15.05.2023
Andreas Berger, Swiss Re Corporate Solutions: Data, Technologie und Kundenfokus – #ID61
„Data Analytics“ Serie im Podcast: Andreas Berger, CEO Swiss Re Corporate Solutions, gibt einen spannenden Einblick in die Digitalisierungsaktivitäten des Kerngeschäftes der Gesellschaft. Dabei geht es um neue Datenmodelle, einen schmerzhaften Transformationsprozess, neue Stellen und Berufsbezeichnungen. Wie gelingt der Fokus auf den Kunden, um die Wertschöpfungskette des Versicherungsgeschäft neu zu organisieren? Wie wird der holistische Blick auf die Risiken des Kunden als zentraler Bestandteil des Risk Managements der Zukunft erreicht? Ein Highlight für alle Interessierten in der Industrieversicherung und ein „must listen“.
Im Gespräch: Andreas Berger, Benjamin Zühr, Hartmut Mai
Länge: 37 Minuten
Transkript
BENJAMIN ZÜHR: Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von Industrieversicherung Digital, dem Podcast der Industrieversicherung. Heute mit zwei Herren, die hier mit im Call sind. Erst einmal natürlich herzlich willkommen, Hardy.
HARTMUT MAI: Grüß dich, Benny!
BENJAMIN ZÜHR: Herzlich willkommen, Andreas Berger!
ANDREAS BERGER: Hallo!
BENJAMIN ZÜHR: Freut mich total, dass wir das hier heute zu dritt machen. Der Schwerpunkt ist natürlich wieder Data Analytics. Wir wollen letztendlich einfach ein bisschen mehr von dir erfahren, Andreas, deiner Rolle bei der Swiss Re CorSo und vielleicht ein kleines Gefühl dafür bekommen, wie du aktuell den Markt siehst. Vor allen Dingen natürlich vor dem Hintergrund der digitalen Herausforderungen, die ja definitiv noch bestehen. Andreas, magst du dich am Anfang einfach einmal vorstellen und ein bisschen etwas zu dir und vielleicht deiner Rolle bei der Swiss Re CorSo sagen?
ANDREAS BERGER: Vielen Dank für die Einleitung. Andreas Berger, wie ihr das schon gesagt habt. Ich bin seit dem 01. März 2019 bei der Swiss Re und bin dort in der Geschäftsleitung des Konzerns verantwortlich für das Segment Corporate Solutions und bin jetzt deren CEO. Ich kann sagen, ich bin jetzt schon über vier Jahre dabei. Es ging sehr schnell, und wir hatten auch widrige Umstände wie Covid dazwischen. Ich hatte das Glück, dass ich noch kurz vor Covid anfangen durfte. Ich habe fast alle Büros besuchen können, aber leider nicht alle.
Ich konnte diesen Veränderungsprozess, über den wir auch mit Sicherheit sprechen, der natürlich auch Daten mit beinhaltet, physisch starten und bin dann hinter dem Bildschirm verschwunden. In der Zeit haben wir natürlich unsere Kräfte genutzt, das Thema Daten und Technologien in das Unternehmen hereinzubringen. Danach können wir darüber reden, was daraus geworden ist. Das ist sehr spannend, das war eine interessante Reise.
BENJAMIN ZÜHR: Ja, sehr gerne. Vielen Dank für die kurze Einführung. Letztendlich gebe ich dir total Recht. Man hat ja richtig gespürt, wie mit dem Start von Covid auf einmal Digitalisierung einen ganz anderen Stellenwert bekommen hat. Alleine schon, wie viele Menschen ich vorher erlebt habe, die gesagt haben, dass zu Hause arbeiten gar nicht gehe. Auf einmal war es doch möglich. Ich glaube, das war sehr, sehr positiv. Trotzdem muss ich sagen, in den Gesprächen, die wir hier aber auch am Markt führen, wird extrem viel über Digitalisierung gesprochen. Sie haben sehr viel Meinung gemacht, aber wenn man dann in der Praxis schaut, was wirklich ankommt, muss ich sagen, finde ich persönlich, ist momentan ein sehr, sehr starker Schwerpunkt auf eher unkomplexeren Geschäften. Natürlich auch auf Privatgeschäft, aber auch auf unkomplexerem Gewerbegeschäft.
Auch was das Investitionsverhalten einiger Marktteilnehmer angeht, damit meine ich jetzt Versicherer und Makler, passt das meiner Meinung nach noch nicht wirklich zu dem Stellenwert, den die Digitalisierung mit ihren Chancen eigentlich haben müsste. Kannst du uns einen kleinen Einblick geben, wie siehst du aktuell den Markt? Wo steht er? Wo, glaubst du, sind Herausforderungen, wo aber auch Chancen? Vor allen Dingen, wie stellt ihr euch dem ganzen Thema? 03:53
ANDREAS BERGER: Das Thema ist leider komplex. So ist es im Leben immer, wenn es komplex wird, gibt es nicht immer so die einfache Lösung, die schön auf dem Tablett präsentiert werden kann. Es gibt sehr gute Beispiele, wo datengestütztes Management auch in der Wertschöpfungskette funktionieren. Da gibt es viele Startup-Unternehmen, die da sehr viele Impulse geliefert haben. Aber auch bei den etablierten Unternehmen hat sich einiges getan. Die Wertschöpfungskette ist aber recht fragmentiert, und dann sieht man bestimmte Wertschöpfungs- und Prozessstufen, die vielleicht einmal ein spezifisches Problem gelöst haben. Aber das gesamthafte Bild ist tatsächlich nicht da.
Das liegt auch ein bisschen daran, dass wir die darunterliegende Infrastruktur natürlich noch sehr traditionell erleben. Wir haben sehr viel IT-Legacy, die natürlich erst einmal aufrechterhalten werden muss, auch aus regulatorischen Gründen teilweise. Das heißt, die muss noch betrieben werden. Dann muss man im Grunde genommen die Transformation in eine wirklich digitale Welt beschreiben. Das ist nicht einfach, weil sehr häufig auch die Organisation intern recht regelmäßig agiert haben. Das heißt, auf der einen Seite gab es das Business, auf der anderen Seite gab es die IT und Operations. Die Seamless-Kommunikation, so sagen wir immer, dazwischen hat nicht richtig stattgefunden. Jeder ist beschäftigt, jeder hat viel zu tun und so weiter. Das heißt, das überragende Momentum ist nicht geschaffen worden.
Es gibt ein paar gute Beispiele, allerdings hilft uns das noch nicht, weil es noch nicht breit in der gesamten Industrieversuchungslandschaft Fuß gefasst hat. Sowohl den Versicherern, aber auch bei den Maklern.
HARTMUT MAI: Entschuldigung, dass ich da jetzt hereingrätsche. Aber was mich hier wirklich interessiert, ist meines Achtens so ein bisschen die neue oder die neuere Entwicklung. Ich habe den Eindruck, dass in der Vergangenheit gesagt wurde, Digitalisierung ist wichtig, aber nicht unsere erste Priorität. Auch das, was Benny gerade angesprochen hat, was die Budgetierung anbelangt. Das heißt, die Möglichkeiten nach draußen sind schier gigantisch. Aber diese Möglichkeiten lassen sich natürlich nicht heben durch fehlendes Investitionsvolumen. Die Frage, die mich jetzt umtreibt, ist, ob jetzt von diesem Nice to have der Digitalisierung wie jetzt die nächste Raketenstufe starten, vielmehr der Regulator diese nächste Raketenstufe startet, indem er hier in die IT-Fähigkeiten der Versicherungsunternehmen genauer reinleuchtet.
Ein prominentes Beispiel ist nun die letzten paar Tage durch die Presse gegangen. Wie ist da deine Meinung? Sind wir jetzt an der Zeitenwende angekommen, was die Digitalisierung der Versicherungssparte anbelangt? Hat man jetzt nicht mehr diese Freiheiten, die man früher hatte nach dem Motto _Nice to have_? Ist jetzt praktisch der Druck da ist, wirklich etwas in diese Richtung zu unternehmen? 07:15
ANDREAS BERGER: Den Bedarf gibt es ja eigentlich schon. Das Schwierige ist nur, diese Transformation tatsächlich auch zu meistern. Auf einer konzeptionellen Ebene hat das, glaube ich, jeder verstanden. Die Frage ist, wie bringe ich das in ein Unternehmen hinein? Ich kann jetzt vielleicht einmal ganz kurz schildern, wie das bei uns passiert ist. Am 01.März 2019 habe ich angefangen und wir haben dann einen Transformationsprozess gestartet. Da ging es natürlich im Grunde darum, auch die etwaigen Themen des Geschäftes nachhaltig überall hinzubekommen.
Dann haben wir natürlich die üblichen Instrumente angewandt, auch die Daten natürlich aus dem Datenschatz, den wir auch schon hatten, gehoben. Wir haben die Analysen gefahren und haben uns zusammengesetzt und geschaut: Wie kann man das Problem eigentlich lösen? Wir haben aber gesagt, das ist nicht mehr State of the Art.
Wir haben dann neben dieser Sanierungsaktion einen zweiten Teil einer Organisation geschaffen, die Bionic Organisation. Der eine Teil hat sich auf dieses Sanierungsbemühen, _Fixing the Company_, die Kostenstrukturen in den Griff zu bekommen und so weiter fixiert. Der zweite Teil hat sich rein um das Thema Industrieversicherung der Zukunft bemüht, ganz konkret auf Datentechnologie gestützt. Wir haben dort erstmals gesagt: _Stellen wir uns doch einmal vor, was könnten wir eigentlich im Kerngeschäft erreichen, wenn wir das Thema Daten und Technologie anders angehen?
Wir sind hingegangen und haben gesagt, dass wir weggehen müssen von diesen Standard-Interfaces zwischen System A zu System B zu System D, wo jeder, zum Beispiel Underwriter, aus seinem angestammten Umfeld, seinem Native Environment, immer wieder herausgeht auf zehn Bildschirme. So ergeben sich sehr anstrengende Prozesse. Die Datenqualität und Datenintegrität waren nicht immer sehr gut. Insofern kommt die Qualität dann auch nicht zum Tragen. Wir haben gesagt, wir müssen im Grunde genommen in Datenmodellen denken. Dazu brauchen wir natürlich erst einmal die Data Lakes. Wir müssen die Datenquellen identifizieren und einfach in ein Data Lake überführen. Dann haben wir mit einem Integration Layer die Daten in ein Datenmodell überführt.
Dieses Datenmodell hilft uns jetzt, Front-zu-End diese Fragen zu beantworten, die ich in jeder Prozessstufe beantworten muss.
Wir haben eine neue Dimension erreicht. Das heißt, wir haben im Aktuariat und im Underwriting Claims. Im Customer Relationship Management können wir aufgrund von Datenanalysen Insides generieren, die wir vorher nie hatten. Die konnte uns auch keines dieser Standardsoftwarepakete liefern, weil die auch immer wieder nur im Silo einzelne Prozessstufen adressiert haben. Das war für uns eine neue Dimension. Die haben wir separat aufgebaut, neben der tradierten Organisation, die die Sanierung gemacht hat. 10:40
HARTMUT MAI: So wie ich mir das vorstelle, wie du das gerade darstellst, ist, dass jetzt die einzelnen Stakeholder der Prozessschritte auf einmal anfangen, die gleiche Sprache zu sprechen. In größeren Unternehmen ist es natürlich so, wie du es eingangs dargestellt hast, sehr situiert. Das heißt, da gibt es das Akturiat, die machen ihre Berechnungen. Dann gibt es die Underwriter, die Sales-Truppen und die Operations-Einheiten et cetera.
In der Regel sprechen diese Abteilung nicht die gleiche Sprache. Das, was ihr ja vorgenommen habt, ist, diese einzelnen Einheiten um das Thema Daten und Data Analytics zu konsolidieren, dass man anfängt, die gleiche Sprache zu sprechen und eine Homogenität in der Gesellschaft schafft. Hat das deiner Meinung nach die Silos ein bisschen aufgelöst oder praktisch auch das unterstützt, dass die Mitarbeiter enger zusammenarbeiten und dem gleichen Ziel folgen?
ANDREAS BERGER: Wir mussten zunächst einmal das Thema Daten ganzheitlich anpacken. Das heißt, wir müssen eine Datenstrategie und Daten-Governance haben. Wir mussten neue Jobs kreieren, den des Data Owners, des Data Streamers oder des Data Curators. Das sind alles neue Jobs gewesen, die alle daran arbeiten, Daten als Assets zu verstehen.
Dann haben wir noch lange nicht das Kerngeschäft berührt. Wir sind aber hingegangen und haben die neue Welt in agilen Teams mit der tradierten Welt zusammengebracht. Das heißt, der Underwriter in einer gewissen Sparte, der Portfolio Owner einer Sparte Property oder Credit Insurancy, musste sehen, dass der Data Owners bei sich installiert und auch die Stewarts bei sich installierte und das Thema Daten als Asset verstanden hat.
Dieser Prozess war ein sehr schmerzhafter Prozess, weil vorher haben die Leute natürlich mit ihren geliebten einzelnen Software Tools oder auch Excel Sheets gearbeitet und hatten darüber natürlich eine Sicherheit gewonnen. Jetzt kam man hin und hat gesagt: Pass auf, wir haben gerade ein Datenmodell gebaut, und es gibt dir ganz andere Analysefähigkeiten und Möglichkeiten und wird deinen Job anreichern. Es gab viel Skepsis. Aber wenn die Leute damit erst einmal konfrontiert werden und am Objekt sogar üben, ihre täglichen Fragen, die sie haben, einfach einmal mit dem Datenmodell bearbeiten, das war der Winner.
Jetzt gibt es aber auch unterschiedliche Abstufungen und Reifegrade. Manche Leute sind da viel datenaffiner als andere, und man muss auch nicht alle jetzt auf diesen höchsten Grad bringen. Aber das Daten im Underwriting oder Claims eine wesentliche Rolle spielen, ist eigentlich ein No Brainer. Eigentlich arbeiten die Leute in einer Versicherungsbranche, die nicht irgendwelche intelligable Produkte kreieren, sondern Daten sind unsere Welt, Daten und Menschen. Deswegen, das konnte man den Leuten sehr stark intuitiv auch beibringen. Die haben gesagt: Eigentlich ist das logisch. Deswegen war der Weg dorthin ein bisschen einfacher. 14:10
HARTMUT MAI: Mich würde an der Stelle noch einmal etwas interessieren. Aus den Vorgesprächen, Andreas, durfte ich von dir auch lernen, dass diese Datenplattform, die ihr gebaut habt, jetzt auch praktisch dazu gereicht, einen Kundenmehrwert zu schaffen. Das heißt, in der Regel ist es so, wenn wir mit Kunden sprechen, heißt es: Es ist interessant, was ihr an Digitalisierung betreibt. Aber what‘s in it for us? Beim Kunden kommt da im Moment noch relativ wenig an. Auch wenn wir mit anderen Versicherern gesprochen haben zu diesem Thema, werden diesen Datenplattformen und die Analytics eigentlich immer nur dazu gereicht, die Profitabilität zu steigern, Effizienzen zu generieren und aktives Portfoliomanagement zu betreiben. Deine Erfahrungen auf dieser Journey würden mich wirklich brennend interessieren. Wie schafft ihr das, dass ihr wirklich einen Kundenmehrwert generiert mit der Strategie, die ihr mit der Plattform fahrt?
ANDREAS BERGER: Wie ich gesagt habe, wir haben erst einmal intern angefangen, mit unseren Kernprozessen. Beispielsweise die Ursache von Schadenfällen besser zu klassifizieren. Das ist nur ein Beispiel. Wir haben festgestellt, die Probleme, die wir für uns gelöst haben über das Datenmodell, sind eigentlich Probleme, die auch die Industrie hat. Wir haben ein Prinzip bei uns entwickelt, dass wir gesagt haben, alles das, was an Technologie bei uns entwickelt wird, was nicht nur unser Problem ist, sondern auch ein Industrieproblem ist, müssen wir der Industrie zur Verfügung stellen. Advancing Corporate Insurance together, wir müssen nach vorne gehen! Das Problem, was wir festgestellt haben, war, dass entlang der Versicherungswertschöpfungskette zu viele Kommunikationsbrüche waren. Das heißt, Daten gingen von einer Hand in die nächste Hand in die nächste Hand, und jedes Mal war wieder eine Datenfehlerquelle da. Dieses Problem mussten wir einfach lösen.
Wir haben festgestellt, dass die Optimierung der Versicherungswertschöpfungskette nicht ausreicht, weil die Daten vom Kunden kommen. Das heißt, wir mussten beim Kunden ansetzen. Wir haben festgestellt, das, was wir an Datenmodellen mit unseren Data Analytics gebaut haben, hilft auch dem Kunden, sein eigenes Risiko zu verstehen und besser mit dem eigenen Risiko umzugehen. Es geht sogar so weit, dass wir sagen, es ist nicht nur der jetzige Versicherungsbestand im Sinne von einer höheren Datenqualität. Über diesen Weg kommen wir sogar dahin, dass wir heute unversicherbare Risiken versicherbar machen, weil wir beim Kunden ansetzen und die Daten aus den operativen Systemen oder aus dem Kernbereich des Kunden auf eine Plattform legen. Wir bauen einen sogenannten Digitalen Zwilling, Digital Twin einer Asset-Struktur, einer Supply Chain, und mappen das dann mit unserem Datenmodell. Das heißt, wir stresstesten diese Repräsentation der Realität, diesen Digital Twin, mit Events. Darunter sind Naturkatastrophen, Pandemien, et cetera. Das gibt Insights zurück in das Unternehmen. Da haben wir noch nicht über Versicherungen gesprochen. 17:25
BENJAMIN ZÜHR: Ich versuche, das einmal überspitzt zu sagen: Zukünftig, in einer digitalen Welt, geht es gar nicht mehr nur noch um Versicherungsmanagement, sondern es geht um Risikomanagement und daraus abgeleitete Versicherungen. Ist das korrekt verstanden?
ANDREAS BERGER: Genau richtig. Das Problem ist, dass sich alle beschweren, dass die Innovationskraft der Versicherungswirtschaft nicht da ist, wo sie sein sollte. Wir müssen wir vorher ansetzen, weil das Risiko besteht, Exposure ist Exposure. Das liegt beim Kunden. Wenn der das nicht adressiert, erst einmal versteht und minimiert und managt, kann ich nicht erwarten, dass daraus ein Versicherungsprodukt wird. Das Risiko liegt beim Kunden, und das muss dort beherrscht werden. Da gibt es gute Ansätze über die Plattform. Wir sagen _Tech Control is your Risk._ Der Kunde muss im Grunde genommen das eigene Risiko beherrschen können. Daten sind Gold, wie wir sagen. Das Entscheidende ist, dass die Daten überall in allen möglichen Formaten und in allen möglichen Qualitäten liegen. Genau das müssen wir beheben. Das heißt, wir müssen die Datenquellen identifizieren, müssen dann die Daten auf die Plattform in eine Form bringen und an einen geschützten Ort bringen. Die Daten-Ownership ist nicht angetastet. Die Daten gehören den Kunden. Die sollen auch die Daten im Prinzip beherrschen und dann entscheiden: Wen lasse ich mitspielen? Wen nehme ich mit auf die Plattform? Welche Daten gebe ich dann in den Risikotransfer an einen Makler und einen Versicherer, um mein Versicherungsprogramm zu optimieren?
HARTMUT MAI: Ich finde das sehr spannend, wie du das darstellst. Ich glaube, das geht dann auch in die Richtung, dass das Geschäftsmodell der traditionellen Industrieversicherungsgesellschaften dadurch erweitert wird. Du sagtest gerade, es wird ein Digital Twin abgebildet, über den ich gewisse Szenarien auch modellieren kann und dem Kunden damit praktisch die Möglichkeit gebe, seinen Risk-Managementansatz wesentlich aktiver zu gestalten und auch Stress zu testen im Fall der Fälle. Das ist ja eine Erweiterung des Businessmodells, wie man es eigentlich aus der Vergangenheit noch erkennt. Das ist ein Service, den ihr praktisch dem Kunden diesbezüglich anbieten könnt. Würdest du das genauso sehen? Ist das die Intention? 20:10
ANDREAS BERGER: Im Grunde genommen ist es natürlich ein Plattform-Business. Das heißt, du bietest eine Plattform an. Die Plattform ist per Definition neutral, die Daten gehören den Kunden und die haben einen privaten Bereich auf der Plattform. Dieser Bereich ist unantastbar, das ist wichtig. Neutralität heißt, dass die Plattform neutral ist. Das heißt, wir behandeln uns selbst genauso wie alle anderen Daten-Provider. Wir haben die Plattform geschaffen, die Daten liegen auf der Plattform. Wir haben angefangen mit Third Three Analytics, um eine Saat auslegen. Das ist ein Seeding-Effekt. Wir fangen jetzt an, wir haben schon die ersten Third Party Data Providers auf der Plattform, sodass die Kunden direkt auf der Plattform mit ihren Daten und mit den Third Party Data Providers arbeiten können und nicht wieder in andere Plattformen das überführen müssen. Dabei entstehen auch wieder Fehlerquellen. Wir haben Schnittstellenmöglichkeiten auch zu Plattformen-zu-Plattform Kommunikation. Das heißt, wir können auch mit anderen Plattformen, zum Beispiel Broker-Plattformen, arbeiten, die auch so einen Service providen. Die Broker können entweder über ihre Plattformen eine Schnittstelle bauen oder können selbst Third Party Data Provider sein, wie ein App-Store, wo der Kunde auch darauf zugreifen kann. Das ist ein neues Modell, das müssen wir neu denken. Wir haben das jetzt knapp zwei Jahre entwickelt. Es ist kein Pilot mehr, sondern es ist live. Wir lernen jeden Tag dazu. Wir haben uns auf ein paar Use Cases konzentriert, damit wir uns nicht verzetteln. Die wichtigsten, die abgerufen werden, sind das Thema Sustainability, Supply Chain und Property Exposure Management. Das Problem ist, dass die Werte der Assets gemeldet werden müssen, diese aber natürlich nie aktuell sind. Jedes Mal, wenn eine Versicherungspolice startet, arbeitet man mit Werten, die neun bis elf Monate alt und die Realität des Unternehmens sich komplett verändert hat. Das sind Themen, die müssen wir eigentlich angehen, damit dieser Deckungsschutz, der hinterher angeboten wird, adäquat ist. Der muss die richtigen Themen des Unternehmens adressieren und nicht nur das Thema Inflation. Das Unternehmen hat vielleicht andere Teile gekauft oder verkauft und ist neue Venture-Strukturen hineingegangen. Das alles verändert das Risikoprofil laufend, wird aber nicht near Real Time in den Programmen abgebildet. 22:59
BENJAMIN ZÜHR: Ich finde an dem Ansatz total spannend, dass es ein echter Mehrwert für den Kunden ist. Man schafft einfach eine ganzheitliche Sicht auf den Kunden. Ich glaube, man sagt irgendwie, dass maximal 15 Prozent aller Risiken überhaupt versicherbar sind. Den Kunden muss wirklich interessieren, was eigentlich mit den restlichen 85 Prozent ist. Für mich gibt es eigentlich zwei Kernfragen. Bisher sind ja klassische Versicherer eigentlich eher spartenorientiert strukturiert. Hat das jetzt auch zur Folge, dass eine Branchenstruktur Einzug erhält bei euch? Wird nur nicht spartenseitig, sondern auch vielleicht mehr branchenspezifisch gedacht? Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt, der mich brennend interessiert, ist, ich glaube ganz fest an das Risikomanagement. Klassischerweise ist es ja so, dass eigentlich die Makler für sich beanspruchen, dass sie diejenigen sind, die auf Kundenseite letztendlich den Kunden vertreten. Es gibt nicht wenige Makler, die neben Versicherungsmanagement auch eine Risikomanagementberatung anbieten. Selten habe ich es bisher allerdings erlebt, dass es auch wirklich miteinander verbunden wird. Meistens sind es zwei unterschiedliche Einheiten. Hast du das Gefühl, dass ihr in Konkurrenz zu den Maklern geht, oder ist es vielleicht einfach eine Ergänzung zu bestehenden Ansätzen?
ANDREAS BERGER: I
Der Podcast „Industrieversicherung Digital“ ist eine Initiative für den offenen Austausch über die Digitalisierung von Industrie- und Gewerbeversicherung: Versicherer, Makler, Kunden und IT im direkten Dialog.
Machen Sie mit! Wenn Sie ein spannendes Thema, einen Erfahrungsbericht oder einen persönlichen Standpunkt mit Kolleginnen und Kollegen diskutieren möchten, melden Sie sich bei uns: E-Mail und LinkedIn-Gruppenlink auf der Mitmachen-Seite.
Podcast abonnieren über: