht ist das so eine Art Plattform, einmal reingeschmissen, die im Industriebereich, der ja so individuell ist, eine Möglichkeit wäre. Dann kommen wir wieder zum Thema Standardisierung, wo wir gerade waren, dass die Branche versucht Teile ihrer Prozesse über eine gemeinsame Sprache bilateral auszutauschen, so wie heute das Geschäft läuft. Es sind in der Regel immer zwei oder mehrere Player, also Makler, Versicherer oder ein entsprechendes Konsortium natürlich auch, was tätig ist. Und die Kernaufgabe ist es, den Informationsfluss zwischen den Player zu optimieren. Es braucht nicht zwingend diesen einen großen marktbeherrschenden Player. Das ist vielleicht auch in der Branche unrealistisch. Aber vielleicht läuft es im Sinne einer Plattform darauf hinaus, dass sich eine technische Plattform, eine Sprache, ein Medium herauskristallisiert, analog und E-Mail, mir fällt gerade kein besserer Vergleich ein, und von daher auch ein Gegenentwurf zu dem zentralistischen und monopolistischen Modell, was gerade auch stark in der Kritik steht, auch zu recht, dass es sich in die Richtung vielleicht entwickelt. Das ist jetzt der Blick in die Glaskugel, das ist mehr die Stammtisch-Vision, über die man nachdenkt. Aber vielleicht auch ein Ansatz, über den man in den nächsten Monaten und Jahren auch stärker diskutiert. 46:37

 

Jan-Henning Evers: Ja, mit Sicherheit. Und den sieht man auch. Ich nehme das Beispiel von gerade eben, Kommunikation in der Automobilindustrie. Die haben sich ihre eigenen Kommunikationswege gebaut. Und das ist das entscheidende Stichwort bei dem Ganzen, denn wir reden nicht darüber, dass sie ein Kuchenrezept austauschen, sondern hier ist wirklich Intellectual Property unterwegs, die ein sehr hohes Gut darstellt, für viele das höchste. Und hier werden Geschäftsgeheimnisse getauscht, vertrauliche Unterlagen, es geht um Sicherheit. Und Sie müssen den Sicherheitsstandard haben, dass das auch wirklich so ist. Schauen Sie einmal, wie viele Disclaimer Sie unten in Ihrer Mail-Kommunikation haben, wo drinsteht, dass das keine verschlüsselte Nachricht ist. Und Sie schreiben trotzdem alle miteinander. Da sind wir wieder diejenigen, die im großen Schwarm sind. Aber die Haupt-Vierzig-Prozent der Cyber-Ursachen sind Phishing-Mails. Sie werden es immer an das Thema Sicherheit koppeln müssen, wenn Sie über ein Geschäftsthema sprechen. Da kommt man nicht drum herum. Und dort gibt es im Moment schon Lösungen, die da sind. Aber solange die nicht wirklich abgesichert sind und da auch eben rechtssicher funktionieren, werden Sie am Ende immer irgendwo ein logisches Ende haben und dann doch wieder den physischen Cut haben. Also man kann sich annähern und möglich ist das mit Sicherheit, da ist aber eine gewisse Vereinheitlichung für notwendig, die das entsprechende Sicherheitsniveau ermöglicht. Und da müssen auch alle mitmachen wollen. Das sieht man im Moment jetzt noch nicht.  

 

Ansgar Knipschild: Ich glaube das ist der springende Punkt. Ich glaube technisch ist eine Menge da. Nehmen wir noch einmal das historische Beispiel E-Mail, da gibt es immer noch Lücken, wie Sie zu Recht sagen. Das hat sich technisch eigentlich gar nicht weiterentwickelt in den letzten zwanzig Jahren. Wir haben immer noch die gleichen Sicherheitsprobleme, die Sie angesprochen haben. Aber gehen wir nur einmal als Analogie auf die Messanger, die heute da sind von WhatsApp bis Signal und Telegramm und wie sie alle heißen. Und ich will gar nicht darauf hinaus, dass Industrieversicherung über diesen Messanger läuft, das ist utopisch, aber sie sind sicher, in unterschiedlichen Qualitäten, also N-zu-N-Verschlüsselung und vielleicht entwickelt sich mit all dem technischen Knowhow, was wir haben, wenn genug kritische Mase vorhanden ist, das ist glaube ich der andere Teil immer von diesem Plattformdiskussionen natürlich. Finden sich genügend Player, die so eine Plattform mit aufbauen und dann, genau wie Sie sagen, auf sehr hohen Sicherheitsstandards Nachrichten austauschen können in unstrukturierter Form, also klassischer Text, E-Mail, Dokumente. Aber Nächte Stufe, auch in strukturierter Form, dass ich Schadenmeldungen, Schadenbeschreibungen oder auch auf dem Policen-Weg die Jahresstichtagsmeldungen, die Beschreibungen der Risiken immer mehr standardisiere und damit auch besser austauschbar mache. Das wird bestimmt noch ein langer Weg an der Stelle.

 

Jan-Henning Evers: Ja, es wird ein langer Weg, der gewollt sein muss. Ich glaube, das ist es. Man kann technisch schon sehr viel machen, aber dafür muss man auch Bereitschaft haben. Wenn Sie das marktübergreifend oder marktbestimmend sehen wollen, dann brauchen Sie auch eine marktbestimmende Kennzahlgröße an Leuten, die da mitmachen. Wenn die sich nicht zusammenschließen und dann haben Sie vielleicht auch noch andere rechtliche Themen, wenn so etwas passiert, dass man nicht andere vom Markt ausschließt, dass darf dann auch nicht passieren, wenn ich meine Lösung anbiete. Das sieht man bei den großen Tech-Unternehmen, dass denen das zumindest vorgeworfen wird, dass sie so marktdominierend sind, dass man keine anderen Anbieter mehr hat oder sich alle dem unterwerfen müssen, gewissen Verkaufsplattformen beispielsweise. Ich glaube, das ist ein Punkt. Und da stellt sich die Frage: Wie würde man das so organisieren, dass man auf der einen Seite den freien Warenverkehr oder die Informationsfreiheit so gewährleistet und trotzdem aber das Sicherheitsniveau hat, dass man solche Informationen austauschen kann. Und das findet im Moment einfach seine logischen Grenzen. Und da geht gerade, wenn ein Wert dahintersteckt, das tut es in der Industrieversicherung natürlich, die Sicherheit vor. Und dann finden sich eher Insellösungen gewisser Branchen, die sagen: Die sind uns wichtig. Mit denen brauchen wir einen schnellen, sicheren Austausch. Mit denen bauen wir das selbst. Und mit den anderen machen wir es einfach nicht. Und so sehen wir das auch. Das ist der Treiber, den wir bei uns im Haus auch haben, dass wir sagen: Natürlich wollen wir ein komplett digitalisiertes Produkt anbieten. Das tun wir auch. Wer bei uns mitmachen will, muss in unsere Bubble. Der muss Partner werden, der bekommt einen Zugang zu unserer Plattform und dann kann er bei uns Abschlüsse generieren. Und wer das nicht will, der kriegt es auch nicht. Weil wir ansonsten nicht sicherstellen können, dass die Tür geschlossen ist. Sonst ist die Tür eben offen. Und ich glaube, das sind die limitierenden Faktoren. Deshalb stellt sich schon die Frage, ob alle Marktteilnehmer das wollen. Im Moment sieht es zumindest nicht danach aus, sonst gäbe es das vielleicht schon im größeren Maße.

 

Toni Klein: Ich würde Sie gerne zum Abschluss fragen, ob es denn ein Thema liegt, was Ihnen besonders am Herzen liegt. Wir haben viel über Prozesse, Produkte und auch Schaden gesprochen. Gibt es etwas, was Sie drückt?

 

Jan-Henning Evers: Da kann ich zumindest auf meinen Bereich schauen, auf den Bereich Claims. Den beobachte ich nun schon ziemlich genau seit längerer Zeit. Da können wir auch etwas aufgreifen, was wir schon am Anfang der Sendung hatten, dass der Digitalisierungsgrad dort noch am meisten ausbaubar ist. Es gibt mit Sicherheit schon manche Spezialisten, die das ganz toll machen und die das Potential dort auch erkannt haben. Bei manchen ist es noch nicht so. Und ich glaube, dass dort für die Unternehmen extrem viel Potential drin steckt, denn wenn ich am Ende wieder den Kostendruck senken will, und dann greife ich noch ein anderes Thema auf, was wir eben hatten, ich habe Kostendruck, damit ich meine Digitalisierung vorantreibe, weil ich vielleicht nicht mehr diese Ergebnisse in meinem reinen Geschäftsmodell erziele und ich sie auf dem Finanzmarkt auch nicht mehr erzielen kann, dann stellt sich die Frage, ob ich das nur oben über den Preis mache, oder ob ich nicht einmal schaue, ob ich hinten weniger ausgeben muss, indem ich einfach eine effizientere Schadensbearbeitung auf die Beine stelle. Und hier gibt es viele Mechanismen, wo Digitalisierung sehr viel unterstützen kann, sehr viel helfen kann und das ist etwas, da würde ich mir manchmal wünschen, dass die Schadenseite mehr wirklich als Leistungserbringer und natürlich auch als Effizienzbringer gesehen werden kann, als einfach nur der Bereich, der in der Funktionskette hinten das Geld ausgibt. Denn das Einsparpotential ohne an das Versicherungsversprechen heranzugehen ist bei den Versicherern glaube ich noch sehr groß. 53:47

 

Toni Klein: Vielen Dank, Herr Evers.

 

Jan-Henning Evers: Sehr gerne.

 

Toni Klein: Vielen Dank, Ansgar. Das war ein tolles Gespräch, sehr intensiv. Ich freue mich, dass wir das heute miteinander machen konnten. Und ich hoffe, wir sehen uns bald wieder und sprechen vielleicht noch einmal zu einem anderen Thema miteinander.

 

Jan-Henning Evers: Ja, vielen Dank für die Möglichkeit. Das war ein super Austausch. Und das ist ein sehr schönes Format. Ich bin froh, dass ich ein Teil davon sein konnte. Vielen Dank.

 

Ansgar Knipschild: Danke an alle. Tschüss. Bis demnächst.

 

Toni Klein: Tschüss.

 

Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.

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