ID#07

22.12.2020

Blockchain und Industrieversicherung – ID#07

Nach dem letzten SmallTalk-Podcast gab es den Hörerwünsch, einmal das Thema „Blockchain“ etwas zu vertiefen. Das tun wir natürlich gerne: In dieser Folge geht es also um Blockchain und Industrieversichungen – von Grundlagen und Erklärungsversuchen bis hin zu Anwendungsbeispielen und aktuellen Initiativen in der Branche.

Im Gespräch: Benjamin Zühr und Ansgar Knipschild.

Länge: 47 Min.

Transkript

Benjamin Zühr: Herzlich willkommen, lieber Ansgar, zu unserem heutigen Podcast Industrieversicherung Digital mit dem Schwerpunktthema Blockchain und Industrieversicherung.

Ansgar Knipschild: Hi Benni.

Benjamin Zühr: Hi. Grüß dich! Wir hatten die letzten Folgen eigentlich über unterschiedlichste Themen gesprochen und sind jetzt auch mit unserer Website und mit unserer Gruppe endlich live. Da hattest du die Woche eine Anfrage reingestellt, dass doch auch einmal die Zuhörer letztendlich Themenvorschläge schicken könnten. Erzähl einmal!

Ansgar Knipschild: Ja, und siehe da, es kamen sogar Themenvorschläge, also zwei noch ein bisschen unscharfe, wo wir noch einmal nachhaken müssen, wie die Frage genau gemeint war. Aber eine Frage von Markus aus Hannover. Ich habe jetzt noch nicht mit ihm abgestimmt, ob wir den Namen voll nennen können, daher nur der Vorname. Ich denke, er weiß, wer gemeint ist. Er fragte nach, als wir beim letzten Mal über dieses Thema Transportversicherung per Blockchain – das war wohl der Trigger -, ob wir nicht das Thema Blockchain und Industrieversicherung noch einmal vertiefen könnten. Er hätte es immer noch nicht verstanden und wollte den Ball einmal elegant zu uns hinüberspielen, ob wir das Thema nicht einmal ein bisschen sezieren können.

Benjamin Zühr: Das ist ein mega aktuelles Thema. Letztendlich liest man gefühlt seit Jahren darüber. Aber es stimmt schon. Es ist natürlich schwer zu greifen. Andererseits ist es natürlich auch gerade im Kontext Industrieversicherung sicherlich sehr, sehr spannend, einfach einmal zu gucken, gibt es da gewisse Möglichkeiten, Blockchain-Technologie auch für Industrieversicherung einzusetzen und wenn es Möglichkeiten gibt, wo gibt es diese. Da brauchen wir jetzt natürlich dich als Techniker. Das ist ja klar.

Ansgar Knipschild: Jetzt kommen wir wieder in unser altes Spielchen rein. Wunderbar. Ich habe mir gedacht, oh Gott, wenn wir jetzt noch das Thema Blockchain draufpacken, wie oft habe ich in den letzten Wochen und Monaten schon versucht, das Thema zu erklären, ich habe es ja selbst noch nicht so ganz richtig verstanden – ehrlicherweise – und bin bis jetzt, glaube ich, immer gescheitert, es zu erklären, wie viele andere. Wenn man einmal googelt, YouTube-Videos guckt oder whatever, das ist ein echt zäher Brocken. Aber wir stellen uns natürlich solchen Herausforderungen. Wir versuchen es einmal.

Benjamin Zühr: Obwohl ich da letztens ein sehr, sehr interessantes Video gesehen hatte, wo es eigentlich sehr einfach erklärt wurde, nämlich anhand einer Konversation, beispielsweise bei WhatsApp.

Ansgar Knipschild: Erzähl einmal!

Benjamin Zühr: Weil da letztendlich gesagt wurde, letztendlich, wenn man jeden Text, der innerhalb einer Gruppe als eigenen Block verstehen würden, als etwas, was festgeschrieben wird und beispielsweise innerhalb eines Gruppenchats verabreden sich drei Menschen zu einem Treffpunkt zu einer gewissen Zeit, dann ist es auch so, dass niemand mehr hingehen kann und letztendlich irgendwo in die Mitte des gesamten Chatverlaufs etwas hineinschreiben kann. Das heißt auf gut Deutsch gesagt, dieser Block an Kommunikation zwischen den einzelnen Personen ist letztendlich gesichert und wenn jetzt jemand hingehen würde und einfach irgendwo beispielsweise eine andere Zeit hineinschreiben würde, dann würde sich dadurch eigentlich der gesamte andere Inhalt, der danach kam, ändern. Das ist das, was zumindest nach meinem Nicht-Technikerverständnis durch eine Blockchain auch abgesichert werden soll, dass die Inhalte logisch aufeinander aufbauen, dass die Inhalte für alle Partner, die mit diesen Inhalten zu tun haben, gleich sind und so weiter und so fort. Ich fand, eigentlich war es ein sehr, sehr schönes Beispiel. Für mich war es einfach zu verstehen. Aber jetzt spiele ich natürlich die Frage gerne einmal an dich zurück, weil du es bestimmt viel besser als ich erklären kannst. Was genau ist denn eine Blockchain?

Ansgar Knipschild: Ich glaube, die Problematik – das möchte ich noch einmal vorab sagen – bei dem ganzen Thema ist, dass man das auf so vielen Ebenen erklären kann. Du hast es gerade über die Blöcke erklärt. Das fand ich ein sehr gutes Bild, mit den WhatsApp-Nachrichten. Da ist man eigentlich schon auf einem sehr niedrigen Level, wo man es fast schon technisch erklärt, wie eine Datenbank da funktioniert. Da sind auch schon viele abgehängt. Dann haben wir dieses Thema Bitcoin, was da so mitschwingt, dieses Währungsthema – jetzt gerade aktuell. Ich glaube, 22.000 Dollar ist das Ding jetzt wert, ein Bitcoin. Wahnsinn. Wenn man überlegt, 2008 konnte man für zehn, zwanzig Bitcoin, so war es am Anfang, eine Pizza kaufen. Das war, glaube ich, der erste Deal, der per Bitcoin bezahlt wurde. Jetzt sind wir bei 22.000 Dollar und eine Marktkapitalisierung, glaube ich, von 480 Milliarden.

Benjamin Zühr: Wahnsinn.

Ansgar Knipschild: Das ist schon einmal ein Brett. Deshalb hat das Thema so viele Facetten. Deshalb ist die Erklärung, glaube ich, immer so schwierig, wenn man sich da so verzettelt. Ich habe vor kurzem auch im Versicherungskontext einem Vorstand gegenüber das einmal so versucht zu erklären – und das ist aber eine Challenge, einem Vorstand etwas wirklich in sehr kurzen Worten zu erklären -, für mich ist durch so eine Businessbrille betrachtet eine Blockchain erst einmal einfach eine verteilte Datenbank ohne einen zentralen Administrator.

Benjamin Zühr: Das heißt, jeder ist Administrator, oder keiner ist Administrator?

Ansgar Knipschild: Keiner ist Administrator. So würde ich jetzt einmal antworten. Jeder kann. Ich komme gleich noch darauf. Es gibt verschiedene Typen von Blockchains. Das wird manchmal auch in der Diskussion entweder unter den Tisch fallen gelassen oder verwechselt. Aber nehmen wir die Bitcoin Blockchain ruhig einmal als Startpunkt. Diese hat keinen Administrator, sondern die Technik, diese verteilte Datenbank, die letztendlich die Bitcoin Blockchain repräsentiert, sorgt dafür, dass über ein relativ kompliziertes technisches Verfahren jeder seinen Rechner oder einen Server in dieses Netzwerk reinhängen kann, ohne Registrierung, ohne irgendwelche Passwörter, ohne sonst was und kann den Betrieb dieser Datenbank mit unterstützen. Es ist gleichzeitig sichergestellt, was du eben an dem WhatsApp-Beispiel beschrieben hast, das Dranhängen von neuen Informationen – bei Bitcoin also Transaktionen, von A nach B überweisen -, dass ich nicht hineinschreiben kann und dass das nicht verändert werden kann. Das ist ein Versuch, ganz simpel zu sagen, eine Blockchain ist erst einmal eine verteilte Datenbank ohne zentralen Administrator. Sie wird also von vielen gemeinsam betrieben. Das können tausende sein, mit kleinen Rechnern, großen Servern und so weiter und eben nicht von einer zentralen Instanz. Das Gegenteil davon ist das, was wir so im Alltag sowohl im Versicherungsumfeld als auch, glaube ich, im kommerziellen Umfeld tagtäglich kennen. Da gibt es in irgendeinem Unternehmen eine zentrale Datenbank mit einem Administrator. Der hat die globalen Rechte, User anzulegen, schreiben, etc. Wenn andere Parteien noch dran wollen, müssen die mit einem mehr oder weniger aufwendigen technischen Prozess drangehangen werden, Rechte zugeteilt bekommen und so weiter. Hier ist es genau andersherum. Jeder kann bei so einer public Blockchain, wie sie dann heißt, also einer öffentlich zugänglichen Blockchain mitmachen.

Benjamin Zühr: Aber verstehe ich das jetzt richtig? Ist Bitcoin eine Blockchain? Soweit ich weiß, basiert doch der Bitcoin auf Blockchain-Technologie. Also ist es doch nur ein Beispiel für eine Blockchain, oder?

Ansgar Knipschild: Ganz genau. So habe ich es auch gemeint, dass ich die Bitcoin Blockchain, Blockchain als technische Basis, die Datenbank, Bitcoin ist dann eigentlich nur der Datenbankeintrag, also die Währung, die man daraus gemacht hat. Ich kann darüber Währungen wie Bitcoin wunderbar abbilden, weil sie eben nicht verändert werden können und weil sie – das ist aber dann eine Besonderheit der Bitcoin Blockchain – sogar begrenzt ist. Das heißt, es gibt schon heute bekannt eine begrenzte Anzahl von Einträgen in der Datenbank und irgendwann ist Schluss. Damit ist praktisch die maximale Kapazität begrenzt. Goldvorkommen ist die Analogie, die da häufig genommen wird. Deshalb kann darüber auch Wert generiert werden. Aber ich würde vorschlagen, lassen wir ansonsten das Bitcoin-Thema erst einmal ruhen. Das führt sonst, glaube ich, eher auch zu Verwirrung, auch wenn ich es jetzt selber hineingebracht habe. Datenbank von vielen gemeinsam betrieben. Ich kann, weil das Ganze sehr auf diesen kryptografischen Technologien basiert, alles verschlüsseln, es sehr sicher machen. Es ist nicht hackbar. Das finde ich auch ein ganz wichtiges Feature von Blockchain, wenn man dem glaubt. Aber jetzt muss ich doch wieder die Bitcoin Blockchain als Beispiel nehmen, weil sie, wie wir eben gehört haben, seit 2008 live ist, die ist de facto noch nie gehackt worden. Es ist in dieser Zeit noch keinem gelungen, darauf einen Eintrag zu manipulieren. Daher auch die 428 Milliarden Dollar darauf.

Benjamin Zühr: Das ist auf jeden Fall irre. Aber lass uns doch noch einmal ein bisschen mehr dahingehend ins Detail gehen, was ist denn der Block. Was ist denn genau der Block in einer Blockchain? Ist das eine Aktion, die entsprechend gespeichert wird und die Chain sind mehrere aneinanderhängende Aktionen, oder wie kann man sich das als Nicht-Techniker vorstellen?

Ansgar Knipschild: Ich glaube, das ist sehr gut beschrieben. Der Unterschied zu einer klassischen Datenbank ist lediglich, dass alle Informationen aneinandergehängt werden, in Form von Blöcken, was nichts Anderes ist als eine Summe von Transaktionen oder Einträgen. Ich kann niemals zehn Einträge vorher, hundert Einträge vorher irgendetwas überschreiben. Ich kann nur dranhängen. Deshalb kann ich im Umkehrschluss auch nie löschen. Eine andere Analogie, die häufig genommen wird, ist auch so eine Art Logbuch oder Kassenbuch oder so. Da schreibe ich einfach Seite für Seite immer wieder unten dran, was ich speichern möchte.

Benjamin Zühr: Wenn ich das auf heutige Dinge, die jeder kennt, übertrage, würde ich sagen, eine Blockchain ist etwas Vollhistorisiertes.

Ansgar Knipschild: Genau. Ich kann jede Transaktion, jeden Eintrag nachverfolgen.

Benjamin Zühr: Das ist ja das, wenn man jetzt einmal kurz zu dem heutigen Versicherungs- oder Versicherungsmakler in die Versicherungswelt oder in die Versicherungsmaklerwelt oder egal, eigentlich auch in die Industrieversicherung, wer will nicht ein vollhistorisiertes Programm haben oder eine vollhistorisierte Datenbank haben?

Ansgar Knipschild: Ich würde noch hineinbringen, damit eine eingebaute Compliance, dieses Thema, ich kann jederzeit nachweisen, was wo wie einmal festgehalten wurde, hält natürlich jedem Audit und jeder Compliance stand. Das ist ein anderer Riesenvorteil.

Benjamin Zühr: Absolut. Wenn man jetzt auch beispielsweise über Schaden nachdenkt, ist es natürlich auch sehr, sehr interessant, was da alles möglich wäre. Aber vielleicht können wir darauf später noch einmal eingehen. Wenn ich über Vollhistorisierung oder Historisierung nachdenke, würde ich sagen, es gibt viele Systeme, die historisiert sind. Vielleicht kannst du noch einmal kurz erklären, nur weil ein System historisiert ist, ist es ja nicht gleich ein Blockchain-System. Einfach noch einmal vielleicht simpel erklären, warum das so ist, also was jetzt noch einmal genau der Unterschied ist.

Ansgar Knipschild: Meiner Meinung nach ist der Unterschied der dezentrale Aufbau. Es gibt nicht den zentralen Administrator oder Betreiber. Das ist ein ganz wichtiges Merkmal dabei, was, ich glaube, gerade im geschäftlichen Umfeld auch ganz andere Formen der Zusammenarbeit natürlich dann widerspiegelt. Es gibt eben nicht den einen zentralen Betreiber, wo sich dann andere Parteien dranhängen. Da gibt es immer ein Machtgefüge. Der, der die Daten hat – auch das ist ein beliebtes Thema in der Branche -, der im Zweifel den Stecker ziehen kann, der Administrator ist, der hat natürlich eine ganz andere Macht über die Daten als die anderen, die im Zweifel dranhängen, konsumieren oder wie auch immer. Das ist hier komplett ausgehebelt. Das ist der Unterschied zu allen anderen Datenbankkonstrukten, dass jeder, der an diesem Netzwerk im Sinne eines Betreibers teilnimmt/ Müssen wir auch noch einmal unterscheiden. Ich kann ein Betreiber der Blockchain sein, auf der anderen Seite einfach nur zum Beispiel ein Konsument, der Informationen daraus beziehen möchte. Aber dass sie wirklich per Definition gleichberechtigt sind. Deshalb auch von dem, was wir klassisch in IT-Projekten und auch in der Versicherungsbranche kennen, Infrastruktur, wer betreibt es denn, Rechenzentren und so weiter. Also platt gesagt, das braucht es nicht, je nach Blockchain-Architektur. Siehe Bitcoin. Ich nehme es jetzt doch noch einmal. Ich beiße mir auf die Zunge. Da gibt es kein Rechenzentrum, sondern ein paar tausend, zehntausend Betreiber in der Welt sagen, wir betreiben dieses Netzwerk gemeinsam. Jeder ist gleich stark, hat die gleichen Rechte, kann nicht sagen, ich lösche jetzt einmal etwas, oder ich bestimme, dass es dieses Netzwerk nicht mehr gibt. Das geht nicht. Das geht nur alles mit Konsens oder Mehrheiten. Wenn sich fünfzig Prozent aller Serverbetreiber zusammenschließen würden und sagen würden, wir machen nicht mehr mit, dann gibt es theoretisch die Möglichkeit, das zu tun. Aber das ist bei zigtausend eher unwahrscheinlich. Das ist der fundamentale Unterschied, warum viele Ideen und Fantasien bei diesem ganzen Blockchain-Thema mit hineinkommen. Meiner Meinung nach ist es nicht nur die Technik. Diese hat vielleicht eine gewisse Faszination, ist aber unter dem Strich eigentlich nur eine Mischung von vielen Sachen, die es in der Vergangenheit auch schon gegeben hat. Kurz zwei, drei Stichworte. Peer to Peer, also nicht zentraler Betrieb, sondern Rechner kommunizieren direkt jeder mit jedem zusammen. Kennen wir. Die Älteren unter uns, die irgendwann einmal illegal MP3-Files mit Napster und solchen Sachen getauscht haben, haben genauso etwas auch schon früher gemacht. Da gab es auch keinen zentralen Server. Das gibt es also alles schon. Aber ich glaube, spannend ist das gerade in der Industrie, weil es dieses politische Thema oder dieses spieltheoretische Thema, wenn wir einmal ein bisschen akademisch sprechen, wer ist denn der in der Mitte, wer ist denn der Gewinner, wer ist denn der Betreiber und der die Hoheit hat und so weiter, per Definition nicht mehr gibt. Das gibt natürlich ganz andere Möglichkeiten, jetzt miteinander zu reden, hey, lass uns Daten austauschen, lass uns zusammentun. Wir sind rein technisch per Definition gleichberechtigt.

Benjamin Zühr: Wenn ich das richtig verstehe, wäre es so, dass, wenn ich jetzt ein Unternehmen A und Unternehmen B habe, die sagen könnten, also die irgendwie Daten miteinander austauschen, könnten die das auf Basis der Blockchain-Technologie machen und hätten somit eine vollhistorisierte und total nachvollziehbare Datenleitung.

Ansgar Knipschild: Ja, vor allen Dingen ist es sogar noch mehr als eine Datenleitung, sondern eine gemeinsame Datenquelle. Machen wir es noch einmal. Ich streiche meinen Kommentar von eben mit Bitcoin. Ich kann in der Bitcoin Blockchain sehen, wie viel Bitcoin ich auf meinem Konto habe – einmal sehr vereinfacht ausgedrückt. Weil das jeder andere auch kann, weil er auf die gleiche Datenbank kann, gibt es eine gleiche Sicht auf die Daten. Jeder weiß, Ansgar hat X Bitcoin, Benjamin hat Y Bitcoin, wie auch immer. Es gibt ein gemeinsames Wissen. Es gibt gar kein, der eine hat das in seiner Datenbank stehen, der andere hat das in seiner Datenbank stehen und irgendeine Synchronisation. Nein, alle gucken darauf und alle können die Daten auslesen oder sogar modifizieren, modifizieren streng genommen auch in dem Sinne, ich hänge erst dran. Ich kann nicht streichen, aber ich kann zum Beispiel sagen, neuer Eintrag, Benni zieht bei sich zehn ab und Ansgar kriegt zehn. Das ist ein bisschen der Unterschied zum Überschreiben. Ich hänge einfach einen Eintrag ran und kann durch diese Änderung genau festhalten, was passiert ist und damit ergibt sich bei beiden ein neuer Kontostand. Aber der fundamentale Unterschied bei deiner bezüglich der beiden Unternehmen A und B ist, sie gucken auf eine gemeinsame Datenbasis. Sie gucken zum Beispiel, was vertraglich vereinbart wurde, um einmal von der Währung wegzukommen. Ich sehe auf einer gemeinsamen Datenbasis, am so und so vielten Dezember wurde das mit der Deckung mit der Prämie vereinbart.

Benjamin Zühr: Super. Wenn ich jetzt an Industrieversicherung denke, um einmal den Sprung in den Bereich zu machen, es ist eigentlich in den meisten Fällen so, dass wir nur Daten zwischenlagern. Das heißt, es muss ja unglaublich viele Ansätze geben, wo eine Blockchain sinnvoll wäre. Wenn ich jetzt einmal prozessual im Industriesegment gucke, da gibt es einen Kunden, dieser Kunde hat unterschiedliche eigene Kunden und verbundene Unternehmen, wo Daten ausgetauscht werden. Wenn ich jetzt einen Industrieversicherungsmakler dazwischen habe, ist es so, dass der Kunde und der Industrieversicherungsmakler unglaublich viele Daten austauschen. Wenn ich dann den Makler habe und den Versicherer habe oder vielleicht dazwischen sogar noch einen Assekuradeur habe, dann habe ich da auch wieder ganz viele Datenströme. Nach meinem Verständnis sind das alles potenzielle Möglichkeiten, eine Blockchain aufzubauen und zu nutzen.

Ansgar Knipschild: Genauso ist das. Ich glaube, der Sichtwechsel, der darüber stattfinden kann, dann begreife ich persönlich Blockchain auch einfach nur als ein Bild. Ob das in zehn Jahren wirklich alles Blockchain-Technologie nach heutiger Definition ist, sei einmal ganz dahingestellt. Da wäre ich auch überhaupt nicht päpstlicher als der Papst. Aber ich rede darüber, dass alle auf gemeinsame Daten gucken. Ich rede nicht mehr darüber, ich tausche Daten aus, muss mir über Schnittstellen, wer hat den letzten Stand, Datenformate, Synchronisationskonflikte und so Gedanken machen. Es wird wirklich umgedreht. Man sagt sich, lass uns an einer Stelle – Blockchain – die Information, um die es geht, speichern, lass uns klären, wer Zugriff darauf hat. Darüber sollten wir vielleicht gleich noch einmal sprechen. Man kann natürlich, obwohl ich eben davon gesprochen habe, jeder kann lesen, jeder kann schreiben, das trotzdem einschränken. Ich kann also genau sagen, das darf nur der Makler, das darf nur der Kunde, das darf nur der und der sehen und verändern. Das kann ich durchaus machen. Aber de facto gehören keinem mehr die Daten im Sinne von, die liegen bei dem einen im Rechenzentrum oder im Server, sondern man teilt sie wirklich und verhandelt untereinander, wer darauf zugreift, und zwar physisch wirklich immer auf die gleichen Daten. Das ist natürlich eine ganz andere Sicht. Da dreht sich das Ganze mit einem Mal, wenn man nicht mehr über diesen Austausch spricht. Ich persönlich habe das in vielen Gesprächen in den letzten zwei, drei Jahren gemerkt, wenn Digitalisierung in den nächsten Jahren gelingt – und davon gehe ich jetzt einfach einmal aus, ob in ein, zwei oder fünf Jahren hängt vom Unternehmen ab, wie schnell die Unternehmen da sind. Aber irgendwann werden Unternehmen innerhalb ihres Kreises, also im Unternehmen intern Digitalisierung zu einem gewissen Grad vorangetrieben haben. Viele haben das auch heute schon. Aber wenn das geschehen ist, dann schwappt die Problematik in den Austausch der Daten hinüber. Jetzt bin ich als Unternehmen digitalisiert und jetzt sage ich, schön und gut, jetzt merke ich mit einem Mal, dass es teuer ist, Daten auszutauschen, dass ich Schnittstellen zu fast jedem meiner Partner machen muss. Was wahnsinnig teuer ist – das wissen wir heute alle -, die klassische Schnittstellentechnologie. Das ist, glaube ich, die andere Fantasie in der Blockchain – auf den Punkt wollte ich hinaus -, dass viele darin die Projektion sehen, wir müssen es irgendwann einmal umdrehen und eigentlich darüber nachdenken, wie können wir vielleicht diese Datenbank, oder vielleicht auch mehrere Datenbanken, also mehrere Blockchains, mehrere Datenbanken aufbauen, wo wir gemeinsam draufgucken können. Dann kann es durchaus sein, dass im Unternehmen ganz klassisch mit heutiger Technologie mit Datenbanken herkömmlicher Art gearbeitet wird, aber es gibt Schnittstellen zu Blockchain, zu Blockchains, die dann als Infrastruktur dienen, damit man sich austauschen kann. Das ist so wie im Unternehmen sind die Bundesstraßen und Landstraßen und irgendwann fahre ich auf die Autobahn, um jetzt einmal ein ganz simples Bild zu fahren, und gehe auf das schnellere Transportmedium, bewege aber immer die gleichen Daten.

Benjamin Zühr: Wenn ich das jetzt auf Industrieversicherung übertrage, hätte ich ein Industrieunternehmen, sagen wir einmal ein Fertigungsunternehmen, was letztendlich bei der automatisierten Fertigung Daten produziert. Diese Daten werden automatisiert in einer Blockchain gespeichert und werden letztendlich beispielsweise einem Makler oder einem Versicherer freigegeben, sodass der Versicherer auf dieser Basis sein Underwriting durchführen kann.

Ansgar Knipschild: Genauso. Da kommt zum Beispiel auch der Punkt Industrie 4.0, um einmal dieses Buzzword hineinzubringen, hinein, wenn man sich anschaut, wo heute Daten erzeugt werden, von Sensoren, von Fertigungsstrecken und so weiter, da werden die zwar im Unternehmen selbst wunderbar ausgewertet, wenn es gut läuft, aber wenn es nach draußen soll, zum Makler, zum Versicherer oder auch zu anderen Produktionspartnern, kommt überall immer die gleiche Problematik heraus, wie mache ich denn das, Schnittstellen, Datenformate, wie mache ich es denn. Mit einer Blockchain, die entsprechend für die anderen Partner freigegeben ist, schauen sie einfach gemeinsam darauf und haben alle immer den gleichen Stand.

Benjamin Zühr: Und es ist sehr sicher. Nämlich ist auch ein Riesenthema das ganze Thema Datensicherheit. Es ist ja wirklich das Thema und letztendlich müssen auch die Versicherer sich vor allen Dingen immer mehr absichern, dass da alles auch passt. Mit einer Blockchain, so wie ich es verstehe, wäre das Problem zumindest nach heutigem Kenntnisstand erst einmal nach bestem Wissen gelöst.

Ansgar Knipschild: Ja. Da ist das Argument – ich würde einmal kurz auf das Thema public Blockchain, was ich eben erwähnt habe, und private Blockchain hineinkommen, weil das gerade auch bei Versicherungsprojekten ein Riesenthema ist -, unter public Blockchains werden Blockchains verstanden, die – am Beispiel Bitcoin – von jedem frei genutzt werden können und wo ich sogar auch als Betreiber jederzeit einsteigen kann, wo ich meinen Server in das Netzwerk hineinpacken kann und beim Betrieb helfen kann. Da gibt es keinen Registrierungsprozess, keine Stelle, bei der ich zentral anklopfen muss und sagen muss, ich möchte mitmachen. Du stellst einfach deinen Rechner an, lädst eine entsprechende Software herunter, lässt diese laufen, das war es. Den Rest machen die Rechner selbst, klinken sich in das Netzwerk ein, stellen ihre Kapazität zur Verfügung und so weiter. Das sind public Blockchains. Darauf funktioniert heutzutage Bitcoin. Diese Mechanik, also ganz exakt sogar der Code, der mit dieser Art von Blockchain gebaut worden ist, den würde ich als extrem sicher bezeichnen, weil, wie gesagt, seit 2008 alles, was man von irgendwelchen Hackerangriffen auf Bitcoin liest, die es gegeben hat, nicht auf der Blockchain selbst waren, sondern an Systemen, die daran angeschlossen waren, an Börsen oder irgendwelchen Websites, die da Zugangstor waren. Diese sind zum Teil unsicher gewesen oder sind es auch heute noch. Aber die Blockchain selbst, die letztendlich die Transaktion festhält, du besitzt so viel, ist nach heutigem Wissensstand noch nie geknackt worden. Jetzt taugt diese Blockchain aber als Technik nicht eins zu eins als Software, dass ich als Versicherer sagen kann, da packe ich jetzt meine Verträge drauf, weil die Bitcoin Blockchain wirklich so trivial ist. Sie ist einfach nur dafür da, eine Transaktion, nämlich Summe A nach B. Mehr kann das nicht. Da ist keine Programmiersprache drauf. Ich kann nur sehr, sehr schwer weitere Informationen draufpacken. Ich kann wirklich nur diese Zahlen draufpacken, also ein klassisches Konto. Jetzt gab es im Laufe der Zeit verschiedenste Abkömmlinge von dieser Blockchain-Technologie. Ethereum hat vielleicht schon einmal jemand irgendwann gehört. Das sind programmierbare Blockchains. Als Methodik etwas ganz anderes, nämlich dass man Blockchains nicht mehr komplett public betreibt, sondern dass sich zum Beispiel drei, vier, fünf Firmen nur zusammentun und sagen, wir packen einmal fünf oder zehn Server zusammen, machen die nicht public, schützen die sogar mit klassischer Technologie, Firewall, IP-Filtering, da kann nicht jeder drauf, und sagen, wir betreiben eine private Blockchain. Diese hat den Vorteil, sie funktioniert in der Technik innen drin genau, wie du es eben beschrieben hast, mit Blöcken nacheinander, WhatsApp – dein Bild von eben. Aber sie ist viel effizienter. Sie ist viel schneller als die Bitcoin Blockchain, weil sie eben nicht mehr public ist. Sie ist nur noch in einem ganz kleinen Kreis und ich kann auch mit herkömmlichen Schutzmechanismen das zusätzlich absichern und kann jetzt auch noch ganz andere Sachen darauf machen. Das ist eigentlich zurzeit die präferierte Technologie, über die Versicherer oder auch Makler nachdenken, dass sie sagen, lasst uns in irgendeinem Konsortium fünf, zehn, zwanzig, dreißig Player – wie viele auch immer – gemeinsam eine Blockchain betreiben – nur wir. Da gibt es sehr wohl einen Registrierungsprozess. Untereinander sind danach aber die Player wieder gleichberechtigt. Wieder kein zentraler Administrator. Die Bitcoin-Blockchain-Puristen sagen, ist doch gar keine Blockchain mehr. Wenn man so will, haben sie Recht. Auf der anderen Seite ist es der pragmatische Ansatz, um die Performance hinzukriegen, wirklich auch umfangreiche Dokumente und Verträge darauf abzubilden und meiner Meinung nach den entscheidenden Vorteil in unserer Branche hinzukriegen, nämlich, dass sich die Parteien mehr vertrauen und eine gemeinsame Datenbasis haben. Das ist meiner Meinung nach der Knackpunkt, an dem wir gerade immer kämpfen, dass jeder sein eigenes Ding baut und damit wahnsinnig viel Aufwand probiert, die untereinander zu vernetzen.

Benjamin Zühr: Das sehe ich genauso. So wie ich jetzt Blockchain verstanden habe, wäre das genau die Lösung für die Industrieversicherung, sich in einer wie auch immer gearteten Initiative zusammenzuschließen und zu sagen, man hat einen gemeinsamen Datenraum, wo man mit dieser Blockchain-Technologie oder einer Technologie, die der Blockchain-Technologie ähnlich ist, Daten austauscht und auch entsprechend sicher ist. Bisher ist genau das Thema Datenaustausch sehr kompliziert und schwierig. Es gibt Initiativen, der Klassiker BiPRO, auch wenn das momentan für Industrieversicherung noch nicht so relevant ist. Trotzdem müssen wir darüber nachdenken, wie lösen wir das Problem in der Industrieversicherung, wo wir seltenst über standardisierte Prozesse reden, seltenst über standardisierte Daten reden, sondern häufig über hochgradig individuelle Daten. Letztendlich glaube ich, könnte da ein gemeinsamer Datenraum, der wie auch immer aussieht und entsprechend geschützt ist, ein Riesensprung in Richtung Digitalität der Industrieversicherung bringen.

Ansgar Knipschild: Ja, absolut. Meiner Meinung nach geht es darum in den nächsten Jahren, ein Zusammenspiel von diesen Initiativen hinzukriegen. Du hast BiPRO erwähnt. Das ist das reine Datenmodell, der Prozessstandard. Der beschreibt, wie beschreibe ich denn einen Partner in der Versicherung, einen Versicherungsnehmer oder vielleicht auch ein Risiko, eine Deckung in gewissen Grenzen. Das hat mit der Infrastruktur oder mit der Technik aber erst einmal nichts zu tun. Blockchain vielleicht als Baustein, der sagt, das ist Infrastruktur, das ist Autobahn, das ist gemeinsame Datenbank, auf die wir uns einigen. Ich möchte es noch einmal wiederholen, weil es da häufiger Missverständnisse gibt. Es gibt nicht die eine Blockchain. Es ist überhaupt kein Problem, mit mehreren Blockchains. Die eine Blockchain wird von Versicherern betrieben, die nächste Blockchain wird von Maklern betrieben, die nächste wird von Banken betrieben. Es gibt als Beispiel auch Protokolle, die dann Brücken zwischen diesen Blockchains schlagen. Das ist politisch, glaube ich, auch gar nicht so unklug, dass man den Parteien im Markt auch ihren Raum gibt, in dem sie das machen können und nicht direkt das große Rad dreht – was man natürlich auch machen könnte, alle zusammen eine Blockchain. Das ist das Infrastrukturpaket. Ich glaube, was noch so ein bisschen fehlt, ist die Standardisierung, die BiPRO im (Private-Line-Bereich?) angefangen hat, die in die Industrieversicherung hinüberzuretten, also komplexere Produkte, komplexere Prozesse. Nehmen wir an, wir haben die Technik, die Infrastruktur, die Datenbank geklärt, dann kommt es automatisch zum Problem, wie beschreibe ich denn jetzt meine Deckung und was heißt denn Ausschreibung, was heißt denn Angebot, welche Daten brauche ich denn dafür. Die beiden Probleme muss man lösen, wie speichere ich es ab, sodass alle mit entsprechenden Berechtigungen darauf zugreifen können, zweitens, mit welchen – ich formuliere es ganz einfach – Feldern beschreibe ich denn die Sachen, damit ich nicht jedes Mal noch überlegen muss, selbst wenn ich Zugriff darauf habe, was heißt denn das, was heißt denn Prämie, ist die Netto, ist die Brutto, war die nur ein Teil und so weiter.

Benjamin Zühr: Definitiv. Es gibt sicherlich ganz viele Fragen und die Diversität, in der wir uns befinden, macht das Ganze sicherlich nicht einfacher. Trotzdem glaube ich, dass die Technologie oder dieser Technologieansatz unglaublich spannend ist, weil eins definitiv feststeht, momentan ist es so, dass viele sich in eigenen Initiativen bemühen, das Thema Digitalität anzugehen und da sind auch viele sehr wertvolle Ansätze dabei. Aber die meisten setzen wirklich auf Schnittstelle. Letztendlich einen Weg zu finden, das Schnittstellenproblem zu lösen, ich glaube, das muss die Hauptaufgabe sein, weil daran die meisten scheitern werden. Prozesse innerhalb eines Unternehmens zu definieren, ist die eine Sache, was schon kompliziert genug ist. Aber den Datenaustausch mit Partnern hinzubekommen – und da ist es egal, auf welcher Seite man sitzt, ob man Versicherer, Makler oder auch Industrieunternehmen, also Kunde ist -, letztendlich haben alle dieselben Probleme und es wird, glaube ich, nicht gelingen, jedes System mit dem anderen zu verbinden. Das kann einmal für einen Übergang sinnvoll sein. Das kann auch einmal im Einzelfall sinnvoll sein, wenn man mit Partnern so unglaublich hohe Frequenzen an Datenaustausch hat, dass man sagt, da macht einfach eine Schnittstelle Sinn. Aber ansonsten ist sie betriebswirtschaftlich betrachtet, glaube ich, grundsätzlich eher nicht die Lösung, auch sehr fehleranfällig, das muss man auch ganz klar sagen, weil natürlich immer unterschiedliche Systeme, also mindestens zwei Systeme an einer Schnittstelle hängen. Dementsprechend warum nicht? Warum nicht darüber nachdenken, dass gegebenenfalls so eine Blockchain-Technologie auch für den deutschen Industrieversicherungsmarkt total eine Lösung sein könnte? Gibt es denn da schon Initiativen?

Ansgar Knipschild: Ja, es gibt einiges, sowohl aus dem Bereich der Industrieversicherung als auch auf dem allgemeinen Versicherungsmarkt. Ich kann im Schnelldurchlauf ein paar skizzieren. Wir hatten beim letzten Podcast das Thema von Transport kurz angerissen. Lloyd’s macht das mit Insurewave. So nennt sich das Ganze. Auch schon ein bisschen länger, seit 2017, glaube ich, live seit 2018 zusammen mit Maersk als großem Logistiker. Da geht es darum, dass alle Beteiligten rund um das Shipment – also ich möchte Waren weltweit von A nach B transportieren – ein Interesse haben, die gesamten administrativen Prozesse darum, also Container wird verladen, Container kommt von Hafen A nach Hafen B, kommt vom Schiff auf die Schiene, die ganzen Ausfertigungs-, Zollpapiere hinten dran, aber sehr wohl auch der Schadenfall, Container fällt vom Schiff, Container wird beim Verladen oder Transport beschädigt, das zu tracken und nicht über den Ansatz, alle Systeme versuchen irgendwie Interfaces da hinzupacken, sondern man sagt, wir bilden gemeinsam als Maersk, als Logistiker, als Versicherer und eben auch als Makler dazwischen eine gemeinsame Plattform auf Blockchain-Basis, eine Datenbank und da kannst du hineingucken. Da siehst du in Realtime, wo ist das Schiff, was macht gerade der Transport, was macht der Container. Wenn ein Schaden auftritt, wird der eben auch festgehalten. Weil alle – das ist natürlich die Voraussetzung bei der Technologie – daran glauben, dass diese Datenbank unveränderbar ist, dass nicht irgendein zentraler Administrator da vielleicht auch einmal Unfug treibt, oder ein zentraler Administrator ist ja gleichzeitig auch Hacker von außen, das darf man dabei echt nicht vergessen, wenn Schaden darin protokolliert wird, gilt der eben als Schaden und ich kann auch viel schneller regulieren. Ich weiß, am 23. um 17:15 Uhr laut Datenbankeintrag ist das passiert – unstrittig. Es ist nicht manipulierbar. Jetzt können wir noch die Details klären und dann war es das. Das ist, glaube ich, bei dem Thema Transport, gerade Container, weil so viele Beteiligte dabei sind, ein sehr spannender Fall, wo alle sofort davon partizipieren. Denn Stand heute wird so viel Papier ausgetauscht und kommt mit teilweise so irren Verzögerungen bei allen Beteiligten an, gerade noch international, Sprachen, verschiedene Behörden, da liegt der Vorteil echt auf der Hand.

Benjamin Zühr: Absolut. Aber wer, denkst du denn, müsste die Initiative ergreifen, eine Blockchain? Wenn wir über Industrieversicherung nachdenken, Transport ist ja letztendlich eine Sparte, die sich auch auf eine Branche spezialisiert hat, zumindest im Großen und Ganzen. Jetzt gibt es aber andere Sparten wie Sachversicherung im klassischen Sinne, wo man sagt, darunter kann ja erst einmal gefühlt jede Branche fallen. Die Frage wäre jetzt, müsste so eine Initiative eher von den Industrieunternehmen ausgehen und die Makler und Versicherer müssten sich darauf schalten können, oder wie, denkst du, müsste das laufen?

Ansgar Knipschild: Ich tue mich schwer damit, jetzt einen zu identifizieren, um zu sagen, der ist es. Ich glaube, die Idee bei Blockchain ist letztendlich dahinter, du brauchst mehrere Beteiligte, die gemeinsam bereit sind, diesen Weg zu gehen. Jetzt kann man natürlich argumentieren und sagen, die Versicherer sind diejenigen, die, wenn sie mit vielen Partnern zusammenarbeiten, einen Vorteil davon haben, vielleicht könnten sie es treiben. Auf der anderen Seite könnte man genauso gut sagen, der Makler kann es treiben, weil er wiederum auch mit vielen Versicherern zusammenarbeitet. Er profitiert dann auch davon. Der Industriekunde profitiert davon, weil er wiederum auch mit vielen Daten tauscht. Man merkt, alle eint eigentlich dieses Interesse. Ich glaube, man muss Fälle identifizieren, wo einfach aufgrund der sehr hohen Kosten in der Vergangenheit, also der sehr großen Zeitdauer, die vielleicht im Datenaustausch drin waren, einfach der Case auf dem Tisch liegt und man sagt, das müssen wir einfach tun. Ich finde ein sehr gutes Beispiel da die Initiative von B3i. Da haben die Rückversicherer angefangen, aber auch mit Maklern zusammen, teilweise auch mit den Risikoverantwortlichen von den Konzernen, das Thema Rückversicherung zu digitalisieren. Das ist die ganz große Klasse an Risikomanagement, wo auch wiederum das Thema ist, wie können alle auf den gleichen Stand der Daten draufgucken, wie können große Risiken, große Katastrophenfälle mit allen Beteiligten gemeinsam gemanagt werden. Die sind da seit 2016 dran. Das Ganze wurde – da muss ich einmal kurz überlegen -, ich glaube, von Allianz und noch anderen Playern gegründet. Ich glaube, Swiss Re war auch stark mit dabei. Es war ein ganz langsamer Anfang. Sie haben kleine Piloten gemacht. Aber seit 2018, 2019 gibt es eine eigene kleine AG, die sich jetzt auch um die Implementierung kümmert und auch zu den Stückzahlen ganz interessant, ich glaube, sie haben Anfang des Jahres die ersten dreißig Rückversicherungsdeckungen darüber komplett abgewickelt. Da kann man jetzt schmunzeln und sagen, dreißig Verträge, dreißig Policen, aber da sind natürlich auch entsprechende Volumina dahinter. Hier haben die Parteien gemerkt, das macht einfach total Sinn, dass wir gemeinsam auf die gemeinsame Datenbasis draufpacken und wenn wir zum Beispiel das Cover decken wollen, wenn wir also gemeinsam Rückversicherungskapazitäten zusammenbringen können, wird das über diese Plattform abgewickelt. Also da wird wirklich hineingestellt, ich brauche hier eine Coverage, hier noch zehn Prozent, da noch zwanzig Prozent, das wird bitte hineingestellt und weil alle live an dieser Auktion und auch an der Verhandlung teilnehmen, haben sie alle den gleichen Stand und sagen, das können wir nach wie vor per E-Mail machen oder per Excel oder wie auch immer, wir können uns aber einfach darauf einigen, eine gemeinsame Datenbasis zu nutzen. Das finde ich ein gutes Beispiel dafür, wie ganz langsam und auch über ganz kleine Pilotprojekte und nachher bis in den produktiven Betrieb sich so etwas entwickeln kann.

Benjamin Zühr: Absolute Pionierarbeit.

Ansgar Knipschild: Das würde ich auf jeden Fall sagen.

Benjamin Zühr: Irre, dass es da schon so etwas gibt, auch wenn es jetzt vielleicht im Rückversicherungsbereich ist. Es ist ja trotzdem hochkomplexes Geschäft und total spannend. Letztendlich, glaube ich, können sich alle anderen Marktteilnehmer da auch in gewisser Weise nur ein Beispiel daran nehmen, weil es letztendlich zeigt, dass Digitalisierung nur über Gemeinschaft gelingt und nicht durch Einzelinitiativen. Einzelinitiativen können sicherlich eine Art Start sein. Aber ich glaube persönlich fest daran, dass es wichtig ist, dass der Markt einfach gemeinsam die Themen angeht. Ich könnte mir vorstellen, dass Ansätze wie Blockchain da einfach helfen können, weil sie letztendlich das zur Grundvoraussetzung machen. Das ist total spannend. Ich finde es total spannend, mit dir darüber zu sprechen und einfach einmal zu gucken, wo Möglichkeiten bestehen können. Ich denke natürlich auch immer viel an die Zukunft der Versicherung dahingehend, dass wir häufig schon über das Thema situative Versicherung gesprochen haben. Auch da könnte nach meinem Verständnis das Thema Blockchain unglaublich viel bringen, das ganze Thema voranzutreiben, wenn ich mir überlege, dass ich immer dauerhaft auf diese ganzen Datenblöcke wirklich zugreifen kann und somit in Echtzeit auch genau weiß, wie sich welches Risiko entwickelt.

Ansgar Knipschild: Ja, das sind dann die parametrischen Versicherungen, die wir auch beim letzten Mal dabeihatten, die man wunderbar über Blockchain abbilden kann, weil – immer unter der Voraussetzung, man glaubt dieser Technologie – man sagt, wenn jeder Eintrag drin ist, dass es den Schaden gegeben hat – wir waren beim letzten Mal bei Hochwasser oder bei einer Naturkatastrophe, dann gilt das eben als gesetzt. Die Axa hat darüber schon vor zwei Jahren eine Flugausfallversicherung mit dem lustigen Namen Fizzy abgebildet, also wirklich ein Spielprojekt für Endkonsumenten, wo der Zweck schlicht und ergreifend war, dass, wenn ein Flug von einer Airline verspätet war, diese Verspätung in der Blockchain einfach abgespeichert wurde, protokolliert wurde und da sie da unveränderbar drinsteht, wurde sie auch von allen Beteiligten, auch von der Axa selbst als Versicherer akzeptiert. Da wurde nicht mehr mit den Fluggesellschaften geguckt, könnt ihr mir im Nachhinein sagen, ob am 17.5. der Flug wirklich fünf Minuten später war und dann alle sagen, glaube ich dem jetzt oder nicht. Nein, das wird zu dem Zeitpunkt festgehalten und ist erfolgreich gelaufen. Es gab von dem Ding noch zwei, drei Spin-offs. Leider ist das jetzt noch nicht in dem Sinne gewachsen, dass es jetzt größere Projekte gibt, die das zum Beispiel auch auf Industrie hochskalieren. Ich glaube ich, da – ich würde es ganz plump formulieren – trauen sich die Leute nicht. Auf der anderen Seite ist wahrscheinlich das Volumen auch noch nicht da. Flugausfall ist natürlich ein super Case, weil du da zumindest vor Corona tausende von Fällen pro Tag weltweit hast. Da lohnt sich das. Industrie, wenn du idealerweise eine nicht so hohe Schadenfrequenz hast, funktioniert auch die Investition – Blockchain hin oder her – natürlich häufig nicht, weil es eben nur eine kleine Frequenz hat. Aber parametrische Versicherungen, was du ansprichst, ist meiner Meinung nach ein Thema für die Fertigung, also Sensoren, die bei einem großen DAX-30-Unternehmen oder so sagen, hier hat es einen Produktionsausfall gegeben, das SAP-System, oder welches auch immer steuert, protokolliert das und danach ist es unveränderbar in der Blockchain drin. Versicherer kann draufgucken und sagt, alles klar, ist drin, dem vertraue ich auch. In diese Blockchain schreiben alle anderen Industrieunternehmen auch. Das ist jetzt eben der Trick, dass man sagt, das ist unsere Schnittstelle, de facto gemeinsame Datenbank, das wäre natürlich im Sinne von Belegen, von Schäden, Nachvollziehbarkeit, von/ wann ist denn da wirklich der Schadenfall eingetreten, natürlich ein Riesensprung nach vorne. Meiner Meinung nach ist das als ganz simpler Fall nur eine Frage der Zeit, weil du dann nur hineinschreibst. Du bist noch gar nicht bei hochkomplexen Fällen und kannst wahrscheinlich industrieweit schon eine Menge an Kosten für Nachweise und Belege und so weiter einsparen.

Benjamin Zühr: Absolut. Ich denke jetzt gerade darüber nach. Letztendlich wäre es in diesem Fall vielleicht sogar smart, wenn das Produkt, nämlich ein wie auch immer geartetes Deckungsmodell mit dem Ziel der situativen oder parametrischen Versicherung und auf Blockchain-Basis wirklich entsprechend sowohl das Underwriting-Modell als auch die Technologie vom Versicherer, Assekuradeur oder vielleicht sogar Makler – je nachdem – bereitgestellt wird und letztendlich sich somit Kunden einer ähnlichen Branche an diese Blockchain anschließen können und entsprechend in die Blockchain die Daten liefern, die das Deckungsmodell benötigt, um Risiken bewerten zu können und im Zweifel Schäden auszahlen zu können. Somit könnte man gegebenenfalls auch Brücken bauen, nämlich dass man sagt, vielleicht ist es dann gar nicht nur für große Unternehmen möglich, auf Basis von Blockchain solche Arten von Versicherungen zu nutzen, sondern auch kleineren, die einfach in derselben Branche sind und somit profitiert man letztendlich von der Masse an Unternehmen. Ich persönlich finde den Ansatz superspannend. Gerade für die Industrieversicherung, glaube ich, ist das eine Riesenchance, deutlich transparenter zu sein, die Deckungsmodelle auch viel näher an das eigentliche Risiko heranzubringen, wirklich wegzugehen von generischen Ansätzen hin zu spezifisch auf das Risiko angepassten Ansätzen. Wie gesagt, meiner Meinung nach eine große Chance für den Markt und für die Branche, sich da ganz neu in gewisser Weise auch zu erfinden.

Ansgar Knipschild: Um den Bogen abzuschließen und vielleicht auch ein bisschen mit Blick auf die Zeit, ich glaube, das andere Spannende bei Blockchain ist heute, unabhängig von der Technik, über die man auch wirklich diskutieren kann, wie gut, wie zuverlässig sie ist, sie hat auch definitiv Nachteile. Auch die private Blockchains, über die wir gesprochen haben, sind sicherlich, was Durchsatz, Transaktionsgeschwindigkeiten angeht, zum Teil meilenweit hinter dem, was heute gute relationale Datenbanken hinkriegen, wie eine DB2 oder wie eine Microsoft SQL, oder wie sie alle heißen/ Jetzt muss man aber auch fairerweise sagen, im Industriegeschäft haben wir in der Regel gar nicht die Stückzahl und auch nicht die Ansprüche an Geschwindigkeit, weil wir tausende von Transaktionen pro Sekunde haben. Deshalb passt das eigentlich auch ganz gut, diese Schwachstelle, die wir da technisch vielleicht noch haben. Aber es gibt sie. Das muss man ganz klar sagen, da sind noch ein paar ungelöste Themen. Das Spannendste finde ich persönlich eigentlich an dem Thema, meiner Meinung nach haben wir den Zenit des Hypes schon hinter uns, wenn man an diesen Gartner Hype Cycle denkt, wo am Anfang die Kurve stark hochgeht und dann geht es wieder herunter. Ich glaube, wir sind da irgendwo, ich glaube, Tal der Ernüchterung, wie das bei Gartner heißt. Ich glaube, das haben wir vielleicht sogar schon hinter uns. Jetzt sind wir in so einem Level, weil Finanzbereich, Versicherung ist auch ein bisschen später auf den Zug aufgesprungen, was gar nicht schlecht ist, dass man sagt, die Erwartungen sind jetzt gar nicht mehr so mega wie vor zwei, drei, vier Jahren, als das wirklich so seinen Peak hatte, aber es ist schlicht und ergreifend eine super gemeinsame Gesprächsbasis, wie können wir gemeinsam Datenaustausch vorantreiben. Vielleicht kommt am Ende von solchen Gesprächen gar keine Blockchain-Lösung heraus. Aber die Beteiligten treibt gerade – das merkt man sowohl bei den IT-Verantwortlichen, zum Teil aber auch bei den Vorständen – dieses Thema, dass dem Begriff Blockchain eine gewisse Modernität und Innovation anhaftet und alleine das ist meiner Meinung nach schon ein Wert, so blöd sich das jetzt anhören mag, weil es einfach eine Eintrittstür ist, gemeinsam ins Gespräch zu kommen. Das hat es vorher, wenn man sagt, lass uns einmal gemeinsame Schnittstellen sprechen. Ich glaube, es gibt nichts Langweiligeres. Das kennen wir auch. Damit schreckst du, glaube ich, eher ab und da sagen die Leute, oh nein, ich weiß schon jetzt, kostet irgendwie ein Jahr Arbeit, daraus wird nichts und ich muss Wahnsinnsgeld hineinstecken. Aber Blockchain – deshalb haben wir da vielleicht noch ein Zeitfenster von zwölf, 24 Monaten – hat meiner Meinung nach die Chance, dass sich jetzt Parteien zusammensetzen und sagen, lass uns mit diesem Trigger einmal IT-Fachbereiche austauschen. Eine gewisse Offenheit ist einfach da. Wie gesagt, vielleicht kommt gar keine Blockchain-Lösung heraus. Da wäre ich auch gar nicht derjenige, der jetzt immer sagt, das muss jetzt auch unbedingt Blockchain sein. Es ist einfach ein super Trigger und ein guter Impuls, um sich einmal über digitalen Datenaustausch auszutauschen.

Benjamin Zühr: Super. Dann haben wir doch schon alle Ziele für das Jahr 2021 genannt, dass wir uns einfach zusammensetzen, dass die Branche näher zusammenwächst und die Themen die digitalen Herausforderungen gemeinsam löst. Mir hat es wieder unglaublich viel Spaß gemacht, Ansgar. Ich bedanke mich für den tollen Austausch. Ich hoffe natürlich, auch unseren Zuhörern hat es gefallen. Ich hoffe, dass wir Ihnen und euch das Thema Blockchain auch mit Bezug auf Industrieversicherung ein bisschen näherbringen konnten. Somit sage ich bis zum nächsten Mal.

Ansgar Knipschild: Danke dir, Benni. Tschüss. Ich hoffe, an den Markus aus Hannover, dass wir die Frage halbwegs beantworten konnten. Bis dann. Macht es gut. Tschüss.

Benjamin Zühr: Tschau.

Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.

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