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ID#27

16.11.2021

AGCS, Bettina Dietsche: Rolle des Underwriters wird geprägt sein von Daten und Veränderungsbereitschaft – ID#27

Wie verändern sich die Anforderungen an Mitarbeitende in der Industrieversicherung durch die Digitalisierung? Bettina Dietsche, Chief Operating Officer (COO) und Mitglied des Vorstands bei der Allianz Global Corporate & Specialty SE und Benjamin Zühr diskutieren die Zukunft des Underwritings und die Entwicklungswege für Mitarbeitende.

Im Gespräch: Bettina Dietsche und Benjamin Zühr

Länge: 35 Minuten

Transkript

Benjamin Zühr: Herzlich willkommen zur neuen Folge unseres Podcasts ‚Industrieversicherung digital, der Podcast der Versicherungswirtschaft‘. Heute zu einem durchaus spannenden und bisher noch nicht viel diskutierten Thema, zumindest in unserer Podcast-Reihe, Digitalisierung und damit verbundene Veränderung an Personalanforderungen.

Bisher haben wir das Thema Digitalisierung sehr häufig von der technischen Seite aus betrachtet. Wir haben mit Experten gesprochen, die uns gesagt haben, welche Maßnahmen sie in ihren Gesellschaften ergriffen haben, um Prozesse zu verändern, um digitale Geschäftsmodelle aufzubauen. Wenig betrachtet wurde bisher allerdings die Auswirkung auf die Mitarbeiter. Wir haben Anfang 2021 einen Podcast dazu aufgenommen, wo wir das Thema angeschnitten haben. Ich freue mich wirklich, heute mit einer absoluten Expertin auf diesem Gebiet sprechen zu können und sie als Gast bei uns im Podcast willkommen zu heißen.

Herzlich willkommen, Frau Dietsche!

 

Bettina Dietsche: Vielen Dank für die Einladung! Ich bin gerne hier.

 

Benjamin Zühr: Super. Sehr, sehr gerne. Der eine oder andere wird Sie kennen. Sie sind ja bereits durchaus bekannt im Markt und haben auch schon eine Geschichte hinter sich. Einerseits haben Sie bei der Versicherungskammer Bayern als Senior Executive gearbeitet im Bereich Company, Organization and Business Process Management. Dann sind Sie zur Allianz gewechselt und haben dort einen sehr starken Fokus auf Operations. Seit 2008 sind Sie im Vorstand der AGCS als Chief Operating and People Officer. Frau Dietsche, mögen Sie kurz etwas zu sich sagen?

 

Bettina Dietsche: Ja, danke. Das mache ich gerne. Noch einmal danke für die Einladung. Es ist ein spannendes Thema, das wir heute haben. Ich bin seit 2012 wieder in der Allianz-Gruppe. Vorher war ich zwar bei der Versicherungskammer, aber ganz davor schon einmal im Allianz-Konzern, was ein Novum ist. Normalerweise gibt es das nicht ganz so häufig, dass jemand zurückkommt. Aber das zeigt am Ende des Tages, wie spannend die Themen sind. Es geht immer auch ums Netzwerken und darum, Kontakt zu halten. Ich denke, das ist mir ganz gut gelungen. Ich freue mich auf diese spannende Veränderungszeit. Ich denke, die haben wir nicht nur im Kontext der Industrieversicherung, sondern es ist eine grundsätzliche Dynamik.

Auch die Erfahrungen aus dem Covid-Zeitalter, muss ich fast sagen, sind schon echt spannende Impulse, die uns alle beschäftigen, wie die Zukunft aussieht. Von dem her bin ich gerne hier und freue mich, dass wir ein spannendes Thema haben, auch zum Thema Personal, denn am Ende des Tages machen doch die Menschen den Unterschied. Ich glaube, das ist eine Kombination mit der Digitalisierung, die erst am Anfang steht. Wir werden so viel erleben, was uns noch viel zügiger und schneller durch die Zeit bringt, dass ich glaube, das ist ein tolles Thema, das wir da heute miteinander haben. Also danke für die Einladung. Ich bin gerne da und hoffe, ich kann ein bisschen etwas beisteuern.

 

Benjamin Zühr: Da bin ich ganz sicher. Die AGCS ist dafür bekannt, eher die komplexen Risiken zu betrachten. Gerade in dem Kontext ist natürlich das Thema Digitalisierung besonders herausfordernd, zumindest ist das die Erkenntnis, die wir bisher erlangt haben. Allerdings wurde auch das Thema Personal bisher meiner Meinung nach viel zu wenig betrachtet im Kontext der Digitalisierung. Können Sie aus Ihrer Sicht sagen, warum es so wichtig ist, diese beiden Themen gemeinsam zu betrachten und nicht getrennt voneinander?

 

Bettina Dietsche: Ja, das mache ich gerne. Gerade die letzten 18 Monate haben uns gezeigt, dass es Hand in Hand gehen muss, weil sich der Erfolg sonst nicht einstellen wird. Warum meine ich das? Wir haben in den letzten 18 Monaten Veränderungen erlebt hin zur weiteren Digitalisierung. Vor allen Dingen mussten sich mit großer Geschwindigkeit neue Tools etablieren, weil das die einzige Möglichkeit war, wie man arbeitet, weiter Kunden bedient und Kontakt mit den Teamkollegen hält, in unserem Fall über die Grenzen hinweg. Diese neuen Tools sind hier und werden hier bleiben. Sie bieten sogar noch mehr Möglichkeiten.

Das hat gezeigt, dass, wenn wir es nicht schaffen, die Leute mitzunehmen, dann verlieren wir am Ende nicht nur Produktivität, sondern das, was einen Unterschied macht, wie sie künftig Risiken bewerten. Das ist eine Kombination, die jetzt im Schweinsgalopp nach vorne gekommen ist.

Wir brauchen die Sicherheit, dass die Mitarbeiter sich wohlfühlen im Umgang mit der Technologie, weil sie eben nicht mehr weggehen wird, sondern immer schneller immer mehr hinzukommt. Wenn Sie den Leuten die Sorge nicht nehmen können, dass das kein Teufelszeug ist, sondern dass es jedem helfen sollte, jeden Tag besser zu sein, einen besseren Kundenkontakt zu halten, bessere Datenqualität zu bekommen und Entscheidungen gereifter zu treffen, dann verlieren Sie das, was den Underwriter oder die heutige Arbeit, die wir machen, ausmacht. Das wird sehr schnell sehr wenig bedeutsam sein oder bleiben.

Deshalb glaube ich, dass gerade die Investition in Mitarbeiter, sich dem aufzuschließen, das anzunehmen, das zu umarmen, sage ich immer, wichtiger denn je ist. Sonst verlieren wir den Kontakt und die Geschwindigkeit. Und das ist sogar auf die kurze und mittelfristige Sicht wirklich eine Gefahr. Das wird uns so schnell überrollen, so schnell können wir gar nicht schauen. Deshalb ist die Arbeit jetzt, den Leuten Zuversicht zu geben, sie upzuskillen, wie man so schön neudeutsch sagt, eine Arbeit, die jeder sofort tun muss, weil sie Zeit brauchen wird. Sie ist aber nicht mehr wegzudenken, weil die Technik nicht mehr wegzudenken ist.

Es wird schneller sein, mehr fordern, und dem müssen wir uns als Unternehmen stellen, weil wir sonst nicht mehr attraktiv sind, auch nicht für neue, junge Talente, die vielleicht zu uns kommen wollen. Die werden aber sicherlich nicht kommen, wenn sie das Gefühl haben, sie sind in einem Dinosaur-Laden unterwegs. Es hat ganz verschiedene Aspekte. Aber Digitalisierung, ohne dass wir die Leute heranführen und mitnehmen, wird nie den Effekt erzielen, den wir uns so sehr davon wünschen. 06:45

 

Benjamin Zühr: Das finde ich total spannend so, wie ich Sie verstehe. Das macht auch total Sinn. Wir haben ja eine Geschichte bisher. Wir haben das große Thema Legacy-Systeme. Der ganze Markt spricht davon, dass es das größte Problem ist. Aber im Zweifel bedienen Menschen diese Systeme. Menschen haben sich an diese Systeme gewöhnt. Und jetzt sollen diese Menschen entweder die Altsysteme weiterentwickeln, sodass sie den heutigen Anforderungen entsprechen, oder sogar neue Systeme dabei unterstützen, neue Systeme einzuführen. Somit glaube ich, dass Sie da absolut einen Punkt haben. Es ist entscheidend, die Menschen mitzunehmen, bevor man über Technik nachdenkt.

 

Bettina Dietsche: Unbedingt.

 

Benjamin Zühr: Ansonsten würde es nicht funktionieren. Der Change-Prozess muss deutlich früher starten, oder?

 

Bettina Dietsche: Unbedingt. Wir reden über neue Technologie. Aber wenn Sie neue Technologie auf altes Denken, auf alte Prozesse, auf alten Set-up anwenden, was soll denn da besser werden? Gar nichts.

 

Benjamin Zühr: Gute Frage.

 

Bettina Dietsche: Genau, das ist so. Dieses Eine, ich investiere in Plattformen und Technologien, ohne aber vorne anzufangen, dass das Denken ein anderes sein muss. Ich muss heute ein Produkt ganz anders definieren, als ich das vor zwanzig Jahren vielleicht musste.

Ich muss doch mitgehen und sagen, was ist der Kundenbedarf? Was sind die neuen Anforderungen? Denken Sie an die ESG-Thematik, denken Sie an Cyber, an Risiken. Das sind ja alles komplett neue Anforderungen, die unsere Kunden haben. Ich kann nicht einfach nur eine neue Technologie auf Altes werfen. Darum hat dieser Mindset so eine Bedeutung.

Wenn jemand vorne nicht anders denken kann, weil er es nicht gelernt hat, weil er gar nicht weiß, welche Möglichkeiten er durch neue Daten und neue Technologien hat, dann werden wir zwar viele neue Technologien implementieren, blöderweise aber nur Altes abbilden. Und dann sind wir alle immer sehr enttäuscht, dass das die Effekte nicht bringt und dass es uns gar nicht schneller und besser macht. Deshalb muss an diesem Denken vorne angesetzt sein.

Und es startet nun einmal mit dem Denken, mit Menschen, damit, dass die andere Impulse bekommen und von vorne aus der Kundensicht auf Themen schauen. Deshalb macht diese Investition in Leute, sich mit den Technologien auseinanderzusetzen, neue Impulse anzunehmen und zu verstehen, dass es darum geht, Sachen von Beginn an anders zu denken, den Unterschied. Dann greift auch neue Technologie und dann können wir auch unsere alten Dinge abschalten. Wirklich ein Kernthema ist, muss ich sagen, Legacy, Legacy, Legacy.

Wir können nicht parallel fünf Welten bedienen, sondern müssen irgendwann den Zopf des Alten abschneiden. Aber eben nur dann mit Effizienzen und effektivem Neuen, wenn Sie vorne anders denken. Das ist das A und O und es startet mit Menschen. Menschen müssen verstehen, dass andere Bedürfnisse da sind, andere Bedarfe, eine andere Art, wie ich ein Produkt definiere, eine andere Art, wie ich Prozesse schneide. Brauche ich jeden kleinen Wasserhahn, von dem ich in der Vergangenheit immer geglaubt habe, dass ich ihn brauche? Nein, den brauche ich nicht.

Aber diesen Mut bekommen Sie nur, wenn Leute ausgebildet sind für das, was einen Unterschied macht. Das kommt nicht von alleine. Das kann ich sehr klar in unserer eigenen Welt sagen. Wir haben dieses Jahr alleine schon knapp fünfhundert Underwriter geschult. Und zwar nicht nur, wie bediene ich ein neues technisches Pricing Tool? Sondern was heißt Agilität? Was heißt eine neue Führung darin? Wie erlaube ich, dass ich mich an der Sales- und an der Vertriebsfront anders aufstelle? Welche Daten habe ich zum Verwenden?

Sie müssen das immer umfassend anschauen, wenn Sie Leute auf die neue Welt ausrichten wollen. Es geht nicht darum, nur punktuell oder einzeln zu schulen, sondern es ist ein umfassendes Konzept. Schlicht, dass die Leute sich wohlfühlen in dieser neuen Art, zu arbeiten. 11:05

 

Benjamin Zühr: Das kann ich total nachvollziehen. Ganz ehrlich gesagt, ich habe diese Erfahrung auch schon gemacht, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Es ist absolut so. Wenn es nicht gelingt, die Mitarbeiter oder die Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen auf die Reise, dann kann man eine noch so gute Technik haben, am Ende wird der Change-Prozess sehr schwer sein oder scheitern.

Man muss es vor allen Dingen schaffen, ein Verständnis für die neue Welt herzustellen. Das Haus AGCS hat natürlich eine Tradition. Es sind Prozesse, die wahrscheinlich schon seit Jahren, teilweise Jahrzehnten gelebt werden von einzelnen Kolleginnen und Kollegen, von Mitarbeitern. Ist es wirklich nur Change oder ist es die Veränderung eines Geschäftsmodells, wie ich diesen Change aktiviere bei den Mitarbeitern? Wäre es nicht einfacher, einen Versicherer neu zu gründen neben der AGCS? Der hätte vielleicht ein deutlich moderneres oder neueres Geschäftsmodell bezogen auf die heutigen Bedürfnisse der Kunden und man könnte auf der grünen Wiese etwas aufzubauen. Wie sehen Sie das?

 

Bettina Dietsche: Wie sehe ich das? Auch auf einer grünen Wiese müssen Sie genau das mitbringen. Sie müssen das Geschäftsmodell verstehen, das wir haben. Wir versichern komplexe Risiken auf der ganzen Welt für globale Kunden, für globale Corporates, die eine Notwendigkeit haben, ihre Geschäfte weltweit zu bedienen. Das wird ja nicht weggehen. Was wir erzielen wollen, ist, dass wir diesen Kundenbedarf abbilden können. Es ist für uns wirklich eine tolle Möglichkeit, zu sagen, wir sind in dreißig Ländern aktiv. Ich kann sowohl einen großen Konzern wie BMW als auch irgendjemand anderen weltweit bedienen, weil wir weltweit sind. Dieses Geschäftsmodell wird per se nicht weggehen. Deshalb hadere ich so ein bisschen.

Wird es einfacher sein, nur weil man glaubt, man baut etwas auf der grünen Wiese? Das glaube ich nicht. Die Veränderung haben Sie trotzdem, weil Sie auch auf einer grünen Wiese nur erfolgreich sein werden, wenn Sie sich mit diesem neuen Mindset auf die Welt einlassen. Was sind die neuen Anforderungen? Was ist das, was der Kunde braucht? Was ist das Produkt, das vielleicht nicht fünfhundert Schnörkel hat und in jedem Land anders sein muss? Was sind globale Prozesse? Wie kann ich das alles aufgreifen? Auf der grünen Wiese müssen Sie das ebenso designen wie in dem Veränderungsprozess, durch den wir ja auch gehen. Sie brauchen diesen Mindset, diese Kultur, dieses Offensein dafür, zu fragen, was macht einen Unterschied für unseren Kunden? Wie bediene ich den am besten? Was bringt einen Nutzen für unseren Kunden und für uns? Wir wollen am Ende ja auch Geld verdienen. 14:22

 

Benjamin Zühr: Klar. 14:24

 

Bettina Dietsche: Diesen Mindset brauchen Sie, egal ob Sie frisch-fröhlich alleine auf der Wiese starten oder ob Sie umbauen. Wenn Sie den nicht haben, können Sie auch auf der grünen Wiese nichts wirklich Tolles erreichen. Sie werden im Zweifel auch Altes abbilden, selbst auf einer grünen Wiese. Veränderung ist hier, um zu bleiben. Wir werden nicht mehr aufhören, in Veränderung zu leben. Wir müssen uns alle davon verabschieden, dass wir in statischen Geschäftsmodellen sind. Dieses Adaptieren, immer wieder zu hinterfragen, ist es das noch, was den Nutzen bringt für den Kunden, wird bleiben.

Wir alle kennen die Geschäftsmodelle, die sehr erfolgreich waren und innerhalb von zwei, drei Jahren auf einmal auf dem Markt nicht mehr nachgefragt wurden. Wenn Sie nicht den Mut haben, sich ständig und immer zu hinterfragen, ist die Gefahr sehr groß, dass jemand das für Sie übernimmt. Es würde Ihnen nicht helfen, alleine auf der grünen Wiese zu denken. Ich glaube, es ist viel wichtiger, dass wir als Unternehmen den Mut haben, ständig und immer Veränderungen als etwas Positives zu umarmen. Das zu etablieren, was einen Unterschied macht für unsere Kunden, und mutig zu dem zu stehen, was Tradition ist. Ich möchte Ihnen ganz ehrlich sagen, Tradition ist nichts Schlechtes.

 

Benjamin Zühr: Nein, absolut nicht.

 

Bettina Dietsche: Eine Tradition mitzunehmen und zu sagen, das ist eine moderne Tradition, die bleibt. Und die wollen wir für unsere Kunden sein. Wir wollen da sein, wir wollen Bedürfnisse aufnehmen, wir wollen sie global bedienen. Das ist gute Tradition und an der sollten wir festhalten. Technologie ist nicht etwas, was die Tradition in Gefährdung bringt, sondern sie wunderbar unterstützt, wenn sie richtig eingesetzt ist.

Vor allen Dingen auch von den Mitarbeitern angenommen und nicht als Bedrohung gesehen wird, sondern als Möglichkeit, einen Unterschied zu machen, auch gegenüber Competitors. Das ist das, was wir gerne als Geschäftsmodell der Zukunft sehen wollen, indem wir agieren, indem wir immer hinterfragen, machen wir das Richtige? Liefern wir diesen Beitrag? Können wir unseren Kunden zeigen, warum Sie uns vertrauen sollten und nicht jemand anderem? 16:41

 

Benjamin Zühr: Den Ansatz finde ich total spannend. Es hört sich richtig an, auf Basis von bestehenden Werten und Traditionen etwas Neues zu formen. Ich persönlich sehe bisher häufig die Schwierigkeit darin, dass es der Branche nicht gerade schlecht geht. Natürlich ist ein Unterschied zwischen Makler und Versicherer. Trotzdem muss man insgesamt sagen, dass es der Branche nicht schlecht geht. Der Veränderungswille in Zeiten, wo es einem gut geht, ist ja immer nur bedingt da.

Das erlebe ich gerade in mittelständischen Unternehmen und erachte es als einen Riesenfehler. Gerade, wenn es einem gut geht, muss man den Mut haben, die Veränderung anzustoßen. Aber so, wie ich Sie verstehe, sind Sie total im Prozess, total im Flow. Sie gehen das wirklich konsequent an, indem Sie versuchen, die Mitarbeiter mitzunehmen in diesem Prozess. Sie betrachten nicht nur den technologischen Aspekt, sondern auch den Aspekt des Personals und der Personalentwicklung, wie sie benötigt wird, um zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können. 18:01

 

Bettina Dietsche: Ja, unbedingt. Ich muss fairerweise sagen, wir sind hier wirklich durch toughe Jahre gegangen und gehen die auch noch. Aber Sie haben recht. Natürlich ist es umso schwieriger, wenn Sie in einem guten Set-up sind. Dann ist die Bereitschaft zur Veränderung für viele sehr viel schwieriger, wie wenn Sie das nicht sind. Ich glaube, dass das ein Zeitfaktor ist. Wir müssen akzeptieren, dass wir permanent im Wandel sind, aber dass Wandel nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss, wenn man ihn richtig umarmt. Das ist für mich ähnlich wie die Erfahrung aus Covid. Covid ist am Ende eine fürchterliche Erfahrung für uns als Gesellschaft weltweit.

Aber ich muss trotzdem sagen, auch hier haben wir Erfahrungen gemacht, die wir sonst nicht gemacht hätten. Was lernen wir daraus? Wenn Sie das richtig einsetzen, dann sind es an manchen Stellen vielleicht sogar Quantensprünge, die Sie sonst gar nicht erreicht hätten. Das ist das, was ich für uns mitnehme. Es ist immer Wandel und es geht darum, wie wir das umarmen und wie wir unsere Leute mitnehmen auf der Reise. Am Ende glaube ich nach wie vor, der Mensch macht einen Unterschied, aber mit der Technologie und nicht mehr ohne.

 

Benjamin Zühr: Ja, da gebe ich Ihnen total recht. Wir hatten in dem Podcast, den wir Anfang 2021 zu dem Thema aufgenommen haben, gesagt, heute sprechen wir von Underwritern, die sich vor allen Dingen auf die Risikobewertung fokussieren. In den meisten Fällen sind es Business-Analysten oder System-Administratoren, die für die Umsetzung der Digitalisierung im technischen Sinne zuständig sind. Wir haben die Annahme getroffen, dass das verheiratet werden muss. Wir haben die Rolle erfunden, dass der Underwriting-Analyst eine Kombination aus Fachexperte und Business-Analyst ist, also ein Mensch, der aus der Fachlichkeit heraus das System weiterentwickeln kann.

Wie sehen Sie das Underwriting, des Rolle des Underwriters in fünf bis zehn Jahren? Wie wird sich das entwickeln? Wird es so kommen, wie wir angenommen haben, oder wird es doch anders kommen? Das würde ich mich interessieren. 20:39

 

Bettina Dietsche: Das ist eine gute Frage. Ich würde vielleicht sogar noch etwas aggressiver darauf schauen. Ich glaube, dass die Rolle des Underwriters insbesondere für junge Underwriter, die dazukommen, geprägt sein wird durch Daten, Daten, Daten. Das heißt, Sie brauchen so etwas wie einen Data Analyst oder einen Data Engineer mit dazu, jemanden, der die Kombination aus Daten und Technologie mit dem verbindet, was einen Underwriter ausmacht, die Erfahrung, Risiken zu bewerten.

Das Tolle ist, dass er nicht nur auf einen Erfahrungsschatz der Vergangenheit zurückgreifen kann, sondern die ganzen Dateneckpunkte, die wir durch externe Daten hinzubekommen und mehr und mehr verwerten können, ganz gezielt nutzt mit der eigenen Erfahrung. Je mehr Affinität in Richtung, wie ich Daten verwende, welche Datenanalysen, welche Intelligence ich aus Daten ziehen kann, desto erfolgreicher wird der Underwriter in der Zukunft sein. Es geht nicht darum, ihn zu ersetzen, sondern darum, den Faktor Mensch und seine Erfahrung, die er nach wie vor als Mensch mitbringt, beizubehalten und eloquent zu nutzen über die verschiedenen Eckpunkte.

Die Daten, die Technologie, die Möglichkeiten, das auszuwerten und damit umzugehen, macht sicherlich das zukünftige Profil aus für einen Underwriter. Ich verstehe Ihren Punkt in Richtung Business-Analysten. Das ist ein Schritt. Ich glaube, es wird mehr und mehr auch in Richtung Data-Analysten gehen, die dann hier eine Rolle übernehmen. 22:25

 

Benjamin Zühr: Es ist spannend, dass das Underwriting und die Risikobewertung immer stärker technologisch unterstützt werden. Es wird immer stärker die Aufgabe des zukünftigen Underwriters oder Data-Analysten oder einer Kombination aus beiden, die Logik dahinter aufzubauen. Das halte ich für spannend. Letztendlich bedeutet das ja auch eine komplette Anpassung von Ausbildungsprogrammen.

 

Bettina Dietsche: Absolut.

 

Benjamin Zühr: Die Anforderungen werden andere an die Ausbildung. Heute ist es der klassische Versicherungskaufmann. Wir hatten das im KFZ-Bereich. Da sind wir vom KFZ-Mechaniker zum KFZ-Mechatroniker gekommen. Vielleicht werden wir auch vom Versicherungskaufmann zum Versicherungstechniker werden. Ich weiß es nicht. Aber das sind Skills, die ganz neu über Ausbildungsprogramme beigebracht werden können. Ich verstehe Sie. Neben dem technischen Datenschwerpunkt, dem Analysten und dem prozessualen Schwerpunkt wird das wahrscheinlich eine große Rolle spielen. Sehen Sie noch andere Skills, die zukünftig wichtig sind? 23:51

 

Bettina Dietsche: Ja, unbedingt. Das geht auch in die Richtung, sich wohlzufühlen in einem agileren Set-up, wie zum Beispiel Technologie entwickelt wird, eingeführt wird. Nicht mehr aus diesem Traditionellen, irgendeiner definiert einen Demand oder einen Bedarf. Dann wirft er es über den Zaun und dann kommt ein Techniker. Der arbeitet ein Jahr daran und kommt zurück. Und dann ist jeder unhappy, weil das, was da herauskommt, nicht das ist, was man sich gewünscht hat. Das ist schon sehr viel die Erfahrung, die wir gemacht haben über diese großen Veränderungsprogramme, die speziell durch IT oder Technologie unterstützt sind.

Das Umgehen, dass Sie in agileren Projekten Teil eines gesamten Teams sind, das miteinander stetig und immer sagt: „Das braucht es. Lass uns mit dem starten! Wir lassen das wachsen.“ Wie sind die Failure-Erfahrungen? Das ist auch eine ganz wichtige Sache. Es gibt halt Dinge, die man sich gut gedacht hat und die leider doch nicht funktionieren. Dann den Mut zu haben, zu sagen: „Nein, dann stoppen wir hier, beerdigen das und gehen auf etwas Neues.“ Das sind alles Kulturfragen, wie man dynamischer mit Entwicklungen umgeht. Und das ist nicht jedermanns Sache, geschweige denn hat es jeder gelernt. Gar nicht unbedingt, wenn Sie im Underwriting sind.

Diese Definition des Geschäfts und dieser agilere Umgang, wie man etwas entwickelt, ist auch eine Kompetenz, die wir stark trainieren. Es geht eben nicht nur um eine fachliche Kompetenz, sondern darum, sich in dieser Dynamik der neuen Welt sich wohlzufühlen und da ein Teil eines Teams zu sein. Deshalb ist es für mich so ein rundes Paket, dass man wirklich hinschauen muss, was braucht jemand an technischer Kompetenz? Da gehören Daten und diese Businessprozess-Thematik dazu. Was braucht er an kultureller Kompetenz? Auch das ändert sich ja.

Wir wollen alle weg von diesen fürchterlichen Hierarchien hin zu dynamischeren Teams, in denen die Leute wirklich empowert sind. Den Leuten das Vertrauen zu geben, dass sie ihre Kompetenz zeigen dürfen und es nicht immer durch fünf Hierarchien hoch und hinunter abgesegnet bekommen. Das sind alles kulturelle Veränderungen, die wichtig sind, weil nur dann die einzelnen Elemente erfolgreich zusammenkommen. Deshalb ist das Training wirklich sehr mannigfaltig über verschiedene Disziplinen. Ich glaube, nur dann bringen wir den Erfolg für die Leute, wenn sie sehen, es ist nicht eine eindimensionale Sicht auf den Menschen, sondern die verschiedenen Aspekte werden berücksichtigt. 26:36

 

Benjamin Zühr: Sie hatten am Anfang des Podcasts das Wort Upskilling in den Mund genommen. Ist es das, was Sie damit meinen?

 

Bettina Dietsche: Ja, das ist es, was damit gemeint ist. Es geht darum, jemandem zuzugestehen, dass sich sein Profil, die Anforderung an diese Rolle ändert und so schnell ändert. Es bedarf, aus verschiedenen Blickwinkeln zu schauen, was braucht jemand? Das ist ja nicht bei jedem das Gleiche. Sondern man muss wirklich hinschauen und fragen, wo steht jemand? Was ist sein Werdegang? Was hat er getan? Will er in gewissen Segmenten weiterwachsen?

Wir bieten zum Beispiel auch Job Swaps an. Er kann sagen: „Nein, ich mache einmal ganz etwas anderes, um die Perspektive zu wechseln.“ Das sind alles Modelle, wo ich glaube, die werden mehr und mehr kommen, weil sie zeigen, dass das Lernen nicht aufhört. Wir haben noch manchmal so altmodische Bilder, dass man einmal im Jahr auf ein Seminar geht und dann ist man schon schlau genug für den Rest. Das ist Nineties. Das ist nicht mehr das, was wir brauchen.

Wir brauchen die Mentalität, dass Lernen zu uns gehört, jeden Tag und immer, und es ist in Ordnung so. Es ist auch wichtig, dass man selbst Zeit für sich findet. Wann will ich was lernen? Wann interessiert mich was? Wie kann ich mich selbst weiterbilden? Das ist wirklich ein Geben und ein Nehmen, finde ich, aus einer Unternehmenssicht. Ich sehe, dass die Talente oder die Mitarbeiter, die das annehmen, enorme Sprünge für sich selbst machen. Die kommen in eine andere Zufriedenheit und stehen auch mit sich sehr gut. Und wir alle wissen, wenn man mit sich selbst gut steht, dann macht man meistens einen guten Job. Deshalb gehört das einfach dazu. Es gehört dazu, dass das Lernen Teil unseres Lebens bleiben wird. Und es ist egal, ob Sie zwanzig sind, ob Sie fünfzig sind oder ob Sie kurz vor der Rente stehen. Lernen hört nicht auf.

 

Benjamin Zühr: Absolut richtig. Zum Thema zwanzig, wo sollte zukünftig der Ausbildungs- oder Studienschwerpunkt bei Menschen jüngeren Alters liegen, die sich für die Versicherungsbranche interessieren? Was würden Sie sagen? Bisher war es ja häufig Mathematik oder BWL, um einen Klassiker zu nennen. Glauben Sie, dass es zukünftig eher Menschen sein werden, die vielleicht aus technischen Studiengängen kommen und danach ins Underwriting gehen? Wo wird da der Trend hingehen? 29:19

 

Bettina Dietsche: Ich glaube, dass diese Bereiche, die Sie gerade genannt haben, Betriebswirtschaft, Mathematik oder andere, bestehen bleiben werden. Und es ist auch gut und richtig so. Ich glaube nur, dass so ein eindimensionales Lernen nicht mehr ausreichen wird, und zwar egal, aus welchem Studienfach Sie kommen. Ich selbst kam aus BWL mit dem Schwerpunkt Tourismus. Ich dachte immer, mein Arbeitgeber des Lebens ist die Lufthansa. Die ist es nie geworden, außer dass ich meine Diplomarbeit da gemacht habe.

Ich bin in die IT gekommen. Ich habe mich durch die tiefen Niederungen der ITs dieser Erde gequält und bin heute da, wo ich bin. Was ich damit sagen will, ist, dass eine Ausbildung ein Fundament ist. Und das ist immer wichtig. Vielleicht bringt es auch eine Begabung mit sich, wie analytisch brillant jemand ist oder ob er ein datentechnisches Faible hat. Aber sich darauf auszuruhen, gilt für keinen Job mehr. Es geht darum, sich weiterzuentwickeln, wenn man das möchte, mitzunehmen, was geht, um immer wieder neue Impulse zu sehen. Und dann gibt es die unterschiedlichen Werdegänge.

Was mich mittlerweile mehr und mehr stört, ist, dass wir nach wie vor auf Lebensläufe schauen wie in den Neunzigern. Der muss schön sein, alles muss zueinander passen. Da darf ja nichts drin sein, was nicht so ganz passt. Das ist einfach nicht die Realität. Die Realität ist, dass wir bunte Profile sehen wollen, Profile, die etwas erlebt haben, die etwas erzählen können, die einmal gescheitert sind. Profile, die wissen, wie es ist, wenn man nicht so toll dasteht und sich trotzdem sich wieder das Krönchen richtet, aufsteht und weiterläuft.

Es wird in der Zukunft den Unterschied machen, den Mut zu haben, verschiedene Dinge zu lernen in einem Lebenslauf, mit etwas zu starten, aber dann nicht stehenzubleiben. Jedem jungen Menschen, der startet, kann ich das nur mitgeben. Den Mut zu haben, mit Verschiedenem zu experimentieren, macht einen immer reifer, sensibler und auch sicherlich klarer in dem, was für einen wichtig ist und wo man gut ist. Deshalb würde ich es gerne so lassen. Ich glaube, es gibt nicht das eine Richtige.

Man kann nicht sagen, das ist genau das Richtige. Ich würde den jungen Leuten mitgeben wollen, habt Mut, zu experimentieren, weil euch das in eurem Profil rund macht! Das sind die Leute, die wir sehen wollen, Leute, die eine Meinung haben, die für etwas stehen, die Mut haben. Das ist das, was wir gerne sehen wollen. 31:45

 

Benjamin Zühr: Ja, absolut spannend. Gerade das Segment der Industrieversicherung ist ja nicht ganz unkomplex. Das hatten wir vorhin schon besprochen. Es gibt den einen oder anderen in der Branche, der sich dem ganzen Thema Digitalisierung noch nicht so genähert hat und der Meinung ist, den Bereich der Industrieversicherung kann man nicht digitalisieren. Ich persönlich habe dazu eine Meinung. Ich habe diese Meinung im Podcast schon häufig kundgetan. Nun würde mich natürlich Ihre Meinung dazu interessieren, weil die AGCS ein wunderschönes Beispiel dafür ist, wie man Digitalisierung in der Industrieversicherung und in dem komplexen Geschäft leben kann.

 

Bettina Dietsche: Ich halte es für den größten Mythos dieser Erde, zu glauben, dass man in einem komplexen Geschäft nicht digitalisieren kann. Da kann ich nur sagen, viel Glück auf Ihrer weiteren Reise! Und ich möchte es genauso sehen, weil das nicht so ist. Es ist ein Mythos des Alten, zu glauben, dass man Dinge nicht automatisieren kann, professionalisieren kann, Daten ganz anders auswerten und sogar Effizienzen heben kann.

Ich bin als CEO wirklich jeden Tag mit unseren Operational Issues befasst. Ich könnte Ihnen sofort fünf Dinge nennen, wo wir effizienter werden schlicht deshalb, weil es systemisch besser integrierte Lösungen geben muss. Das heißt, ich bin da sehr klar. Da gibt es gar kein Vertun. Die Digitalisierung ist für alle da. Wer es macht, wird die Zukunft mitgestalten. Wer es nicht macht, wird stehenbleiben. Da bin ich mir sehr, sehr sicher.

Und wir haben uns definitiv dafür entschieden, dass wir besser werden und dass wir alles einsetzen, was wir können. Wir wollen dabei helfen, dass wir unser Geschäft besser, sicherer, gezielter, mit weniger Volatilität und mit mehr Kundenfokus zeichnen wollen. 33:57

 

Benjamin Zühr: Ich bin auch fest davon überzeugt, dass es einen Weg geben wird, der vielleicht nicht genau der gleiche Weg ist, den wir heute gehen. Aber es wird einen Weg geben und es wird Gewinner geben, nämlich genau die, die sich dieser Herausforderung stellen und entsprechend kreativ und mutig sind, um ihr Geschäftsmodell anzupassen. Und es wird Verlierer geben.

Ich glaube persönlich, es wird viele Verlierer geben, die auf dem beharren, was sie heute tun, und eben nicht den Mut und die Bereitwilligkeit haben, entsprechende Veränderungen in ihrer Organisation herbeizuführen. Frau Dietsche, ich möchte mich ganz herzlich bedanken, dass Sie heute unser Gast waren.

Ich fand es extrem spannend, Ihre Meinung zu hören zu den unterschiedlichen Themen. Ich fand es extrem toll, dass wir dieses Thema Personal so intensiv beleuchtet haben im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Ich glaube, dass das auch für unsere Zuhörer extrem spannend ist. Vielleicht regt es den einen oder anderen doch zum Umdenken an. Ich glaube, das würde dem einen oder anderen gut tun. 35:14

 

Bettina Dietsche: Da haben Sie völlig recht. Danke, dass ich hier sein durfte!

 

Benjamin Zühr: Auf bald! Tschüss!

 

Bettina Dietsche: Tschüss!

Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.

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