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ID#45

14.07.2022

Anette Rakow, Ulrich Kütter, DB Schenker: Wer treibt wen in der Industrieversicherung? – ID#45

„Ins Machen kommen, auch wenn es komplex ist, auch wenn es aufwändig ist, eine End-to-end Lösung aufzubauen“. Think big, start small. Wie DB Schenker digitale Lösungen für den eigenen und den Versicherungsschutz seiner Kunden anpackt und treibt, teilen Anette Rakow, Program- and Project Management Transformation & Digitalization und Ulrich Kütter, Head of Global Insurance Solutions im Gespräch mit Toni Klein. Länge 47 Minuten.

Transkript

Toni Klein: Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Episode des Podcasts Industrieversicherung Digital. Mein Name ist Toni Klein. Heute schauen wir wieder auf die Kundenseite in der Industrieversicherung: DB Schenker, einer der weltweit führenden Anbieter von Logistikdienstleistungen. Und ich darf heute gleich mit zwei tollen Gästen von DB Schenker sprechen. Das ist zum einen Anette Rakow und zum anderen Ulrich Kütter. Herzlich Willkommen.

Ulrich Kütter: Vielen Dank, dass wir da sein dürfen.

Anette Rakow: Hallo.

Toni Klein: Hallo, wir haben vor dem Podcast kurz gesprochen und uns entschieden, uns zu duzen. Deswegen freue ich mich, Ulrich und Anette. Ich bin Toni. Ulrich und Anette, könntet ihr bitte euch kurz vorstellen?

Ulrich Kütter: Mein Name ist Ulrich Kütter. Ich bin seit zwei Jahren der Leiter der Versicherungsabteilung von dem Schenker-Konzern. Die Abteilung nennt sich Global Insurance Solutions. Wir sind verantwortlich für die Besorgung des Versicherungsschutzes im Konzern und bieten neue Lösungen für Schenker und deren Kunden an.

Davor habe ich in Düsseldorf bei Berkshire Hathaway Specialty Insurance, einen Versicherer, mit einem Team von anderen mitgegründet. Davor war ich Head of Marine bei der Allianz Global Corporate & Specialty, sowohl für den Bereich DACH-Region, als auch Central und Eastern Europe. Davor war ich bei AIG als Head of Marine bei Skandinavien. Davor war ich noch bei Kühn + Nagel zehn Jahre im Versicherungskonzern.

Toni Klein: Anette, wie war dein Werdegang?

Anette Rakow: Mein Name ist Anette Rakow. Ich bin auch seit zwei Jahren Teil der Schenker Familie. Ich habe davor knapp zwanzig Jahre Versicherungshintergrund. Bei Schenker betreibe ich im Schwerpunkt Projektmanagement für Themen wie Digitalisierung, aber auch Organisation und Kommunikation. Für alles, was in diesen Bereich fällt, bin ich zuständig. Zudem begleite ich als Corporate Manager die Sparten Property und Aviation. Davor war ich fast 14 Jahre im Bereich Operational Excellence tätig. Sprich: Projektmanagement um Effizienzen zu steigern, Kunden zufriedener zu stellen, alles was dazu gehört. Seit ein paar Jahren arbeite ich nun agil.

Es arbeitet heutzutage keiner mehr mit der alten Wasserfallmethode, sondern es arbeiten alle agil. Davor habe ich fast zehn Jahre Sales und Distribution, also normaler Versicherungsbetrieb, gemacht. Bei der Allianz konnte ich fast in der kompletten Versicherungswelt Erfahrung sammeln und die letzten fünf Jahre auch bei der AGCS. Dort hatten wir auch die Freude, uns kennenzulernen, Ulrich und ich. Da hatten wir die Freude, schon große Projekte zusammen zu stemmen. Und was lange währt wird endlich gut: Seit zwei Jahren sind wir zusammen bei Schenker. 3:08

Toni Klein: Jetzt habt ihr beide offensichtlich einen langen Background in der Industrieversicherung. Hilft euch das jetzt bei Digitalisierungsvorhaben bei DB Schenker oder nicht, Anette?

Anette Rakow: Das ist mal so und mal so. Also auf der einen Seite ist es natürlich hilfreich, weil mir durchaus bewusst ist, mit welchen Komplexitäten ein Versicherer zu agieren hat. Ich habe in der AGCS versucht, interne Prozesse effizienter zu gestalten, den Kunden glücklicher zu machen, mir ist durchaus bewusst, wie unfassbar komplex teilweise Industrieverträge sein können. Da kann ich nicht einfach Standardisieren und sagen: Ab morgen läuft es digital.

Das heißt, ein gewisses Verständnis ist vorhanden. Andererseits ist es durch meinen Wechsel auf die andere Seite der Macht, frustrierend zu wissen, was alles möglich wäre, wenn man wollte. Als Kunde ist man da aber in einer gewissen Abhängigkeit von der Bereitschaft des Versicherers. Jetzt arbeiten wir nicht nur mit einem Versicherer und zusätzlich nicht nur auf der Versicherungsvertragsebene, sondern auch auf Projektebene. Somit es schon manchmal schwierig, was machbar sein könnte und was wirklich passiert, unter einen Hut zu bringen. Unter dem Strich hebt es das Verständnis und lässt mich geduldig sein, macht die Situation aber nicht besser.

Toni Klein: Welche Digitalisierungsvorhaben machen euch gerade am meisten Spaß?

Ulrich Kütter: Wir haben ein Projekt, eine Transformation, ins Leben gerufen, die sich Vendurance for Profit nennt. Da geht es um den Verkauf von Marine-Versicherungen. Da sind sehr viele end-to-end Digitalisierungsprojekte enthalten. Das heißt: Wo ist ein Touch Point eines Kunden? Wo fängt der an, mit Schenker zu kommunizieren, auf digitalen Plattformen oder verbal? Wo endet das dann im Versicherungsprodukt, das wir den Schenker-Kunden anbieten. Das geht bis hin zum Schadenfall, der dann auch ausbezahlt werden muss. Da versuchen wir die diversen Stränge, die es auch in der Transportversicherung oder der Verkehrshaftungsversicherung gibt, so gut es geht mit End-to-End-Prozessen zu verknüpfen, sodass es für den Kunden sehr einfach ist.

Dahinter deckt allerdings eine komplexe Machinery global die Versicherungsanforderung ab. Das ist natürlich in einem Großkonzern ein größeres Projekt. Aber das haben wir in mehrere Scheibchen geschnitten und Anette unterstützt das sehr tatkräftig mit ihrer Expertise im Projektmanagement. Das macht uns sehr viel Spaß, weil am Ende ein visionäres Produkt herauskommen soll. In diesem Prozess sind wir gerade mittendrin. Das macht großen Spaß. 6:03

Toni Klein: Das ist doch eigentlich der Traum für jeden Industriekunden: ein End-to-End-Prozess mit seinen Kunden und mit allen Risikodeckungsbeauftragten. Ich stelle mir das sehr komplex vor. Wie fängt man ein solches Projekt an? Wie priorisiert man dabei? Wie macht ihr das? Mit wem sprecht ihr zuerst?

Anette Rakow: Es steht außer Frage, dass es unfassbar komplex ist. Das macht es aber auch spannend, weil ich verschiedene Stakeholder habe, mit denen ich in das Gespräch gehe und sie frage: Was ist deine Anforderung? Was sind deine Bedürfnisse? Wird die Versicherung über einen Schenker-Mitarbeiter verkauft, habe ich ganz andere Ansprüche an den End-to-End-Prozess, als wenn der Kunde es online abschließt.

Dann ist die Frage: Wie viele Systeme innerhalb von Schenker haben wir? Aufgrund der Historie von Schenker sind das nicht nur zwei. Das heißt: Wie wird die technische Umsetzung gestaltet? Welche Daten fließen von wo nach wo? Welche Daten hat Schenker schon, nutzt sie aber momentan anders? Wir für die Versicherung haben völlig andere Ansätze als Schenker-interne Analysen.

Im Vergleich zu einem Versicherer, sind wir zwar eine Versicherungsabteilung, aber in einem Logistikkonzern. Das heißt, der Fokus dieses Konzerns ist nicht die Versicherung, sondern die Logistik. Wir müssen also immer, liebevoll gesagt, darum kämpfen, dass wir bei den IT-Entwicklungen, die bei Schenker sehr stark sind, auch gehört werden. Das klappt inzwischen immer besser, weil Ulrich und ich diesbezüglich sehr anstrengend sein können.

Aber dann habe ich immer noch keine Verbindung zu den Versicherern. Wir haben auch nicht nur einen Versicherer, sondern wir haben in verschiedenen Regionen und verschiedenen Ländern verschiedene Versicherer mit verschiedenen Konzepten. Wenn du mich nach Spaß fragst: Natürlich macht es Spaß, innovativ, disruptiv zu denken und etwas wirklich Geniales auf die Straße zu bringen und eine Vision zu haben. Der Spaß wird manchmal aufgrund interner Prozesse gebremst.

Das ist manchmal ein bisschen schwierig. Der Versicherer kann auch erst einmal nicht so begeistert sein.
Dann gibt es aber auch interne Projekte, von Schenker selbst initiiert, bei denen Schenker-Systeme angepasst werden. Da bekomme ich recht schnell ein Ergebnis. Dann sind zwar der Prozess und der Change nicht so spannend, aber ich bekomme das Ergebnis schneller und ich habe etwas in der Hand, was sich geändert hat. Also der Spaß ist unterschiedlich verteilt. Aber bisher ist es so: Es gibt kein Projekt, das mir keinen Spaß macht. Manchmal ist die Kommunikation ein bisschen langwierig. Aber Spaß haben wir bei jedem Projekt. 8:32

Ulrich Kütter: Das ist richtig.

Toni Klein: Wie IT-affin seid ihr beide eigentlich selbst?

Anette Rakow: Definiere IT-affin.

Toni Klein: Könnt ihr coden?

Anette Rakow: Nein.

Ulrich Kütter: Nein.

Toni Klein: Wenn ihr bei DB Schenker mit der IT-Abteilung sprecht, auf welcher Basis unterhaltet ihr euch und wie vermittelt ihr Anforderungen?

Anette Rakow: Am Anfang ist das tatsächlich ein großes Thema gewesen, weil, ich persönlich meinen Schwerpunkt auf Business-Themen habe. Ich weiß, wie ich das am Ende haben will. Ich habe mich grundsätzlich bei jedem vorgestellt mit: Ich bin kein IT-ler. Ich bin kein Nerd. Wir brauchen hier nicht über Systemsprache zu sprechen. Wobei ich schon weiß, was beispielsweise ein API Gateway ist. So ist es nicht. Aber tiefer gehendes Fachwissen habe ich nicht.

Aber zumindest bei Schenker kann ich sagen, es dauerte zwei Minuten in der Annäherung und dann hatten wir eine Sprache. Das ist extrem gut gelaufen. Wir erklären, was wir uns vorstellen können. Wir haben fantastische Business Requirement Engineers, die uns dabei unterstützen. Die übersetzen das in die Programmiersprache. Und das funktioniert zum Beispiel für diese Rater-Geschichte extrem gut. Ich bin also kein IT-ler, kein Nerd. Aber trotzdem funktioniert die Kommunikation.

Ulrich Kütter: Ich kann vielleicht noch hinzufügen: Es gibt diverse IT-Abteilungen und Verantwortlichkeiten innerhalb des Schenker-Konzerns. Das heißt, es sind unterschiedliche Herausforderungen für einen Landverkehr als für Kontraktlogistikabteilungen oder See- und Luftfracht. Das heißt, da haben es mit mehreren zu tun und das versucht wir auch, so gut es geht, effizient zu koordinieren. Das funktioniert aufgrund der diversen Abteilungen, die es dort gibt, sehr gut.

Beispielsweise gibt es auch eine Abteilung Global Digital Solutions. Es ist innerhalb des Konzerns sehr viel Fachwissen vorhanden. Auch wenn man über IoT- und Track- und Trace-Thematiken redet, findet man überall einen Digitalisierungsexperten.

Anette Rakow: Allerdings findet man keinen Versicherungsexperten bei den IT-lern. Aber das macht nichts, denn wir ergänzen uns ganz gut.

Toni Klein: Das wäre meine Frage gewesen: Ist es denn auch andersherum so? Wie viele IoT-Experten habt ihr, die sich auch im Versicherungsbereich auskennen?

Anette Rakow: Wenn wir über Challenges sprechen, ist das tatsächlich eine. Deshalb haben wir angefangen, auf dem IT-Markt Kollegen zu suchen, die auch Versicherungs-Background haben, um unsere eigene IT-Mannschaft zu unterstützen. Das ist natürlich bei den momentanen Marktgegebenheiten nicht das Simpelste auf der Welt, wirklich gute Leute zu finden. Aber hier hat Schenker erkannt: Da müssen wir investieren.

Das was wir machen wollen ist gut. Das hat volle Unterstützung. Aber es ist auch klar: Wenn ich nicht die passenden Ressourcen und Kapazitäten dafür habe, dann bleibt es für immer eine Vision. Also: Die Kollegen geben sich unfassbar viel Mühe. Aber wir sind tatsächlich dabei, uns dieses fehlende IT-Versicherungs-Know-How zu besorgen. 11:47

Toni Klein: Das ist das alte Thema: die Schnittstelle zwischen IT und Versicherungsfachlichkeit. Beziehungsweise, das Thema treibt auch die Industrieversicherungsunternehmen und die Maklerunternehmen um: Wie sich Rollendefinitionen für Mitarbeiter ändern werden? Wie viel Datenanalyse-Know-How muss ein zukünftiger Underwriter im Vergleich zu zehn oder zwanzig Jahren mitbringen? Wie sind zum Beispiel Karrierewege? Mal allgemein gesprochen: Wie empfindet ihr den aktuellen Stand der Digitalisierung in der Industrieversicherungsbranche?

Ulrich Kütter: Ich würde gerne noch einen Satz zu dem, was Sie davor sagten, ergänzen. Die Rollen verändern sich sehr stark, auch die Rollen der Underwriter. Wie wurde Underwriting früher gemacht? Wie wird es heute gemacht? Da gibt es wirklich viel Veränderung. Was den Stand der Digitalisierung in der Industrieversicherung betrifft, da muss man für den Bereich Logistikkonzern sagen: Als Industrielogistikkonzern ist es wirklich sehr schwer, einen Versicherungspartner zu finden, der das gesamte Spektrum anbieten kann. Den gibt es nicht.

Das heißt, die großen Versicherungsgesellschaften sind zum Großteil mit Digitalisierungsprojekten intern beschäftigt. Für Logistikkonzerne gibt es vielleicht eine Online-Transportversicherungslösung und vielleicht auch eine Zertifikatserstellungslösung. Aber richtige Digitalisierung für einen Logistikkonzern gibt es nicht und vor allem nicht diese End-to-End-Lösungen. Das ist einfach nicht vorhanden. Da bauen wir selber daran, dass wir die Lösung intern erarbeiten. Das ist also der Unterschied: Stand der Industrieversicherung für Logistikkonzerne noch nicht genügend. 13:43

Toni Klein: Ein Grund, den ich auch schon hier im Podcast gehört habe, könnte sein, dass bei großen Unternehmen, Industrieversicherungen, die Lösung und die Risiken so komplex sind und auch die Deckung so komplex ist, dass eine Standardisierung, die dafür notwendig ist, noch nicht möglich ist oder, teilweise visionär, gar nicht gesehen wird. Da wird immer auf die Gewerbeversicherung verwiesen: klein, überschaubar, auch agil. Die großen und komplexen Lösungen wären nicht digitalisierbar. Aber wenn ihr das jetzt selber baut, dann geht es doch?

Ulrich Kütter: Also wir versuchen das zumindest. Wir haben den Ansatz think big but start small gewählt. Also fangen wir unten im Kleinen an, indem wir die kleineren Risiken digitalisieren und die aggregieren sich langsam nach oben hoch.
Große Industrieversicherer wollen natürlich immer die großen Risiken und wollen die Akkumulationen sehen. Aber dann bekommen sie immer die Spitzenwerte, die sind für sie von ausschlaggebendem Interesse sind. Das kenne ich aus meiner eigenen Tätigkeit bei Großversicherern auch: Man fokussiert sich darauf. Aber das viele Kleine, das auch viel akkumulieren kann, wird nicht richtig erfasst. Das gehen wir an. Wir machen das in vielen kleinen Schritten und über die nächsten Jahre wird daraus dann ein sehr präzises Build.

Anette Rakow: Die Ausgangsfrage war: Stand der Digitalisierung in der Branche der Industrieversicherung. Wir haben jetzt viel über End-to-End-Prozesse gesprochen, eher auf dem Versicherungsvertragsmarkt und dem Versicherungsmarkt fachlich gesehen. Ich würde jetzt gerne bei disruptiven Entwicklungen beginnen. Wobei sich natürlich die Frage stellt: Wie definiere ich disruptiv? Aber, mit einem Hauch Ironie gesprochen, es wäre schon schön, wenn in der Kommunikation zwischen Industrieversicherer und Kunde, die Möglichkeiten der Digitalisierung weiter ausgeschöpft würden, als es momentan getan wird.

Wir haben zum Beispiel teilweise unheimliche Probleme, spontan globale, zeitlich in einer längeren Frist zurückblickende, Schadendaten zu bekommen. Das heißt, ich muss entweder eine E-Mail schreiben oder jemanden anrufen. Der braucht dann zwischen eins und X Tagen. Dann bekomme ich eine E-Mail. Da ist dann eine PDF angehängt, die hat aber nur Daten für sieben Länder, weil die anderen acht Länder sind möglicherweise über einen anderen Fronter oder ganz anders erfasst. Also fangen wir doch einmal da an, dass die Möglichkeiten, die wir digital haben und die vorhanden sind, da vielleicht einmal ausgeschöpft werden könnten.

Dafür muss ich nicht einmal disruptiv denken. Damit die Kommunikation eine andere ist. Dass dieser Austausch von Wissen, von Daten, von Risiken, von Möglichkeiten qualitativ nochmal eine ganz andere Komponente bekommt, als das was wir jetzt haben. Dafür muss auch nicht alles schnell, schnell gehen. 16:56

Ulrich Kütter: Das kann ich nur unterstützen, weil im Bereich Cargo Insurance sind wir auf die Versicherer angewiesen. Im Bereich eigener innerer Schäden, im Bereich der Self Insured Retention, haben wir eine eigene Schaden-Software, in die global alle Schäden eingegeben werden. Da gibt es also einen guten Standard in einer sehr großen Anzahl. Das ist, sobald man extern mit Versicherern in ein lokales Versicherungsprogramm geht, dann nicht mehr der Fall. Dann ist es so wie von Anette eben beschrieben.

Toni Klein: Ärgerlich.

Anette Rakow: Hier hilft dann, das was du am Anfang gefragt hast: Mir hilft tatsächlich zu wissen, wie die andere Seite, ohne das jetzt wertend zu meinen, arbeitet, um da ein gewisses Verständnis dafür zu haben. Ich kenne das aus meiner Projektsicht. Aufgrund dieser Dinge, die wir selber entwickeln bin ich im Austausch mit Versicherern, mit Industrieversicherern, Rück- oder auch Corporate-Versicherern. Dort passiert intern ganz viel, beispielsweise bei Risk-Analyse-Tools.

Da wird viel Geld hineingesteckt. Das ist sensationell. Es ist nicht so, dass da keine Innovation, keine Digitalisierung stattfindet. Die Frage ist: Könnten wir nicht ein Stück davon verwenden, um sie in die Kommunikation mit dem Kunden zu stecken? Es ist nicht so, dass es nicht da ist. Es ist sehr unterschiedlich fokussiert in den Unternehmen. So ist zumindest meine Wahrnehmung.

Toni Klein: Gibt es da Zusammenarbeitsmodelle? Versucht ihr zum Beispiel von diesen Lösungen, auch inhouse, zu lernen? Gibt es da Erfahrungsaustausche?

Ulrich Kütter: Habe ich in den letzten zwei Jahren beispielsweise über die Schaden-Software noch nicht gemacht. Aber das kann man machen. Eine Schaden-Software dann zu übertragen und in einen Industrieversichererkonzern zu übergeben, das geht natürlich nicht, sondern da werden natürlich die eigenen Schaden-Software-Anwendungen genutzt. Das auf die verschiedenen Länder zu übertragen, ist schwer.

Der effizientere Ansatz für uns ist definitiv, dass man eine eigene Captive nutzt, die Retention nach oben fährt, und dann im Austausch mit den Versicherern sagt: Das ist unser Prozess. Das ist die Transparenz der Daten. Das ist die Datenqualität, die ein Versicherer auch zu würdigen weiß. Es geht dann in das Versicherungsprogramm hinter oder über der Captive. Dann passt das wieder ganz gut zusammen. 19:33

Toni Klein: Also sagt ihr: Die Investitionen sind im Moment da, aber oft nicht in den Bereichen, in denen sie euch unmittelbar nutzen. Beziehungsweise, sie sind zwar an wichtigen Stellen vorhanden, aber es müsste noch breiter gestreut sein und vielleicht andere Prioritäten gesetzt werden. Das ist im Moment ein Hemmnis der Digitalisierung aus eurer Sicht?

Anette Rakow: Das könnte das eine sein, das andere ist tatsächlich, wenn wir über Hemmnisse sprechen, die große Komplexität und zwar egal in welcher Form die Zusammenarbeit stattfindet. Da müssen wir uns nichts vormachen. Die Frage ist: Arbeiten wir alle am gleichen Ziel? Oder: Hat jedes Unternehmen sein Ziel, was es natürlich mit aller Macht verfolgt? Das ist auch richtig. Eine perfekte Situation wäre, wenn wir sagen könnten: Wir alle profitieren von einer globalen Datenaustauschplattform, auf der on demand mit vernünftigen Sicherheitsvorkehrungen die Daten für den Versicherer und für den Kunden, meinetwegen auch für den Makler, zur Verfügung stehen.

Verfolgen wir ein gemeinsames Ziel? Da bin ich mir nicht sicher. Wenn man darüber spricht, dann eigentlich schon, weil alle wollen das Gleiche. Allen wollen Big Data und noch viel mehr. Im echten Leben steht uns vielleicht der eine oder andere wirtschaftliche Egoismus im Weg. Das ist auch nachvollziehbar. Auch die eigenen unterschiedlichen Strategien könnten ein Hemmnis sein: Wir wollen erst da investieren. Die anderen wollen erst da investieren.

Ganz persönlich, glaube ich, ist es auf menschlicher Ebene noch ein Hemmnis, dass zu viele schon MS Teams schon als Digitalisierung ansehen und da noch nicht darüber hinausgegangen sind. Ich kenne genug Kollegen, die sich tatsächlich scheuen, weil sie es nicht wollen, weil sie es nicht können, weil sie es nicht kennen, ich weiß es nicht, dort wirklich den Schritt in digitale Lösungen zu gehen. Vielleicht ist da wirklich ein Generationenwechsel notwendig. Ich halte mich für so eine Generation dazwischen. Ich kann noch SMS, aber ich kann auch schon TikTok. Aber ich glaube, wenn da noch eine weitere Generation kommt, da noch einmal ganz andere Denkansätze und out of the box und ähnliche Ansätze auch möglich sind. 21:48

Toni Klein: Oft ist es auch eine Frage von Vertrauen. Also wenn man auf eine gemeinsame Plattform geht: Wie stellt man sicher, welche Daten wer sehen kann und wer diese bekommt? Mögliche Cyberangriffe könnten auch ein Hemmnis sein. Das hatten wir in einem früheren Podcast schon einmal besprochen. Aber das Vertrauen ist schon da. Die Branche ist eigentlich relativ klein. Ihr agiert natürlich global, da wird es wahrscheinlich ein bisschen größer. Aber die Kollegen und Kolleginnen in Deutschland kennen sich untereinander. Auch in den Unternehmen gibt es vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wenn man das auf die IT übertragen könnte oder auf Datenaustausch, das wäre es dann.

Ulrich Kütter: Ich glaube, Datenqualität spielt dabei eine große Rolle. Wie gut kann man globale Daten tatsächlich zusammenführen? Wie gut sind sie? Das auf globaler Ebene hinzubekommen, ist schwierig. Ich kann mich gut erinnern, dass ich auf der Versichererseite saß und die Kunden gefragt habe: Können Sie mir die Risikodaten denn einmal geben? Dann muss man über verschiedene Layer gehen. Man hat noch einen Versicherungsmakler dazwischen, dem man die Frage stellen muss. Der muss zum Inhouse-Department gehen.

Das Inhouse-Department eines produzierenden Betriebes muss noch zum Logistikkonzern gehen. Der Logistikkonzernabteilungsleiter muss noch zu dem externen Logistiker gehen, bis er überhaupt im Transportbereich an die Daten kommt. Das sind fünf bis sieben Schritte, die dazwischenstehen. Und ich saß dann da und habe, manchmal mit einem Jahr Verzögerung, dann tatsächlich gute Daten bekommen. Mit denen kann man dann so einigermaßen arbeiten. Aber das sind meistens High-Level-Daten und teilweise dann auch schon veraltet.

Und wenn ich in die Historie der Transportversicherung zurückblicke: Da gab es schon Ereignisse, beispielsweise die Tianjin-Explosion oder andere Großwetterereignisse, wo man dann schon mehr hätte wissen sollen und müssen über die Risikodaten. Ich sage: Direkt einen großen Schritt nach vorne zu machen, die fünf Schritte zu überspringen und daran zu arbeiten, dass die Exposure-Daten im tatsächlich auch im Kleinen hochaggregiert werden, das ist eine extrem spannende Aufgabe, die am Ende sogar das Problem der Transportversicherer löst, nämlich Exposure-Daten zu bekommen.

Damit können wir gerne sehr transparent umgehen. Man muss natürlich immer schauen: Bei welchem Kunden darf man was mitteilen? Ist das gestattet oder nicht? Aber die Exposure-Daten den Versicherern am Ende aggregiert geben zu müssen ist durchaus in Ordnung und berechtigt. Dann kommt man auch zu einem genauen Pricing. 24:26

Toni Klein: Gibt es einen Satz rund um die Digitalisierung, den ihr nicht mehr hören könnt?

Anette Rakow:Einen?

Ulrich Kütter: Mehrere, nicht wahr?

Toni Klein: Nur raus damit.

Anette Rakow: Mein Lieblingssatz ist: Dafür haben wir keine Kapazitäten. Weil es ist einfach schwer, gute Leute zu bekommen und die sind dann meistens völlig überbucht. Das ist völlig klar. Der andere ist: Wir arbeiten jetzt agil. Ohne wirklich zu wissen, was agil bedeutet. Aber agil und Digitalisierung sind anscheinend verheiratet. Aber wenn ich zwei Sätze nennen dürfte, dann wären es die beiden.

Ulrich Kütter: Ich hätte noch einen hinzuzufügen und der ist: Wir planen, und wir werden machen, und wir tun und nächstes Jahr könnte und sollte. Im Gegensatz dazu ist es wichtig, dass man ins Machen geht. Auch wenn es komplex ist. Auch wenn es aufwendig ist, eine End-to-End-Lösung aufzubauen. Aber da einmal zu beginnen und verschiedene Bereiche dann auch tatsächlich einmal fertigzustellen. Das ist ein großer Wunsch, anstatt groß zu sein im Ankündigen.

Toni Klein: Habt ihr auch überraschende und positive Momente zu berichten? In denen ihr überrascht wurdet und dachtet: Das war jetzt dufte.

Ulrich Kütter: Absolut.

Anette Rakow: Das gab es durchaus. Es gab das eine oder andere Gespräch mit einem Versicherer, in dem es um die Kollaboration, nicht auf Vertrags- oder End-to-End-Prozessebene, ging, sondern um die gemeinsame Entwicklung oder den Support der Entwicklung von dem, was wir davor haben. Da war ich sehr überrascht. Denn da gibt es sehr offene und sehr innovative Konzepte sowie Kollegen, die dann auch willig und fähig sind, dass man da zusammenarbeitet. Das ist sehr operativ, sehr pragmatisch im Ansatz.

Ohne das böse zu meinen, das trifft man in Deutschland nicht so oft. Das ist vielleicht noch der zu deutsche Ansatz den wir haben. Dieses Hands on, lass uns pragmatisch schauen, wie es vorangeht. Da gab es tatsächlich den einen oder anderen überraschenden Austausch. Wie ich auch schon gesagt habe, wir sind kein Versicherer, und trotzdem überrascht und freut es mich jedes Mal, dass doch unser Vorhaben Schenker-intern so positiv aufgenommen wird und gesagt wird: Da investieren wir jetzt. Das Thema pushen wir jetzt. 26:57

Ulrich Kütter: Das möchte ich unterstützen. Der Vorstand hat im letzten Jahr drei Board-Vorlagen mit einem großen Vertrauensvorschuss unterstützt. Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir das auch mit den Mitteln und Ressourcen umsetzen können, wie es nötig ist. Das ist sehr positiv. Das was man dazu sagen muss: Man sitzt in Logistikkonzernen auf einer Goldmine an Daten und das ist absolut fantastisch. Die Anzahl, Millionen von Shipments, das haben nur ganz wenige. Wenn man diese Daten richtig nutzt, dann ist das ein großer Vorteil.

Zudem kann ich positiv erwähnen: Die Insure-Tech-Szene hat sich auch sehr gut entwickelt. Zwar mehr im privaten Bereich, aber es gibt auch ein paar Anbieter, die auch im Logistik- oder Transportbereich unterwegs sind, und mit denen arbeiten wir zusammen. Jedes Mal, wenn man auf Personen trifft, sei es über MS Teams oder privat, die an ähnlichen Themen arbeiten, ähnlich denken und eine ähnliche, moderne Denke haben, was die Risikodaten betrifft, wie man sie von unten nach oben aggregiert, dann ist das fantastisch. Denn die sagen: Genau das ist die Zukunft. Da arbeiten alle die nächsten zehn, zwanzig Jahre mit sehr viel Spaß daran und verändern auch die Versicherungslandschaft im Logistik- und Transportversicherungsbereich.

Das spornt unheimlich an. Es gibt auch den einen oder anderen Industrieversicherer, der sagt, sie haben das erkannt, dass die Daten in einem geschützten Bereich sein müssen. Wir werden niemals unsere Daten komplett irgendwo aus der Hand geben, sondern wir würden sie in einem geschützten Bereich, anonymisiert vielleicht, zu einer Analyse geben. Aber ansonsten muss man damit sehr vorsichtig umgehen. Aber das macht Spaß, dass es immer mehr Leute gibt, die ähnlich denken. 28:54

Toni Klein: Lass uns mal über das zentrale Thema, Datenstandards und Datenaustausch, reden. Es geht darum Daten zu haben, sie richtig zu interpretieren und sie miteinander austauschen zu können, um davon etwas zu haben. Wie steht ihr zu diesen Initiativen wie BiPRO, Open Insurance? Ist da eine Möglichkeit zu standardisieren? Glaubt ihr daran? Welchen Ansatz würdet ihr euch wünschen? So viele Fragen auf einmal.

Ulrich Kütter: Wenn ich mir BiPRO anschaue oder Open Insurance, dann man immer schauen: Ist das ein lokaler Ansatz? Redet man da mit lokalen, deutschen Playern? Oder ist das ein europäischer Ansatz? Wie das bei Open Insurance ist. Das dann global umzusetzen, wird schwer, weil BiPRO und Open Insurance sind schon in sich selbst komplex. Wenn wir das in die globale Welt übertragen, wird es sehr schwierig.

Das heißt, wir können das vielleicht für einen deutschen oder europäischen Ansatz unterstützen und finden das auch gut, dass in diesen Bereichen eine Standardisierung stattfindet. Allerdings ist es dann manchmal auf Versicherungssparten fokussiert. Das sind dann zum Beispiel private Insurance oder Kleingewerbe-Insurance, die dann für uns weniger Relevanz haben. Denn unsere Priorität ist es, den Transportversicherungsbereich und den Verkehrshaftungsbereich anders zu gestalten. Das könnte man vielleicht auch mit verkaufen über unser Netzwerk. Aber da haben wir momentan unserer Priorität eher auf den Transportbereich fokussiert. 30:33

Toni Klein: Wenn ihr euch in Bezug auf digitale Kollaborationsmodelle etwas wünschen könntet, was würdet ihr euch erträumen? Was würdet ihr euch mit den Versicherern wünschen?

Anette Rakow: Träumt einmal.

Ulrich Kütter: Mit den Versicherern, mit anderen, wir haben viele, nicht wahr?

Anette Rakow: Natürlich wäre das Thema Datenaustauschplattform ein Traum. Ganz simpel mit den vertragsrelevanten Schadendaten, aber auch mit anderen Daten, die rund um den Globus vorhanden sind. Ein Grund, warum das wahrscheinlich eher ein Traum bleibt, ist natürlich: Wer geht mit welchem Ziel durch die Weltgeschichte. Wir verfolgen vielleicht ein anderes Ziel als Kunde. Als ein Versicherer haben wir das gleiche Ziel. Das weiß ich noch nicht. Natürlich ist der Besitz von Daten eine Art Wettbewerbsvorteil. Wie bereit bin ich, da offen zu sein? Aber wenn es ein Traum gibt, dann würde ich gerne damit anfangen zu sagen: Lasst uns doch einfach schneller, einfacher und simpler über Datenaustausch nachdenken.

Ulrich Kütter: Und zwischen den Versicherern zu kollaborieren, wenn es um Raten geht. Also wenn wir Raten aus unseren eigenen Daten entwickeln, müssen wir die natürlich mit den Versicherern abstimmen. Dass man da kollaboriert und nicht jeder ein sehr unterschiedliches Ratenmodell hat, sondern dass wir gemeinsam mit der Captive, mit den Rückversicherern hinter der Captive dann auch an dem Risiko gemeinsam partizipieren. Das ist auch eine gewisse Art von Kollaboration.

Auf der Digitalen- und der Prozessebene sind es eher die modernen Lösungen, beispielsweise reden wir da über IoT mit den Track und Trace Capabilitys sowohl im Konzern, als auch mit externen Datenbanken. Da geht es darum zu wissen: Wo sind gefährliche Routen? Wo sind Wetterverhältnisse? Da muss man auch mit vielen kollaborieren. Wir versuchen das zwar auf die Versicherungspartner einzugrenzen.

Zum Beispiel sind Naturkatastrophenmodellierungen von Versicherern ein gutes Kollaborationsmodell. Aber auch im Bereich Machine Learning und AI, künstliche Intelligenz, gibt es im Markt Anbieter, die daran sehr stark arbeiten. Mit denen kollaborieren wir auch. Manchmal ist ein Beratungsvertrag. Manchmal ist es eine Anbindung zum Datenaustausch für die Datenanalyse. Aber auch da sind wir noch nicht ganz so weit, wie wir uns das am Ende wünschen. Wir müssen da erst einmal die Basis dafür aufbauen, um dann in einige der AI-Modelle und Big Data umzuswitchen. 33:34

Toni Klein: Das sind wirklich eine Menge Themen. Jetzt werfe ich noch ein Stichwort in die Runde: Blockchain.

Ulrich Kütter: Blockchain ist absolut ein Thema.

Toni Klein: Also wenn man bei euch eine Liste über Technologien und Themen macht, kann man alles abhaken? Und die Komplexität kommt auch noch hinzu.

Ulrich Kütter: Das ist absolut so. Das Ziel-Build muss die Blockchain sein. Muss die komplette Digitalisierung sein, auch finanzieller Art. Schenker hat gerade in Zusammenarbeit mit dem Hubtic-Konzept ein elektronisches Bill of Lading, das voll tokenisiert ist. Das heißt, das Dokument gibt es gar nicht mehr, es ist nur noch ein Datensatz. Dieser Datensatz kann rechtlich stabil in Deutschland und in Singapur eingesetzt werden, inklusive Übertragbarkeit der Titel. Das bedeutet auch das Eingenverhältnis kann aus einem Datensatz heraus übertragen werden. Das geht inzwischen rechtlich. Wenn das geht, dann geht eben auch das Versicherungszertifikat, das eben an das Bill of Lading gebunden ist.

Jetzt können Sie sich vorstellen, warum wir so viel Spaß daran haben, weil das ist schon der nächste größere Schritt in der Logistik, dass man von den Papieren, die es in der Vergangenheit gab und in vielen Ländern auch zukünftig noch geben wird, loskommt. Das ist also der Schritt, der eine echte Digitalisierung darstellt und nicht einfach nur ein Papier in ein PDF-Dokument umgewandelt wird, sondern es ist ein Datensatz mit dem gearbeitet wird. Mit diesem werden auch rechtlich Schäden bezahlt und Eigentumsverhältnisse übertragen. 35:11

Toni Klein: Ich würde gerne noch einen anderen Podcast nur zu diesem spannenden Thema mit euch machen. Dann habt ihr diese tollen Technologien und die ganzen Daten, dann wäre es gut, wenn man die direkt auch weiter prozessieren und direkt verteilen könnte? Sodass die Daten just in time auch überall vorhanden sind und man dann, vielleicht auch in Kollaboration mit anderen, auch anderen Logistikunternehmen, arbeitet. Ich denke jetzt schon an ein ganz großes Netzwerk.

Anette Rakow: Es gibt ganz viele Ideen und Visionen, die da unterwegs sind. Man darf natürlich nicht vergessen: Je größer der Konzern, desto komplexer sind die internen Absprachen und umso komplizierter die Frage, wer für was zuständig ist. Es ist ganz viel möglich. Man muss es aber in sehr kleine Scheiben schneiden, um die richtigen Leute, die richtigen Abteilungen, die richtigen Verantwortlichkeiten dann an dem Tisch zu haben. Das ist manchmal das, was ein bisschen frustriert, ein bisschen Zeit frisst, weil manchmal muss man sein Vorhaben auch zwölf verschiedenen Personen erklären, bis man am Ende denjenigen am Tisch hat, der tatsächlich relevant ist. Aber Ideen und Visionen und wie es laufen könnte, die sind in Unmengen vorhanden.

Toni Klein: Das ist wohl überall so. Das ist das Thema, das wir vorhin hatten. Viele Gedanken und Ideen, aber dann diese auch umsetzen. Ich stelle mir das wirklich nicht leicht vor. Überhaupt auch solche Scheiben zu schneiden. Wo fängt es an? Wo hört es auf? Was lässt man los? Was macht man mit? Was schafft man in einem Sprint? Kommuniziert ihr mit Versicherern in Sprints? Das wäre dann der nächste Schritt.

Ulrich Kütter: Intern machen wir sehr viel in Sprints. Also Sprints haben wir sehr viele.

Anette Rakow: In der Projektlandschaft nutzen wir sie intern natürlich. Es ist auch in gewisser Weise der Unterschied. Wir müssen natürlich das, was wir intern entwickeln und was wir mit Versicherern und anderen Dritten entwickeln, unterscheiden. Auf das eine habe ich mehr Einfluss als auf das andere. Bei dem einen habe ich mehr Abhängigkeiten als bei dem anderen. Die Bereitwilligkeit ist teilweise auch unterschiedlich. So ist das. Das macht es aber auch spannend. Das muss man auch sagen.

Toni Klein: Ihr müsst agil agieren. Ihr müsst aber auch geduldig sein. Ihr müsst viel kommunizieren. Jetzt kommen wir schon bald ans Ende unseres Gesprächs und ich habe noch eine ganz wichtige Frage zur aktuellen Entwicklung bei Schenker: Wie helft ihr euch denn selbst, um digitalisierter operieren zu können? Ihr habt jetzt schon an einigen Stellen durchblitzen lassen, wie ihr das handhabt. Trotzdem noch einmal die Frage: Wie helft ihr euch selbst?

Anette Rakow: Wie helfen wir uns selbst? Indem wir erst einmal geschaut haben: Wo brennt es am meisten? Was sind die Prozesse, die Produkte im As Is, die einer Verbesserung bedürfen. Aber auf der anderen Seite gleichzeitig in die Vision zu gehen und zu sagen: Wir überspringen jetzt drei Punkte und gehen direkt in die Moderne. Wir entwickeln viel selbst. Wir verbessern schon Bestehendes. Wir versuchen bestehende Systeme zu vernetzen, weil natürlich gibt es auch hier das eine oder andere Silo im System und in der Denke.

Da den crossfunktionalen Ansatz, den wir auch im Konzern haben, mehr zu pushen, ist für uns von großer Relevanz. Das ist im Prinzip unsere Vorgehensweise. Wir pushen sehr viel selbst. Wir versuchen zu vernetzen. Wir kommunizieren unfassbar viel. Wir holen die Leute an Bord, die am Anfang gar nicht über uns Bescheid wussten und unsere Abteilung sowie Insurance-Tätigkeit eher amüsiert betrachteten. Dann spricht man miteinander und plötzlich ist ein ganz anderes Interesse da. Denn was wir tun, ist nicht nur für den kleinen Insurance-Bereich irgendwie fancy.

Wir reden hier schließlich über die Protection des ganzen Unternehmens. Wir wollen die Abläufe verbessern. Wir wollen für unsere Kunden draußen, aber auch Schenker-intern, besser werden. Dann ist das Interesse da. Das ist wie immer. Wenn ich nicht weiß, dass es etwas gibt, bin ich auch nicht interessiert. Wenn ich aber weiß, dass es das gibt, dann habe ich plötzlich viel Interesse und Attention. Kommunikativ und in der Eigenentwicklung von Prozessen sowie Produkten sind wir extrem viel unterwegs.

Toni Klein: Könnt ihr noch ein konkretes Beispiel nennen? Ihr habt vorhin auch Rater erwähnt. Was ist das?

Ulrich Kütter: Da kann ich etwas dazu sagen. Es gibt im Versicherungsbereich, wenn man Transportverkehrshaftungspolicen der ganzen Länder, in denen Schenker operiert, sich anschaut, dann gibt es ganz unterschiedliche Raten. Das zu Simplifizieren bedarf einer Infrastruktur, die auch eine Captive inkludiert oder auch ein Broker-Hub-Modell inkludiert, damit man die Raten auch global vereinfachen kann und standardisieren kann.

Das heißt, wir arbeiten an einer globalen Plattform, bei der am Ende alles aus einer Maschine kommt und jegliches System vorne an die selbe Maschine angebunden ist. Das ist natürlich ein Prozess, bis man so das eine oder andere System vernetzt, live geschaltet hat und bis der Rater auch so funktioniert, dass er global eingesetzt werden kann. Aber da sind wir mitten im MVP. Der ist gebaut. Der funktioniert. Der muss natürlich noch verfeinert werde. Der muss noch mit ein paar Versicherern abgestimmt werden. Aber so eine Rating Engine, die die Risiken bepreisen kann, also das Risiko zu bepreisen, bevor man überhaupt anfängt, das Versicherungsprodukt zu bepreisen, ist die große Herausforderung. Aber da haben wir große Fortschritte gemacht und wir können gar nicht erwarten, bis wir das Schritt für Schritt global ausrollen.

Wenn man diese Vision kommuniziert und zu den zehntausenden Mitarbeitern bei Schenker sagt, dass die aus einem Standard sozusagen auswählen können und sich nicht durch Tarifpapiere und Kataloge wählen müssen, das macht Spaß. Denn am Ende kommt dabei eine simple Lösung heraus, die nach oben skalierbar ist. Nach unseren Berechnungen wird sie einen mehr als fünfzehnfachen Take-up-Rate der Insurance herausschlagen. 41:28-

Toni Klein: Ich höre euch zu und bin begeistert. Ihr habt auf jeden Fall eine Vision. Aber bei den operativen Veränderungen, Projekten und Rückschlägen und den Lernkurven, die ihr erlebt, stellt sich mir die Frage: Habt ihr ein Zeitfenster? Mir ist klar: ihr arbeitet agil und man ist niemals komplett fertig. Aber reden wir über zwei, fünf oder zehn Jahre oder hundert? Ich kann das nicht einschätzen.

Anette Rakow: Das kommt ganz darauf an, wenn du eine Zielvorstellung hast, können wir über vier, fünf Jahre reden. Haben wir ein finales Zielbild? Nein, weil die Digitalisierung entwickelt sich weiter. Wenn wir einen Status quo haben, bei dem wir sagen: Jetzt sind wir da, wo wir hinwollten. Dann ist die Digitalisierung inzwischen drei Schritte weiter. Wir können dann schauen: Was können wir hier noch adden? Es geht jetzt nicht mehr nur darum mit irgendwelchen statischen Daten und verschiedenen Komponenten das Risiko zu bepreisen.

Jetzt geht es darum, Machine Learning einzusetzen. Jetzt geht es darum, hier etwas zu tun, da etwas zu tun.
Für mich ist das ein endloses Entwicklungsthema, dem wir folgen müssen, wenn wir intern, aber auch für den Kunden, das anbieten wollen, was Qualität hat und funktioniert. Die größte Herausforderung, was mir am meisten Spaß macht, ist die Standardisierung.

Das heißt eigentlich: Wir simplifizieren Dinge. Aber das was wir bauen, simplifiziert nach außen. Aber nach innen bauen wir etwas, das so vielschichtig und komplex ist, dass das Ergebnis, das rauskommt, viel besser ist als jeder Excel-Tarif, den man irgendwo downloaden kann. Das heißt, man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Standardisieren, schneller werden, besser werden. Aber trotzdem in Qualität und Innovation richtig zuzulegen. Natürlich ist es gut, wenn man Frustrationstoleranz hat. Aber dafür kann man die Erfolge, so klein sie auch manchmal sein mögen, richtig schön feiern. 43:39

Toni Klein: Macht ihr das auch?

Ulrich Kütter: Das machen wir auch. Du weißt: Ich bin derzeit in Singapur. Trotzdem haben wir schon unser Team Meeting für Ende Juli geplant und da sind wir zwei Tage lang alle zusammen. Die Teilnehmer kommen von Göteborg, Hamburg und Singapur zusammen und dann werden wir ein bisschen feiern, weil wir schon mitten in der ersten und teilweise sogar in der zweiten Phase sind. Da gibt es auch etwas zu feiern. Die MVPs funktionieren.

Toni Klein: An der Stelle die Anmerkung: Die Bedeutung von MVP musste ich selbst auch lernen. Ich komme auch aus dem IT-Umfeld. In diesem Kontext steht MVP für: Minimum Viable Product und nicht für Makler-Verwaltungs-Programm.

Ulrich Kütter: Das ist richtig.

Anette Rakow: Das ist ein wichtiger Hinweis. Das ist eben das erste Produkt, das wir schon einmal zeigen können. Es ist ready to test, ready to show. Da sind wir jetzt. Und wenn wir über das Feiern sprechen: Ulrich und ich sind bei Schenker aufgeschlagen, als die Pandemie gestartet hat oder besser gesagt, schon voll am Laufen war. Es gibt Kollegen in meinem Team, die ich noch niemals live gesehen habe.

Insofern ist der erste Grund zu feiern, dass man tatsächlich einmal zusammen an einem Standort ist und mal schaut, wie sich live versus MS Teams matchen lässt. Kleine Anmerkung am Rande: Das ist übrigens dein Profilbild. Wie sich das matchen lässt, wird schon spannend genug.

Toni Klein: Das ist ein sehr gutes Schlusswort. Ich hätte noch eine Frage, aber die stelle ich nicht mehr. Ich lasse das jetzt so stehen, denn das ist richtig toll. Ich glaube, dass vielen, die hier zuhören das vielleicht ähnlich geht, die über die letzten zwei Jahre verteilt waren und viel an Projekten miteinander gearbeitet haben und das ist doch toll. Seht ihr euch dann auch zum ersten Mal?

Anette Rakow: Nein.

Ulrich Kütter: Nein, wir hatten gerade im April einen Trip mit London und Dublin, wo die Captive sitzt. Dann sind Anette, ich und David noch nach New York hinüber gegangen. Da haben Anette und David allerdings den Kollegen in New York das erste Mal physisch, live gesehen. Da merkt man auch: Es fehlt tatsächlich manchmal der physische Kontakt, damit man sich noch besser die Vertrauensbasis aufbauen kann.

Auch wenn man zwei Jahre über MS Teams kommuniziert, ist das noch einmal etwas anderes. Das ist sehr gut und wichtig, solche Trips zu machen. Ich freue mich auch, dass wieder mehr geflogen werden darf und man die Leute wieder treffen kann. Es ist sehr schön, dass es langsam wieder losgeht. Wir hoffen, dass es noch lange so bleibt.

Toni Klein: Ich danke euch vielmals für eure Zeit, eure zahlreichen Auskünfte und die tollen Beispiele. Ich hoffe, wir sprechen uns bald wieder. Ich wünsche euch ganz viel Erfolg bei allen euren Vorhaben. Und zeigt mir etwas auf LinkedIn, wenn ihr feiert. Dann können wir vielleicht ein bisschen mit schauen.

Ulrich Kütter: Sehr gerne.

Toni Klein: Danke Ulrich, Danke Anette.

Anette Rakow: Danke.

Ulrich Kütter: Ich sage auch vielen Dank. Danke, dass wir teilnehmen durften und Danke für das Gespräch. Danke Anette, dass du und David und andere im Team sind, weil ohne euch wäre das mit Sicherheit nicht zu stemmen.

Anette Rakow: Wir sind von Herzen gerne dabei.

Toni Klein: Tschüss.

Anette Rakow: Ciao.

Ulrich Kütter: Tschüss.

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